
Willkommen im Zeitalter der neuen Mütterlichkeit. Wer nicht auf natürliche Weise schwanger werden kann, darf auf die Wunder der Reproduktionstechnologie hoffen. Frauen, die keine Kinder haben wollen, geraten umso stärker unter Druck.
Letztens, bei der Gynäkologin, Routineuntersuchung inklusive Ultraschall. Alles bestens. Ach was, noch viel besser, jauchzt die Frauenärztin: „Schauen Sie mal, da sind ein paar Eier, die bereit sind, befruchtet zu werden.“ Das klingt fast so enthusiastisch wie die Fernsehleute, als sie endlich die Ankunft des royalen Nachwuchses in Großbritannien verkünden durften. Okay, denkt sich die Patientin nüchtern und blickt auf die krisselige Echtzeitaufnahme kleiner Klumpen.
Zuvor hatte man sich eher beiläufig darüber ausgetauscht, ob die Patientin, Anfang dreißig, überhaupt Kinder wolle. „Wahrscheinlich nicht“, hatte die Frau gesagt. Als sie sich wieder ankleidet, raunt die Ärztin noch in Richtung Vorhang: „Man sollte wirklich nicht zu lange damit warten, schwanger zu werden.“ Eine Weisheit wie aus dem Monatskalender, gesponsert vom Familienministerium, die meisten Frauen werden sie schon einmal vernommen haben: beim Kaffeeklatsch mit der Tante, in der Kneipe beim Gespräch mit Freunden, auf dem Spielplatz, während man den Nichten und Neffen beim Buddeln zuschaut. „Man sollte nicht zu lange warten“ wird in etwa so gerne gepredigt wie: „Den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht.“ Dabei hatte man nicht einmal um Rat gebeten.
„Warum denn nicht? Das musst du aber erklären.“
Mehr oder minder aufdringliche Appelle, die sich vor allem an Frauen richten, Ende zwanzig bis Mitte dreißig, die Ausbildung gerade abgeschlossen, die Doktorarbeit fertig, auf dem Sprung zum nächsten Karriereschritt. Mittelschichtsfrauen mit fitten Eiern aus medizinischer Sicht und einem noch halbwegs strapazierfähigen Nervenkostüm aus sozialer Perspektive. Die perfekten Mütter, die Jeanne d’Arcs zur Lösung des demographischen Problems, die Retterinnen der deutschen Bildungsnation – man muss sie nur ein bisschen aus der Reserve locken. Die einen streuen Puderzucker über die Zweifel (“Das Lächeln meines Kindes lässt mich alle Anstrengungen vergessen!“), andere schüren Ängste (“Im Alter ist man doch ohne Kinder ganz allein!“).
Zugegeben: Meistens meinen sie es tatsächlich gut. Und bevor man kontern kann (“Das sind ja eher instrumentelle Gründe für ein Kind“), schleicht sich das Gefühl ein, man sei vielleicht doch auf falschen Pfaden unterwegs. Im Radio beginnt ein Feature über die Zeit direkt nach der Geburt mit dem frohlockenden „Happy together“ von den Turtles. Eine romantische Zweierbeziehung allein macht aus Sicht der Allgemeinheit einfach nicht glücklich. Deshalb fällt eine Frau, die keine Kinder will, aus dem Rahmen. In früheren Zeiten wurden manche mitsamt ihren Verhütungshelferinnen tatsächlich als Hexen verbrannt. Heute sind wir fortschrittlicher: Entweder man wird schlicht überhört, wie in der genannten gynäkologischen Praxis. Oder verhört: „Warum denn nicht? Das musst du aber erklären.“
Der Punkt ist, dass Frauen, die keine Kinder wollen, ihre Entscheidung permanent rechtfertigen müssen. „Der weibliche Lebensentwurf ohne Kinder bedarf immer wieder der Legitimierung“, schreibt die Soziologin Lena Correll in ihrer Untersuchung von Kinderlosigkeit. Die Gründe dafür liegen in unserer Geschichte. Spätestens seit der Reformation entspricht eine Frau nur dann dem Leitbild einer vorbildlichen Christin, wenn sie Ehefrau und Mutter ist. Luther selbst hatte festgestellt, dass es den Weibern an Körper- und Verstandeskraft ja eher mangele, und empfohlen: „Sie sollen daheim bleiben, im Haus still sitzen, haushalten, Kinder tragen und aufziehen.“ Ein Müttermythos war geschaffen.
Unter dringendem Egoismusverdacht
Heute sitzen Frauen ohne ausgeprägten Kinderwunsch auch ganz still, wenn ihre eigenen Eltern mal wieder „Gibt es was Neues?“ fragen und dabei bedeutungsschwangere Blicke austauschen, weil sie endlich die frohe Botschaft vernehmen wollen. Die Kinder anderer Eltern bekommen doch auch Kinder! Andere Neuigkeiten – Job? Fernreise? Das Ehrenamt? Wie war die Kunstausstellung? – zählen eigentlich nicht. Als existierte neben Kindern nichts Sinnstiftendes auf dieser Welt.
Im schlimmsten Fall gelten Kinderlose als biestige Karrieristinnen und stehen unter dringendem Egoismusverdacht, als Yoko Onos im drohenden Kollaps des sozialen Zusammenhalts. Kinderlose Frauen berichten, es beschleiche sie ein permanent schlechtes Gewissen gegenüber Menschen mit Kindern, müden Mienen und dunklen Ringen unter den Augen, weil sie selbst in der Nacht durchgezecht, durchgeplaudert oder durchgeschlafen haben. Wohlgemerkt handelt es sich auch um Frauen, die sich regelmäßig in den Dienst der Gesellschaft stellen, um es einmal pathetisch zu formulieren, die als Sozialarbeiterinnen oder Lehrerinnen tätig sind, sich in Vereinen, Kirchen, NGOs engagieren. Dennoch wissen sie um ihre zugeschriebene Rolle als lasterhafte Hedonistinnen, die schon sehen müssen, wo sie bleiben, wenn am Ende der Party niemand da ist, der „Mama“ zu ihnen sagt oder ihnen die Rente sichert.
Kinderlose Frauen als Provokation
Kinderlose Frauen sind eine Provokation, wenn die Bevölkerung schrumpft und der Zusammenbruch der sozialen Sicherung droht. Auch die Hexenverbrennungen fallen ja in eine Zeit, die von einem massiven Bevölkerungsschwund gekennzeichnet war. Abgesehen davon war der weibliche Lebensentwurf ohne Kinder bis ins 19. Jahrhundert hinein alles andere als untypisch, schreibt die Soziologin Correll, auch weil Elternschaft streng reguliert war, zum Beispiel mit Heiratsschranken für Studenten, Mägde, Knechte, Soldaten und Dienstboten. Bis ins vorletzte Jahrhundert hinein war ein Drittel aller Frauen mehr oder weniger gewollt kinderlos. Weniger als ein Fünftel der Frauen, die heute keine Kinder haben, bleiben laut Schätzungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung freiwillig kinderlos. Frauen, die heute immerhin formal die Wahl haben – und dennoch kritisch beäugt werden.
Der Druck auf gleichaltrige Männer fällt vergleichsweise mild aus. Was in der Natur der Sache liege, so wird es gern behauptet: Mit jedem neuen Tag schließt sich bei den Frauen das Zeitfenster knarzend um einen weiteren Millimeter, während die ewig herbeizitierte biologische Uhr immer schriller tickt und davor warnt, dass die Aufnahme in die semantisch hässliche Gruppe der „Risikoschwangerschaften“ und „Spätgebärenden“ unweigerlich bevorsteht – egal, ob sie nun Kinder wollen oder nicht. Unterdessen genießen die Männer die vermeintliche Freiheit, sich nicht entscheiden zu müssen. Rein biologisch scheint ihnen Vaterschaft bis in alle Ewigkeit ja gewiss. Diese Daddys sind selbst mit graumelierten Schläfen noch attraktiv.
Jede Frau ist eine potentielle Mutter
Auch die amtliche Statistik ist ausschließlich auf Mütter oder Frauen ohne Kinder fixiert: Im Mikrozensus etwa verschwinden Väter massenweise aus den Datensätzen, weil man bei der Erhebung nur die aktuelle Zusammensetzung des Haushalts abfragt. Nach Trennung oder Scheidung bleiben die meisten Kinder bei den Müttern – eine Zuordnung zum biologischen Vater ist für die Statistiker nicht mehr möglich. Männer, die nicht mit Kindern zusammenleben, haben laut Statistik auch keine. Amtliche Erhebungen zu Fertilität und Kinderlosigkeit geschehen also ausschließlich über Mutterschaft.
Im Prinzip werden Männer doppelt geschont, um es einmal zuzuspitzen: Sie werden viel seltener mit der Frage belästigt, ob sie Vater werden wollen oder, zum Beispiel im Bewerbungsgespräch, ob sie es schon sind. So bleibt der Mann einfach Mann, jede Frau aber ist immer eine potentielle Mutter.
Kaum jemand spricht davon, dass es in kinderlosen Partnerschaften häufig die Männer sind, die gar keine Kinder wollen. Oder dass auch ihre Zeugungsfähigkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Dass Väter jenseits der 45 eher die Ausnahme sind, weil es nun einmal empirisch so ist, dass Männer oft nur wenig älter sind als ihre Partnerinnen. Niemand spricht vom Zeugungsmythos – während in der öffentlichen Debatte seit Jahren mit Blick auf die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin an einer Fruchtbarkeitsillusion gebastelt wird, die auch in diesem Sommerloch wieder eine Hochkonjunktur erlebt. Von der homöopathischen Heilmassage bis hin zum social egg freezing, dem Einfrieren der Eizellen, mag inzwischen alles möglich sein, um zum denkbar spätesten Zeitpunkt doch noch schwanger zu werden.
Künstliche Fortpflanzungstechniken
Der medizinische Fortschritt dürfte Frauen, die nein zum Kind sagen, noch stärker unter Druck setzen. Vielleicht sind es nur wenige Frauen, die sich zu künstlichen Fortpflanzungstechniken entschließen, und vielleicht erhöhen sich auch die Erfolgschancen nur graduell – die sogenannte Baby-take-home-Rate liegt je nach Verfahren zwischen elf und 25 Prozent. Dennoch wird die vermeintliche neue Machbarkeit Einfluss ausüben, ein neues Möglichkeitsbild zeichnen.
Viele der meisten – und halbwegs akzeptierten – Gründe, keine Kinder zu bekommen, fallen dann jedenfalls weg: Mit fünfzig wird eine Frau wohl den richtigen Partner gefunden haben (ansonsten mag mit ihr ohnehin etwas nicht stimmen). In dem Alter wird sie hoffentlich auch genug Stufen auf der Karriereleiter erklommen haben, um sich in die Babypause zu wagen. Wenn der Job sicher ist, kann man selbstverständlich auch für ein Kind entspannter sorgen.
Doch letztlich kapitulieren wir mit der Hoffnung auf den medizinischen Fortschritt vor einem gesellschaftspolitischen Problem, verlagern die Lösung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf die Ebene der Technik. Wir frieren unsere Eizellen ein, anstatt uns gegen die Anforderungen der Arbeitsgesellschaft mit 40-Stunden-Wochen, Zweijahresverträgen und Dauererreichbarkeit zu wehren, die jedes harmonische Miteinander von Arbeit und Leben (auch ohne Kinder) schwer möglich macht. Wir verschieben die Schwangerschaft ins hohe Alter, statt unsere normierten Zeitpläne auf den Prüfstand zu stellen. Erst das Kind und dann die Ausbildung? Oha! Wer muss da nicht an die Unterschichtenmamis in Jogginghosen denken? Aber warum sollten Frauen nicht Kinder bekommen, wenn sie noch auf der Höhe ihrer Kräfte sind – vorausgesetzt, sie erhalten Unterstützung von der Gesellschaft?
Gefühl der Unvollständigkeit
“Sie können Lehrerinnen werden, sie können Hirnchirurginnen werden“, hat die Nobelpreisträgerin Toni Morrison in einem Interview mit dem Magazin „Time“ vor zwanzig Jahren sehr schlicht auf die Frage geantwortet, ob sich junge Mütter nicht ein Leben lang grämen müssten, nicht alle Optionen im Berufsleben genutzt zu haben. Morrison: „Wir müssen ihnen nur dabei helfen, Hirnchirurginnen zu werden.“ Davon würden auch all die Lehrerinnen und Hirnchirurginnen, die keine Kinder wollen, profitieren.
Denn kinderlose Frauen wird man wohl erst in Ruhe lassen, wenn die Bevölkerungskurve wieder ansteigt. Oder wenn man einen Weg gefunden hat, die Finanzierung der sozialen Sicherung von der Logik des Generationenvertrages zu entkoppeln. Oder wenn wir einen Zustand erreicht haben, in dem die Gesellschaft nicht alle Frauen auf ihr biologisches Potential reduziert. Wenn ein glückliches Frauenleben nicht unweigerlich Mutterglück bedeutet. Bis dahin werden sie sich immer wieder fragen lassen müssen, ob die Summe aus Arbeit, Politik, Fernreisen und Freundschaftspflege es wert war, darauf zu verzichten. Und sich vermutlich irgendwann selbst unvollständig fühlen. Da wundert es fast, dass verschiedene Studien dennoch zu dem Ergebnis kommen, dass sich Eltern und Personen ohne Kinder im Seniorenalter nicht in ihrer Lebenszufriedenheit unterscheiden.
