Klima

Wer die Welt simuliert, hat die Wahrheit nicht gepachtet

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Wie viel Realität steckt in Klimamodellen? Fakt ist: Die Komplexitäten nehmen zu, die Unsicherheiten aber auch. Wie kann die Forschung da glaubwürdig bleiben?

“Klimamodelle am Limit?“ Möglich, dass die Wissenschaftler, an die dieser Titel gerichtet war, die Frage nur ungern zur Kenntnis genommen haben und deshalb auch den zugehörigen Text nicht so verstanden haben wollten, wie es im Juni vergangenen Jahres in „Nature“ gemeint war. Die Reaktionen darauf jedenfalls blieben schwach. Wer sind auch schon Mark Maslin und Patrick Austin? Die beiden Fragesteller, Umweltforscher am University College in London, haben die Gemeinde der Klimamodellierer, die seit Jahrzehnten an der politischen Front für den Klimaschutz kämpfen, eindringlich gewarnt: Wenn ihr die Öffentlichkeit nicht frühzeitig und ehrlich aufklärt, bekommt ihr spätestens mit der Veröffentlichung des fünften Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC im kommenden Jahr ein „ernstes Imageproblem“. Nicht nur das: Die Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel.

Der Grund für diesen politisch einigermaßen unkorrekten Vorstoß ist ein ganz profaner und harmloser – wenn man die Ergebnisse der Klimamodellierungen allein wissenschaftlich betrachtet: Die Unsicherheitsspannen in den Modellergebnissen werden vermutlich nicht etwa kleiner werden im neuen Weltklimabericht, sondern tendenziell größer. Zwar wächst jedes Jahr das physikalische Wissen über Einzelheiten des Klimasystems, und die Datenberge nehmen massiv zu, die Rechenmodelle werden auch zusehends komplexer und die Algorithmen umfangreicher. Aber das Hinzufügen von „known unknowns“, wie es Maslin und Austin schreiben, also die Berücksichtigung von neuen Kenngrößen, die im Einzelnen oft nur ansatzweise physikalisch verstanden und im grob gerasterten Modell zudem nur rudimentär dargestellt – parametrisiert – werden können, lässt die Ergebnisse nicht sicherer, sondern unsicherer erscheinen.

Eine „Kaskade an Unsicherheiten“ baue sich auf. Ein Dilemma, das die Klimaforscher seit Jahren als methodisches, bestenfalls als akademisches Problem verstanden haben wollen. Maslin und Austin geben ihnen darin recht: „Trotz der Unsicherheit wiegen die wissenschaftlichen Beweise genug, die uns sagen, was zu tun ist.“ Mit anderen Worten: Unsicherheit hin oder her, der anthropogene Klimawandel ist Realität, und die Regierungen müssen also umweltpolitisch handeln. Was aber, wenn die Öffentlichkeit die Modellergebnisse genau so sehen will, wie es die Wissenschaftler zu vermeiden versuchen: als simulierte Realität? Oder schlimmer: Wenn die Wissenschafter selbst ihre Prognosen mit einer Selbstverständlichkeit vorgetragen haben wie vor viereinhalb Jahren vom führenden deutschen Klimaforscher, Hans-Joachim Schellnhuber, in dieser Zeitung: „Gelingt die Abgas-Trendwende bis 2020 nicht, dann dürfte eine Erderwärmung mit verheerenden Folgen, etwa dem Abschmelzen des Grönland-Eisschildes und dem Kollaps des Amazonas-Regenwaldes, kaum noch zu vermeiden sein.“ Bis 2080 könnte es zu einem „vollkommenen Zusammenbruch des Amazonasregenwaldes kommen“, schrieb der Potsdamer Klimaforscher in einem anderen Aufsatz über die neun „Kippelemente“ des Weltklimas, die er zusammen mit anderen Forschern definiert hatte.

Die Versteppung eines Großteils des Amazonas war auch im vierten IPCC-Bericht eines der wahrscheinlicheren Szenarien. Vor zwei Jahren kam schließlich ein Manifest von 19 renommierten Klimaforschern heraus, in dem ist zu lesen: „Es gibt zahlreiche Belege aus den Messungen in den Wäldern, die zeigen, dass der Amazonas tatsächlich sehr empfindlich auf Trockenstress infolge der Erderwärmung reagiert.“ Und in der Tat: Noch im Januar dieses Jahres hat die Nasa die schleppende Erholung des Amazonas nach der Megadürre und dem Baumsterben im Jahr 2005 mit Analysen von Satellitendaten dokumentiert (http://tinyurl.com/d8zta9g). Und doch ist das alles, wenn man der jüngsten Modellstudie Glauben schenken will, Makulatur im Hinblick auf die Klimazukunft. In der Zeitschrift „Nature Geoscience“ (doi: 10.1038/ngeo1741) stellt Chris Huntingford vom Centre for Ecology and Hydrology in Wallingford zusammen mit britischen, amerikanischen und brasilianischen Forschern die Ergebnisse von Simulationen mit den 22 wichtigsten, für den IPCC genutzten Klimamodellen vor, die um ein aktuelles Landflächenmodell ergänzt wurden.

Auch Messdaten von Beobachtungsnetzwerken wurden zur Evaluierung der Temperatur- und Niederschlagsabschätzungen berücksichtigt. Ergebnis: „Der Schaden für die Regenwälder dürfte bis zum Jahr 2100 deutlich geringer sein, als frühere Studien vermuten lassen“, heißt es in dem Paper. Auch in dem Extremszenario, dass die Emissionen weiter steigen wie bisher – „Business as usual“ -, und sich der Kohlendioxidgehalt bis 2100 mehr als verdoppelt, ist in den 22 Modellen langfristig kein Schrumpfen der Tropenwälder zu erkennen. Zu einem Verlust an Biomasse kam es weder in Amerika, Asien, noch Afrika – mit einer Ausnahme: In dem Modell des britischen Hadley-Centres schrumpften die Amazonas-Wälder. Doch schon die afrikanischen und asiatischen Tropenwälder erwiesen sich auch bei ihm – virtuell – als überaschend widerstandsfähig. Der Düngereffekt des vermehrten Kohlendioxids könnte demnach die durch Trockenheit verursachten Störungen kompensieren, teils überkompensieren.

Die große Unsicherheit, eigentlich müsste man sagen: der Widerspruch zu früheren Modellen, liegt den Autoren zufolge weniger an den Klima-Algorithmen, auch nicht an den Niederschlagsprognosen, sondern vor allem in dem Biosphärenanteil der erweiterten Modelle. „Die physiologische Reaktion der Pflanzen ist die größte Unbekannte.“ Konkreter: Nicht die Frage, ob es weniger regnet, sondern wie die Blätter der Bäume ihre Photosynthese und Atmung anpassen, entscheidet darüber, ob die Wälder kollabieren oder nicht. Leider sind die Pflanzenphysiologen in dieser Hinsicht noch nicht zu eindeutigen Antworten gekommen. Auch da Widersprüche, Lücken und offene Fragen. Klar sind konkrete Zukunftsaussagen mit Modellen, die auf solchen Defiziten basieren, mit Vorsicht zu genießen. Was nicht in gleicher Weise für die großklimatischen Veränderungen in der Realität gilt. Anders ausgedrückt: Mit der Algorithmenvielfalt wächst der Interpretationsbedarf in der Wissenschaft, der politische Spielraum für den Klimaschutz wird hingegen eher geringer.