Medizin

Die Polypille ist nur bedingt erfolgreich

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Kompakttabletten mit mehreren Herzmitteln konnten sich bisher nicht im Markt behaupten. Nun zeigt eine Studie die Vor- und Nachteile für Patienten.

Patienten mit Herzinfarkten, Schlaganfällen und anderen arteriosklerotisch bedingten Erkrankungen müssen in der Regel eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen. Hierzu zählen üblicherweise Cholesterinsenker, blutverdünnende Arzneien und – oft mehrere -Blutdruckmittel, sogenannte Antihypertensiva. Bei älteren Betroffenen kommen häufig noch weitere Medikamente hinzu, darunter etwa Schmerzmittel und Antidiabetika. Dass eine solche Polypharmazie viele Menschen überfordert, ist wenig erstaunlich. Englische Kardiologen haben vor einigen Jahren daher vorgeschlagen, die meist gemeinsam verordneten Herzkreislaufmittel in eine einzige Tablette zu packen. Von der Fachwelt zunächst begeistert aufgenommen, konnte sich das Konzept der Polypille bislang allerdings nicht behaupten. Zum Teil mag dies an regulatorischen Hürden liegen, zum Teil aber auch an der Schwierigkeit, den individuellen Patientenbedürfnissen – etwa was die Wahl und die Dosierung der einzelnen Medikamente angeht – gerecht zu werden.

Ungeachtet derartiger Hindernisse haben sich europäischen und indische Forscher um Simon Thom vom National Heart and Lung Institute am Imperial College in London nun die Mühe gemacht, die Sicherheit und den Nutzen zweier einschlägige Polypillen genauer zu untersuchen. Die an ihrer Studie beteiligten Probanden, rund zweitausend Männer und Frauen mit hohem Risiko für arteriosklerotisch bedingte Gefäßverschlüsse, hatten größtenteils bereits die gängigen Herzkreislaufmittel erhalten. Eine Hälfte von ihnen wurde daraufhin wie gewohnt weiterbehandelt- der anderen Hälfte verabreichten die Ärzte eine von zwei frei wählbaren Polypillen: Beide enthielten einen Blutverdünner (75 Milligramm Aspirin), einen Cholesterinsenker (40 Milligramm Simvastatin) und zwei Antihypertensiva, darunter einen ACE-Hemmer (10 Milligramm Lisinopril) und – hierin bestand der einzige Unterschied – entweder einen Betablocker (50 Milligramm Atenolol) oder eine „Wasserpille“ (12,5 Milligramm Hydrochlorothiazid).

Verbesserte Therapietreue

Sechzehn Monate später zogen die Wissenschaftler dann Bilanz. Wie sie im Journal der amerikanischen Medizingesellschaft („JAMA“, Bd. 310, S. 918) berichten, führte die Anwendung der Kompaktpille zu einer merklichen Besserung der Therapietreue, der Therapieadhärenz. So nahmen 85 Prozent der hiermit behandelten, aber nur 65 Prozent der mit den einzelnen Medikamenten versorgten Patienten ihre Tabletten regelmäßig ein. Am meisten erhöhte die Polypille das Durchhaltevermögen von Personen, die ihre Arzneien zuvor besonders häufig vernachlässigt hatten. In diesem Kollektiv betrug der Anteil an therapietreuen Probanden am Ende der Studie 77 Prozent, im anderen hingegen lediglich 23 Prozent. Ebenfalls positiv: Die konsequentere Anwendung der Medikamente schlug sich in einem vergleichsweise tieferen Blutdruck und einem geringeren Blutfettgehalt nieder. Herzkreislaufattacken kamen andererseits in beiden Gruppen ähnlich oft vor.

Wie der amerikanische Alternsforscher Michel Gaziano von der Harvard Medical School in Boston in einem Editorial (S.910) hervorhebt, steht nach wie vor in den Sternen, ob sich die Polypillen-Strategie in der Herzkreislaufmedizin durchzusetzen vermag. Zwar hätte sie die Therapieadhärenz der untersuchten Patienten teilweise merklich gesteigert. Das Risiko für Herzkreislaufattacken sei zugleich aber nicht zurückgegangen. Als einen möglichen Grund für den fehlenden Behandlungserfolg nannte Gaziano die relativ kurze Laufzeit der Untersuchung. So reichten sechzehn Monate wahrscheinlich nicht aus, um nennenswerte gesundheitliche Unterschiede zwischen den Therapiegruppen aufzudecken. Aber auch die Wahl der in der Kompaktpille enthaltenen Wirkstoffe könnte dabei eine gewisse Rolle gespielt haben. Jedenfalls gibt es Forscher, die auf andere „Rezepturen“ schwören. Wie Gaziano lakonisch feststellt, gibt es noch einen weiteren Weg, die Zahl der einzunehmenden Tabletten zu verringern: „Einige Medikamente kann man schlicht weglassen.“ Oft von unterschiedlichen Ärzten verordnet, hätten manche Mittel nämlich nur einen marginalen gesundheitlichen Nutzen.