
Als Chefdesigner bei Louis Vuitton revolutionierte Marc Jacobs auch die Handtaschen. Werden diese Vintage-Modelle nach seinem Abschied wertvoller? Ein Gespräch mit Matthew Rubinger, Experte für Luxusgüter beim New Yorker Auktionshaus Heritage Auctions.
Herr Rubinger, wie wichtig sind die Handtaschen von Louis Vuitton für Auktionshäuser?
Sie werden immer wichtiger. Für uns sind Hermès, Chanel und Louis Vuitton die drei wichtigsten Marken, übrigens in dieser Reihenfolge. Als Auktionshaus müssen wir ja, anders als Kaufhäuser oder Boutiquen, weder auf Trends achten noch unsere Einkäufe dementsprechend ausrichten. Wenn morgen plötzlich Céline-Taschen zu Sammlerstücken werden sollten, wie es bei Modellen dieser drei Marken der Fall ist, dann würde Céline unsere wichtigste Marke werden. Interessanterweise ist Louis Vuitton dabei aber nicht konstant.
Inwiefern?
Als die Graffiti-Kollektion von Stephen Sprouse im Jahr 2001 lanciert wurde, ist die Marke, im Hinblick auf den Wert, den Sammlerstatus, die Anfragen, nach ganz oben geschossen. Dasselbe im Jahr 2002, als die bunte Kollektion von Takashi Murakami lanciert wurde: Die Marke schoss wieder nach oben. Diese beiden Kollektionen haben Louis Vuitton zur Nummer eins auf Auktionen gemacht. Seitdem ist die Marke aber für uns als Auktionshaus auf Nummer drei zurückgefallen, was immer noch hoch ist. Aber was wichtig ist und was nicht, ändert sich von Jahr zu Jahr. Auch Stücke, die in der ersten Saison eher unbeliebt waren, können später noch wichtig werden.
Inwiefern kann man von einer langfristigen Wertsteigerung bei Handtaschen von Louis Vuitton sprechen?
Auch das haben wir zum Beispiel an den ersten Stephen-Sprouse-Modellen und den ersten Murakami-Taschen gesehen. In den frühen 2000ern haben sie sehr schnell große Beliebtheit erlangt, die hat dann in der Mitte des Jahrzehnts und gegen Ende etwas abgenommen.
Warum?
Das lag an dem Zeitpunkt. Sie waren noch zu neu, um alt zu sein, und zugleich nicht mehr aktuell genug. Es war eine Tasche von vor zwei Jahren. Aber heute denken die Leute anders über die Kategorie. Diese Einkäufer sehen sich als Sammler und kaufen die Taschen als Investition, nicht als Shopping-Produkt.
Das klingt, als hätten die Künstler einen großen Teil zum Sammlerwert von Louis-Vuitton-Taschen beigetragen. Wie viel sind die denn jetzt wert?
Unsere Holiday Auktion findet am 10. Dezember in New York statt, und dort wird auch die allerwichtigste Tasche aus der ersten Murakami-Kollektion dabei sein. Es gab ja unheimlich viele Stücke, aber dieses eine Modell, die „Eye Dare You“-Tasche, ist die größte und seltenste aus der ersten Kollektion. Ihr Schätzwert liegt bei 4000 bis 6000 Dollar. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie für viel mehr versteigert werden würde. Einmal, weil das Modell so selten ist, und auch, weil Marc Jacobs nun Louis Vuitton verlässt.
Das heißt, dass die seltenen Louis Vuitton-Taschen mit Marc Jacobs’ Weggang im Wert steigen?
Ja, in dem Moment, als sein Rücktritt bekanntgegeben worden ist, sind jene Taschen, die unter seiner Federführung entstanden sind, wertvoller geworden. Das hat man auch nach dem Tod von Stephen Sprouse gesehen. Sofort sind die Sprouse-Taschen von 2001 im Wert gestiegen.
Nun ist Marc Jacobs aber nicht gestorben.
Aber allein die Tatsache, dass er für Louis Vuitton keine Taschen mehr entwirft, reicht, dass die schon bestehenden Modelle an Besonderheit gewinnen.
Wie sieht es mit den restlichen Taschen aus, die in jeder Louis-Vuitton-Boutique zu finden sind? Werden diese Modelle mit Marc Jacobs’ Weggang auch wertvoller?
Na ja, Louis Vuitton fertigt ja sehr viele Taschen. Auf Auktionen bestimmt die Seltenheit den Wert des Stücks. Nur weil eine Tasche teuer ist, ist sie nicht unbedingt auch für einen anspruchsvollen Sammler interessant.
Ab wann kann man eigentlich von Seltenheit sprechen?
Von den Show-Bags aus den 2000ern wurden oft nur zehn, fünf oder sogar lediglich zwei gefertigt. Die gab es dann auch in den Boutiquen zu kaufen, dort haben sie einen Besitzer gefunden, und anschließend hat niemand sonst mehr weiter über sie nachgedacht. Aber jetzt, da sie so selten sind, suchen Sammler und Leute, die sich am Puls der Mode bewegen, nach Modellen, die sonst niemand hat. Und von einem Modell, von dem es im Jahr 2004 nur zwei gab, könnte heute gut nur noch eins in einem passablen Zustand sein.
In solche Taschen zu investieren, ist also eine ziemlich sichere Anlage?
Solche Taschen zu einem vernünftigen Preis zu bekommen, kann sich später als unbezahlbar herausstellen. Der Wert dieser Modelle steigt ganz natürlich mit der Zeit, das war schon vor der Nachricht vom Weggang von Marc Jacobs so. Aber die Wertsteigerung wird nun, mit dieser Neuigkeit, noch mal ganz anders an Fahrt gewinnen.
Wer kauft eigentlich solche Stücke auf Auktionen?
Unsere Käufer leben auf der ganzen Welt. Die Leute denken immer, dass unsere Sammler nur in Hongkong leben oder in Moskau, aber das stimmt überhaupt nicht. Wir haben zwar viele Top-Bieter in Asien, viele in Russland und im Mittleren Osten, aber auch viele in Europa und den Vereinigten Staaten. Neben Münzen ist die Luxusmode mittlerweile eine unserer globalsten Kategorien. Viele Leute suchen nach demselben Stück.
War Mode schon immer so wichtig für Auktionshäuser?
Mode ist wichtiger geworden. Ich habe die Kategorie erst vor viereinhalb Jahren gegründet, und damals rechnete ich mit einem ziemlich exklusiven Kreis, der sich dafür interessieren würde. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Kunden, die früher viele Handtaschen gekauft haben, identifizierten sich nicht als Sammler. Heute sehen sie auf Auktionen Taschen, die sie besitzen, für die andere 2000, 3000 oder 50.000 Dollar bieten. Und plötzlich verstehen sie, dass sie auch Sammler sind. Interessanterweise sind das meistens Frauen.
Das überrascht Sie doch nicht wirklich, oder?
Die Top-Bieter auf Auktionen sind Männer, Sammler sind für gewöhnlich männlich. In allen unseren anderen Kategorien überwiegen die männlichen Kunden eindeutig. Mode ist eine der wenigen Segmente, in denen Frauen vorne liegen.
Wer sind diese Frauen? Verdienen sie ihr eigenes Geld, oder sind es eher „trophy wives“?
Man hat beides. Da sind Anwältinnen, Bankerinnen, Frauen, die in Kalifornien in der Musik- und Filmbranche arbeiten, oder Finanzfrauen aus Hongkong, aber ebenso junge Ehefrauen von älteren reichen Männern, ältere Frauen von jüngeren reichen Männern, Mitglieder von Königshäusern. Von den Mittzwanziger-Mädchen aus Manhattan, die ihre ersten teuren Taschen kaufen und nach welchen suchen, die sonst niemand hat, bis zu Frauen, deren Männer Hotels in Las Vegas besitzen und für die eine Hermès-Birkin-Bag für 200.000 Dollar zum wichtigsten Stück ihrer Sammlung wird, ist alles dabei.
Vor zwei Jahren ist diese Birkin-Bag von Hermès in Ihrem Auktionshaus als teuerste Tasche der Welt ersteigert worden. Das spricht auch dafür, dass die Preise immer weiter steigen. Wie wird es weitergehen?
Vor ein paar Jahren haben sich die Leute für 10.000 oder 5000 Dollar eher seltene Modelle von Chanel und Hermès gekauft. Das ändert sich gerade, weil viele der Louis-Vuitton-Taschen aus den 2000ern eben so selten sind. Und überhaupt, in dieser Saison sind die neuen Modelle der Marke sehr stark. Auch das lässt die Leute auf die Archivstücke zurückblicken. So ähnlich ist es übrigens auch bei Dior passiert, wenn auch eher mit der Prêt-à-porter-Linie des Hauses.
Als Raf Simons dort Chefdesigner wurde?
Genau. Dior wurde zum Gesprächsthema. Der Chefdesigner hat großen Einfluss auf den Markt. Wenn ein Star-Designer an Bord kommt, liegt der Fokus sofort auf der Marke.
Was für einen Effekt könnte also Nicolas Ghesquière haben, der ehemalige Chefdesigner von Balenciaga, der gerade als Kandidat für Marc Jacobs’ Posten gehandelt wird?
Das kommt drauf an. Wenn er wirklich auf den Posten rücken sollte, wird man zu 100 Prozent auf Louis Vuitton blicken. Er ist ein extrem berühmter Designer, in der Geschichte des Hauses Balenciaga hat er ein paar der berühmtesten Taschen entworfen, davon profitiert eine Marke im ersten Jahr ungemein. Allein dass er da ist, würde dabei übrigens schon reichen. Im zweiten und dritten Jahr wird es dann aber natürlich wichtig, was er auch entwirft.
