Europäische Union

Satelliten und Drohnen für die Flüchtlinge

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Mitten in der Debatte über die Flüchtlingspolitik nach der Tragödie vor Lampedusa hat das EU-Parlament zugestimmt, neue Technologie zur Überwachung ihrer Außengrenzen einzusetzen. Das System „Eurosur“ soll auch helfen, rechtzeitig Migrantenboote in Seenot zu orten.

Nach dem Flüchtlingsdrama vor der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa mit mehr als 300 Toten wird heftig über die Konsequenzen für die EU-Flüchtlingspolitik debattiert. Dabei geht es auch um die Frage, wie Flüchtlingen, die bei der risikoreichen Überfahrt nach Europa mit ihren Booten in Seenot geraten, besser und schneller geholfen werden kann. Auch das neue Eurosur-System werde helfen, hieß es zuletzt. An diesem Donnerstag hat das Europaparlament in Straßburg dem Gesetzesentwurf zugestimmt, der das neue Überwachungssystem ermöglicht.

Die Europäische Union setzt damit künftig auf mehr Spitzentechnologie, um ihre Mittelmeer- und andere Außengrenzen zu überwachen. Das Projekt war bereits lange vor der Tragödie vor Lampedusa in die Wege geleitet worden. Über ein Kommunikationsnetzwerk, das sich unter anderem auf Satelliten- und Drohnendaten stützt, wollen die EU-Länder mehr irreguläre Einwanderer aufspüren und auch Boote in Seenot orten.

Monatelang war heftig umstritten, mit welcher Priorität in dem Gesetzesvorschlag die Seenotrettung erwähnt werden sollte. Ein Änderungsantrag der Grünen-Fraktion, die die Rettung noch vor dem Kampf gegen illegale Migration und grenzüberschreitende Kriminalität nennen wollte, fand im Plenum keine Mehrheit.

Laut einem Parlamentsmitarbeiter hatten sich vor allem die europäischen Regierungen im EU-Ministerrat gegen Klauseln dieser Art ausgesprochen. Das Gesetz verpflichtet die Länder jedoch, bei Eurosur-Einsätzen die Menschenrechte zu achten und Menschen nicht an Orte zurückzuschicken, an denen ihr Leben und ihre Freiheit bedroht ist.

Linkspartei: „Investitionsprogramm für die Rüstungsindustrie“

Eurosur soll im Dezember 2013 in allen EU-Mitgliedsstaaten mit Außengrenzen starten, ein Jahr später in allen übrigen Staaten. Laut Europaparlament haben 2012 mehr als 72.000 Menschen die EU-Außengrenzen illegal überquert, doppelt so viele wie im Jahr davor.

Die Linkspartei im Parlament nannte Eurosor „ein rund 340 Millionen Euro teures Investitionsprogramm für die Rüstungsindustrie“.

Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström erklärte hingegen, das System werde auch dazu beitragen, die Rettung von Migranten zu verbessern, die mit kleinen Booten versuchen, europäische Küsten zu erreichen.

Wie funktioniert Eurosur?

Durch das Kommunikationssystem sollen die für die Überwachung der Land- und Seeaußengrenzen zuständigen Behörden der EU-Staaten wie Polizei, Küstenwache oder Grenzschutz schneller und einfacher Informationen etwa über den Standort von Flüchtlingsbooten austauschen können, die sie zum Beispiel durch die Überwachung der Grenzen mit Satelliten gewonnen haben.

Neu aufzubauende nationale Koordinierungszentren sollen so eng untereinander sowie mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten und Lagebilder und Risikoanalysen etwa über Schmuggelrouten für Drogen und Menschen austauschen.

Das Informationssystem soll ab Anfang Dezember einsatzbereit sein. Die Kosten für Einrichtung, Betrieb und Personal für die Jahre 2014 bis 2020 sind auf 244 Millionen Euro veranschlagt worden, das Geld ist bereits im EU-Haushalt verplant und muss nicht extra von den Mitgliedstaaten bezahlt werden.

„Der Einsatz von Eurosur wird unter der Voraussetzung des vollen Respekts von Grundrechten und dem Prinzip der Nicht-Zurückweisung erfolgen“, versichert Malmström.

Grüne: Lebensrettung sei nur ein „Nebeneffekt“

Die Mitgliedstaaten hätten sich aber dagegen gewehrt, die Rettung von Flüchtlingen aus Seenot zu verbessern und diese Aufgabe zum Kernziel des Systems zu machen, bemängelt die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller. „Sie wollen Küstenpatrouillen und die Überwachung des Mittelmeers mit Satelliten und anderen Überwachungstechnologien gegen irreguläre Migration verschärfen.“ Lebensrettung sei nur ein „Nebeneffekt“, kritisieren die Grünen.

Der niederländische Berichterstatter Jan Mulder erklärte dagegen, „nur mit einem europaweiten Grenzüberwachungssystem können wir verhindern, dass das Mittelmeer ein Friedhof für Flüchtlinge wird, die es in seeuntüchtigen kleinen Booten auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa zu überqueren versuchen.“

Bei der Verwendung von Eurosur müssten die EU-Länder stets die Menschenrechte achten, einschließlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung, der es verbietet, Menschen an einen Ort zurückzuschicken, an dem ihr Leben oder ihre Freiheiten bedroht sein könnten. So stehe es in der Vereinbarung zwischen dem Parlament und den EU-Ländern.

Datenaustausch via Eurosur soll Ausnahme bleiben

Nach Angaben des EU-Parlamentes muss das System auch die von der EU festgelegten Grundrechte einhalten sowie den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten. Jeder Austausch von personenbezogenen Daten via Eurosur werde eine Ausnahme bleiben und datenschutzrechtliche Bestimmungen einhalten.

Zudem dürfen EU-Länder Eurosur nicht verwenden, um einem Drittland Informationen zu übermitteln, die dazu verwendet werden könnten, Personen ausfindig zu machen, deren Antrag auf internationalen Schutz noch geprüft wird oder die ernsthaft gefährdet sind, Opfer von Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe oder einer anderen Verletzung der Grundrechte zu werden.

Die Eurosur-Vorschriften gelten unmittelbar und in allen ihren Teilen verbindlich in den EU Mitgliedstaaten. Dementsprechend richten Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Ungarn und Zypern ab dem 2. Dezember 2013 ein nationales Koordinierungszentrum ein. Die übrigen Mitgliedstaaten folgen ab dem 1. Dezember 2014.

Das neue Eurosur-Grenzkontrollsystem wurde im Parlament mit 479 Stimmen angenommen, bei 101 Gegenstimmen und 20 Enthaltungen.