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Auswärtiges Amt bestellt amerikanischen Botschafter ein

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Der amerikanische Geheimdienst NSA hat offenbar das Smartphone der Kanzlerin abgehört. Der BND geht von einer Spionageattacke auf Merkel aus. Nach ihrem Telefonat mit Obama heißt es aus dem Kanzleramt, die Vorwürfe seien nicht ausgeräumt.

Das Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist offenbar zumindest zeitweilig vom amerikanischen Geheimdienst überwacht und angezapft worden. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das für den Schutz der Regierungskommunikation zuständig ist, verfolgt seit Tagen konkrete Hinweisen, wonach der amerikanische Militärgeheimdienst NSA Merkels Smartphone abgehört haben könnte. Dabei seien womöglich sensible Informationen abgezapft worden. Offenbar hatten „Spiegel“-Recherchen die Aktivitäten der Sicherheitsbehörden ausgelöst.

Das BSI kam zu dem Ergebnis, dass es einen Zugriff gegeben hat. Der Bundesnachrichtendienst (BND) war ebenfalls in die Überprüfung eingebunden. Auch dort kam man zum Schluss, dass es einen Daten-Abfluss von Merkels Telefon gegeben haben könnte.

Sitzung des Kontrollgremiums einberufen

Endgültige Beweise stehen zwar bislang noch aus. Von Seiten der Bundesregierung werden die Vorwürfe aber offenkundig als sehr ernst eingestuft. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat am Donnerstag den amerikanischen Botschafter in Berlin einbestellt. „Dabei wird ihm die Position der Bundesregierung deutlich dargelegt werden“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes.

Verteidigungsminister Thomas de Maiziere (CDU) sagte am Morgen in der ARD: „Wenn das zutrifft, was wir da hören, wäre das wirklich schlimm.“ Zwar seien die Amerikaner Deutschlands „beste Freunde“, aber: „So geht es gar nicht.“ De Maizière schloss auch Folgen für das transatlantische Verhältnis nicht aus: „Man kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen.“

Am Nachmittag wird sich auch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) in einer Sondersitzung mit den jüngsten Erkenntnissen befassen. Der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Oppermann (SPD), kündigte am Donnerstag an, er habe für 14 Uhr eine Sitzung der Runde einberufen. „Wer die Kanzlerin abhört, der hört auch die Bürger ab“, sagte Oppermann.„Die Überwachungstätigkeit der NSA ist völlig aus dem Ruder gelaufen und befindet sich offenbar jenseits aller demokratischen Kontrolle.“ Die jüngsten Berichte zeigten einmal mehr, „dass sich unsere Befürchtungen bestätigt haben“, so Oppermann weiter. Das PKG ist für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig.

Regierungssprecher: „Völlig inakzeptabel“

Am Mittwochabend hatte Regierungssprecher Steffen Seibert mitgeteilt, dass Merkels Telefon womöglich von amerikanischen Geheimdiensten ausgespäht worden sei. Die Bundesregierung habe entsprechende Informationen erhalten und bei der Regierung der Vereinigten Staaten „um sofortige und umfassende Aufklärung gebeten.“

Die Kanzlerin hatte am Mittwoch kurz nach 17 Uhr mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama 20 Minuten telefoniert. Laut Seibert habe Merkel dem amerikanischen Präsidenten klar gemacht, dass sie solche Praktiken, sollten sich die Hinweise der deutsche Behörden bewahrheiten, „unmissverständlich missbilligt und als völlig inakzeptabel ansieht“, sagte Seibert. Unter engen Partnern, wie es Deutschland und Amerika seit Jahrzehnten seien, dürfe es Überwachung der Kommunikation eines Regierungschefs nicht geben. Solche Praktiken stellten einen „einen gravierenden Vertrauensbruch“ dar und müssten unverzüglich unterbunden werden.

Am Donnerstagvormittag verlautete nach FAZ.NET-Informationen aus dem Kanzleramt, dass die Vorwürfe längst noch nicht ausgeräumt seien.

Weißes Haus: Wir überwachen nicht

Das Weiße Haus hatte nach dem Telefonat zwischen Merkel und Obama die Vorwürfe bestritten. Merkel werde nicht ausspioniert, sagte Regierungssprecher Jay Carney in Washington. Dies habe Obama Merkel in dem Telefonat versichert. Zudem hätten beide eine noch engere Zusammenarbeit der Geheimdienste vereinbart. Auf Praktiken der amerikanischen Geheimdienste in der Vergangenheit ging Carney jedoch nicht ein.

Amerika: Merkels Mobiltelefon wird nicht überwacht

Bereits im Sommer war nach Enthüllungen des ehemaligen amerikanischen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden bekanntgeworden, dass die NSA auch in Deutschland angeblich im großen Stil Kommunikation von Bürgern und Politikern auskundschaftet. Die Bundesregierung bemühte sich um Aufklärung. Nach Gesprächen erklärte sie den Vorwurf der massenhaften Ausspähung deutscher Daten für ausgeräumt.

In der Erklärung der Bundesregierung von Mittwoch heißt es weiter, als enger Bündnispartner der Vereinigten Staaten erwarte sie für die Zukunft „eine klare vertragliche Grundlage über die Tätigkeit der Dienste und ihre Zusammenarbeit“.

Grüne kritisieren Merkel

Politiker aller im Bundestag vertreten Parteien forderten inzwischen Aufklärung von den Amerikanern. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi sagte der Nachrichtenagentur dpa: „Diese Unverschämtheiten der Amerikaner müssen endlich unterbunden werden. Amerika ist keine Macht, der die Welt gehört. Ich erwarte jetzt nicht nur Proteste, sondern ernstzunehmenden Widerstand.“

Die Grünen kritisieren, wie zurückhaltend die Kanzlerin in den vergangenen Monaten auf die Spähvorwürfe gegen die NSA reagiert habe. „Es ist schon skandalös, dass die Regierung im Verlauf der gesamten NSA-Affäre beschwichtigt und vernebelt hat, jetzt aber, da es um die Vertraulichkeit der Kommunikation der Kanzlerin geht, ruft Merkel in eigener Sache den amerikanischen Präsidenten an und empört sich“, sagte der Abgeordnete der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, gegenüber „Handelsblatt Online“.

Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach sprach von „handfesten Belegen“ und einer „seriösen Quelle“ für die Vorwürfe gegen die amerikanischen Dienste. Andernfalls wäre die Bundesregierung mit den brisanten Informationen nicht an die Öffentlichkeit gegangen, sagte Bosbach.

„Das sprengt alle Dimensionen“, sagte der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann. Die Amerikaner müssten nun im Detail aufklären, damit das Verhältnis zwischen beiden Staaten nicht maßgeblich gestört werde. „Die Vereinigten Staaten laufen Gefahr, ihr Gesicht zu verlieren.“