
Ein Aushängeschild für Deutschland? Wohl kaum. Gleich zweimal hat die Max-Planck-Gesellschaft den Spitzenforscher wieder weg geschickt.
Herr Professor Südhof, selten war die Frage, ob ein Nobelpreisträger ein amerikanischer oder ein deutscher ist, so stark diskutiert worden. Ist es nun ein deutscher Nobelpreis, der an Sie ging?
Für mich ist die Frage nicht vorrangig. Ich fühle mich in vieler Hinsicht als Deutscher, aber ich bin kein deutscher Staatsbürger, weil ich vor langer Zeit den amerikanischen Pass angenommen habe. Das war organisatorisch notwendig.
War Ihnen klar, dass Sie in Amerika bleiben würden, als Sie nach dem Intermezzo als Max-Planck-Direktor zurück nach Dallas gingen?
Klar war mir das nicht, vor allem nicht nach der Geschichte in Göttingen.
Was war passiert? Sie haben schon mehrfach zu Protokoll gegeben, dass der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, Sie quasi zurück nach Amerika geschickt hätte. Einen kürzlich berufenen Max-Planck-Direktor wegzuschicken, ist alles andere als üblich. Mir hat Herr Markl jetzt noch mal versichert, er habe Sie bestimmt nicht aus Deutschland vertreiben wollen.
Er hat mir wortwörtlich gesagt: Gehen Sie doch zurück nach Amerika.
Was war vorgefallen? Weswegen wollte man Sie nicht halten?
Als ich auf den Direktoriumsposten am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin berufen wurde, gab es die Vorgabe, das Institut neu zu gestalten im Sinne der Neurobiologie. Deswegen bin ich nach Göttingen gekommen. Das war mir auch wichtig. Da ich in Deutschland einen Mangel an molekularen Methoden sah, habe ich eine Lücke gesehen. Damit hatte ich angefangen als Max-Planck-Direktor. Dann wurde Professor Markl Präsident, und er hat die Lage anders gesehen und verändert. Er hat einen weiteren auswärtigen Direktor berufen, Herrn Professor Huber, einen berühmten Kristallographen, der dann mit Herrn Professor Hilschmann, einen Immunologen der kurz vor der Emeritierung stand, die Berufungen am Institut organisieren sollte. Damit war ich nicht einverstanden. Das waren nicht die Voraussetzungen, die ich mir erhofft hatte. Professor Markl wurde daraufhin ungeduldig.
Hatten Sie damals schon ein konkretes Angebot aus Dallas?
Ich hatte ständig Angebote, und viele von amerikanischer Seite. Ich war ja auch damals schon ziemlich bekannt.
Sie waren seinerzeit als Direktor aber im Prinzip unkündbar.
Natürlich, mich hätte niemand herausschmeißen können, es hätte mir nichts passieren können. Wenn ich etwas älter und reifer gewesen wäre, hätte ich vielleicht auch anders reagiert und einfach ausgesessen.
Von dem jetzigen Direktor am Max-Planck-Institut, Herrn Stühmer, wurde jüngst angedeutet, dass Sie womöglich wegen der besseren Gehälter in die Vereinigten Staaten gegangen sind.
Am persönlichen Gehalt hat es überhaupt nicht gelegen. In der Wirtschaft mögen die Gehälter besser sein in den Vereinten Staaten, in der Forschung sind sie es nicht. Das Gehalt als Max-Planck-Direktor ist wahrscheinlich besser als das, was ich hier verdiene.
Was ist damals in Ihnen vorgegangen, muss man die Aufgabe eines so hohen Max-Planck-Postens nicht auch als Affront ansehen?
Das war natürlich für die Max-Planck-Gesellschaft ein Schock. Ich war wohl der Erste, der das gemacht hat. Für mich war das auch durchaus ein Verlust an Sicherheit und Macht. Aber wir forschen nicht um der Sicherheit und Macht willen, sondern weil wir daran glauben, was wir tun.
Sie sollen damals allerdings für Ihre molekularbiologischen Experimente Tierställe beantragt haben, die viel zu groß und teuer gewesen wären.
Klar, Tierställe kosten einiges. Als ich wegging von Göttingen, hat der Bundesrechnungshof der Max-Planck-Gesellschaft vorgeworfen, dass sie Geld verschwendet hätte, weil sie mir diesen Tierstall gebaut hatte. Das sei ja nun eine Geldverschwendung gewesen, weil ich ja wieder weggegangen sei. Ich war später noch einmal für eine Max-Planck-Stelle im Gespräch, genauer gesagt: vor zehn Jahren. Ich hätte das damals sogar durchaus in Betracht gezogen, aber dann hat der heutige Max-Planck-Präsident Professor Gruss gemeint, das sei unmöglich, mich einzustellen, weil der Bundesrechnungshof die MPG schon einmal wegen mir gerügt hat wegen eines Tierstalls. Das wollten sie nicht noch mal machen. Wenn ich jetzt allerdings nach Göttingen komme, beklagen sich die Wissenschaftler, dass ich damals einen zu kleinen Tierstall gebaut hätte. Die platzen inzwischen aus allen Nähten. Ich höre, den Tierstall will man jetzt vergrößern, weil er zu klein geworden ist. Er wird offensichtlich sehr gut genutzt.
Die alten Tierställe standen also einer Rückkehr nach Deutschland im Weg?
Bei der zweiten Kandidatur waren die Tierställe eher, na, sagen wir, das Argument. Im Weg stand die Tatsache, dass ich schon einmal von der Max-Planck-Gesellschaft weggegangen war.
Um welches Institut ging es damals vor zehn Jahren?
Es ging um das Frankfurter MPI für Hirnforschung. Das ging am Ende ja auch alles gut aus, es sind gute Leute berufen worden. Die machen wirklich hervorragende Arbeit.
Haben Sie denn damals in Amerika eine bessere Forschungssituation vorgefunden als in Deutschland?
Damals waren es etwa dieselben, heute sind die Freiheiten für die Forscher in Deutschland im Prinzip sogar besser.
Viele deutsche Universitätsforscher würden das kaum unterschreiben, weil sie eher das Gefühl haben, durch fehlende Ausstattung an Forschungsmöglichkeiten einzubüßen.
Die Universitäten in Deutschland werden etwas stiefmütterlich behandelt, das stimmt. Sie sollten in der Forschung mehr unterstützt werden. Durch die Exzellenzinitiative ist da einiges aber auch schon in Gang gekommen.
Glauben Sie, dass der Bund mehr Verantwortung für die Universitäten übernehmen sollte, die ja von den Ländern finanziert werden?
Durch die DFG kann der Bund schon viel Einfluss auf die Forschung nehmen, und er tut es auch. Und die DFG ist eine phantastische Organisation. Wenn man eine solche Institution hat, bei der sich die Forscher immer wieder bewerben und zeigen müssen, was sie geleistet haben, ist das ein vernünftiger Mechanismus, um Exzellenz zu belohnen. Lediglich der kurze Bewilligungszeitraum für Projekte von zwei Jahren ist einfach zu kurz. Insgesamt meine ich, man sollte mehr Geld in die DFG stecken.
Die schwache Grundfinanzierung der Universitäten, gepaart mit den kurzen Bewilligungsyzklen und den oft prekären Beschäftigungsverhältnissen für Doktoranden und Postdocs, sehen Sie nicht als großes Problem?
Doch, die Befristungen sind zu knapp. Das ist nicht ideal für den Nachwuchs. Bei den amerikanischen NIH gibt es einen Standardzyklus von fünf Jahren. Kürzere Grants sind eher die Ausnahme.
Sie publizieren mit Ihrer Gruppe von 30 Mitarbeitern praktisch alle drei Wochen ein Paper in einer der großen Wissenschaftsmagazinen. Wäre so was auch in Deutschland machbar?
Warum denn nicht? Die meisten Gruppen in der Max-Planck-Gesellschaft sind größer und haben mehr Geld.
Ihr Thema, die Hirnforschung, geht inzwischen mit großer Macht neue Wege. Die Computersimulation spielt inzwischen eine fast größere Rolle als die molekulare Forschung, die Sie betreiben, zumindest wenn man die Forschungsgelder betrachtet, die dafür ausgegeben werden. Ist das auch Ihre Richtung?
Man muss das in einem größeren Zusammenhang sehen. Die Hirnforschung spaltet sich traditionell in zwei Lager. Die einen, wie ich, suchen ein Systemverständnis, indem sie das Gehirn gewissermaßen von unten molekular aufbauen. Die anderen kommen von oben vom System her und wollen es aus sich heraus verstehen, möglichst ohne molekulare Aspekte zu betrachten. Die molekulare Methode versucht aber inzwischen auch, die systemorientierten Verfahren zu adaptieren. Die Grundlage für diese Top-down-Methodik sind Erkenntnisse aus der Primatenforschung und der theoretischen Neurobiologie, also der biologischen Kybernetik. Die Ansätze verwischen sich nun zusehends. Es gibt immer weniger Gründe, Primaten zu benutzen, das meiste kann man heute mit Mäusen machen. Wir als Zellbiologen und Molekularbiologen werden immer stärker systemorientiert, zum Beispiel machen wir zurzeit viel Verhaltensforschung, aber alles, was wir tun, ist verankert auf molekularer Ebene. Viele Systemforscher meinen, dass diese ganze molekulare Forschung zu lange dauert und zu kompliziert ist. Sie meinen, man kann das Gehirn allein aus den Spikemustern einzelner Nervenzellen verstehen. Das mag plausibel sein, aber ich teile die Meinung nicht – ich persönlich glaube an die Notwendigkeit eines molekularen Verständnisses!
Hat diese neue Art der Systembetrachtung durch Simulation derzeit nicht schon das Feld erobert? Sie steht heute besser da als die Molekularbiologie. Die Simulation des Gehirns wird massiv gefördert, von Brüssel etwa mit einem europäischen Preisgeld von einer Milliarde Euro, und im Grunde weiß man nicht einmal auf der Synapsenebene, Ihrem Forschungsgebiet, wie die Bildung neuer Nervenverbindungen, die Spezifizierung von Synapsen, und die Entstehung von Plastizität genau vor sich gehen.
Klar ist, molekulare Ansätze sind inzwischen hoch unmodern in der Gesundheitsforschung. Es gibt aber immer Moden, es werden auch wieder andere kommen. Diese Phase wird vorübergehen, wenn sie sich erschöpft. In der Wissenschaft gibt es keine absolute Wahrheit.
Auch die Hirnforschung kann Gelder aber nur einmal ausgeben. Würden Sie denn sagen, in der Hirnforschung wird ausreichend sichergestellt, dass die effizienteste und die vielversprechende Forschung gefördert wird?
Natürlich sieht jeder lieber, wenn man selber mehr und die anderen weniger Gelder bekommen. Theoretisch sollte die Mittelvergabe allein durch objektive Kriterien begründet sein, aber schließlich sind Wissenschaftler und Politiker auch Menschen – wir sind alle nie vollkommen objektiv. Trotzdem sind wir zurzeit vielleicht in einer schlechteren Lage als je zuvor. Man kann einfach generell sagen, dass unser Wissenschaftssystem nicht in einem wirklich guten Zustand ist. Es wird nicht mehr genügend unterschieden, was gute und schlechte Forschung ist. Die Frage, wie Dinge publiziert werden, ist zu einer extrem schwierigen Frage geworden. Auch bei den großen Journalen gibt es mittlerweile den Eindruck, dass das Wichtigste nicht die Qualität der Forschung ist, sondern der Wunsch der Journale, etwas möglichst Aufregendes zu veröffentlichen.
Wäre es sinnvoll, im Sinne einer Qualitätssicherung der Experimente sich gemeinsam klarzuwerden, was sinnvoll ist und Aussicht auf Erfolg hat?
In der Physik und der Klimaforschung hat man so einen Weg gewählt. Die Biologie ist allerdings auch sehr parzelliert, es ist noch viel komplexer, es gibt viele Phänomene und Krankheiten. Es gibt in der Gesundheitsforschung generell zu wenig Qualitätskontrolle. Und das Problem ist nicht etwa das von Betrug oder falschen Daten, die Experimente werden einfach schlecht gemacht, und niemand sieht wirklich hin, wie gut die Daten sind. Die Schlussfolgerungen haben häufig überhaupt keine direkte Beziehung zu den Daten. Die Wissenschaftler der Pharmaindustrie sind inzwischen der Überzeugung, dass ein Großteil der für sie relevanten Beobachtungen oder Schlussfolgerungen schlichtweg falsch sind. Das ist schon dramatisch.
Wie lässt sich das Problem lösen?
Mehr Geld in Forschungsbeurteilungen investieren. Man kann es oft schon erkennen, ob Ergebnisse gut sind, wenn man sich nur das Paper ansieht. Ein Beispiel ist Optogenetik. Machen wir auch, ist eine phantastische, bahnbrechende Technik. Aber ich kann heute kein Nature-Heft mehr aufschlagen, in dem nicht ein Paper ist, wo jemand in einer Zelle im Gehirn Channelrhodopsin exprimiert und dann mit Licht stimuliert. Dann macht die Maus oder Ratte eine Bewegung, und es heißt, diese leuchtenden Hirnzellen sind für dieses Verhalten, diese Bewegung verantwortlich. Wie man zu dieser Schlussfolgerung kommt, ist meistens schleierhaft – in einem physiologischen Kontext ist es nie nur ein Zelltyp, der ein Verhalten determiniert. Das generelle Problem der Hirnforschung, genauso wie der Krebsforschung, ist, dass oft der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Bestimmte Schlussfolgerungen werden herbeigewünscht.
Also müsste man bei den Journalen ansetzen und dort viel selektiver vorgehen, um Qualität zu fördern? Oder wie trennt man hochwertige von nur noch sexy Forschung?
Ich habe gar nichts gegen sexy Forschung – die ist oft hochwertig. Das Problem ist ein anderes. Die Validierung der Qualität von Forschung geschieht auf der Ebene von Publikationen. Wir haben als Gemeinschaft der Forscher zunehmend das Problem, dass dieser Validierungsschritt nicht mehr gut funktioniert. Das hat viele Gründe: Einer ist, dass die meisten Editors überarbeitet und schlecht bezahlt sind, manchmal auch nicht richtig gut ausgebildet sind. Die Editors wissen auch genau, welche Gutachter welche Paper annehmen und welche Gutachter welche Paper nicht annehmen. Eine objektive Begutachtung ist nur so gut wie die Qualität der Gutachter. Das bedeutet, dass bei manchen Journals die Editoren de facto alleine über ein Paper entscheiden. Das ist ein generelles Problem und hat nichts damit zu tun, ob die Gutachten anonym ausgestellt werden oder nicht, worum gerade viel gestritten wird. Es ist letztlich also die wichtige Aufgabe der Editors und Reviewer, die Qualität der Forschung sicherzustellen.
Ist denn nicht auch der Zeitmangel eine echtes Handicap – die Reviewer haben meist selbst Anträge am Hals und müssen immer mehr Paper begutachten.
Das kommt sicher noch dazu. All das kommt zusammen. Wir haben alle zu viel zu tun. Die Gefahr all dieser Probleme zusammen liegt darin, dass schlechte Paper eher und gute Paper weniger publiziert werden. Aber schlimmer ist es zur Zeit, dass vermehrt schlechte Paper publiziert werden. Deswegen sind solche Preise wie der Nobelpreis ganz wichtig, weil sie wirklich gute, akribische Forschung belohnen. Solche Filter sind wichtig für die Qualitätssicherung.
Glauben Sie, dass der neue Markt des Open Access zur Verschlechterung der Paper beiträgt, wie einige mutmaßen?
Diese neue Konkurrenz sorgt sicher auch dafür, dass die klassischen Journale bestimmte Themen stärker selektieren. Zum einen: Viele der Open-access-Journale wollen nichts weiter als Geld verdienen. Die werden gegründet und haben keinerlei Filter, es wird praktisch nicht begutachtet. Die wollen Geld dafür haben, dass man die Arbeiten online veröffentlicht, das kostet sie ja auch nichts. Diese Journale schreiben einen ständig an und fragen, ob man in deren Editorial Board teilnehmen wolle. Würde man ja sagen, würde darin der eigene Name stehen, aber man hätte nie etwas damit zu tun. Von diesen Journalen gibt es schon zu viele, und auch gute Verlagshäuser fangen damit an. Das andere ist: Dadurch, dass die Open-access-Journale so eine Durchschlagskraft erhalten, haben es traditionelle Zeitschriften, die sorgfältiger und damit für viel Geld auswählen, schwerer, sie sehen ihr Geschäftsmodell schwinden.
Wenn so massiv Qualität verlorengeht, ist Open Access dann nicht doch ein fragwürdiger Weg?
Ich meine schon, dass Open Access sinnvoll ist, und wir sollten dafür sorgen, dass Forschungen, die vor Jahren mit Steuergeldern finanziert worden sind, frei zugänglich sind. Aber es ist auch völlig legitim, dass man den Verlagen, die für die Qualität der Publikationen und damit der Forschungen sorgen, ein oder zwei Jahre Exklusivität einräumt.
Das entspricht in etwa der deutschen Lösung mit der jüngsten Urherberrechtsnovelle. So sind wir also wieder hier im Land angekommen. Gibt es eine Stelle, die Sie zurück ins Land locken könnte?
Als vollberuflicher Forscher zurückzukehren ist in meinem Alter von 57 ziemlich ausgeschlossen. Vor zehn Jahren wäre das in Ordnung gewesen, aber jetzt nicht mehr. Meine Kollegen in Deutschland bekommen bald ihre blauen Briefe, hier in Amerika gibt es kein Pensionsalter. Wozu ich gerne bereit wäre, mich in irgendeiner beratenden Funktion in Deutschland zu engagieren, dort, wo mein bestehendes Wissen und Verständnis vom Wissenschaftsprozess vielleicht hilfreich sein könnten. Ich fühle mich dem Land immer noch sehr verbunden, da komme ich her.
