Medizin & Ernährung

16 Jahre vor der Demenz: Ein Bluttest für Alzheimer

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Wie ausradiert: Die Zerstörung immer größerer Teile des Gehirns führt zum großen Vergessen und am Ende sogar zum Verlust der Persönlichkeit.

Unheilbar, aber nicht unsichtbar: Nachdem deutsche Forscher entdeckten, dass Alzheimer-Spuren lange vor Krankheitsbeginn im Blut zu finden sind, haben sie einen Bluttest entwickelt. Anwendungsreif ist er nicht.

In Deutschland leben rund 1,5 Millionen Menschen mit Alzheimer-Demenz. Dass es noch keine wirkungsvolle Behandlung gibt, liegt unter anderem daran, dass sich die Behandlungsfortschritte nicht ohne weiteres messen und in klinischen Studien ausloten lassen. Außerdem ist nicht klar, wann die Behandlung einsetzen sollte. Die bisherigen Therapiekonzepte scheitern daran, dass sich die Alzheimer-Demenz schon zu tief ins Gehirn gegraben hat, wenn die Krankheit offenbar wird.

Extrem hilfreich wäre ein Test, der das Heraufziehen der Demenz frühzeitig erkennt, nachzeichnet und Prognosen darüber erlaubt, wie sich das Gehirn unter der Krankheit weiter entwickeln wird – am besten über eine Blutprobe. Mathias Jucker vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen und dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung sowie seine Kollegen aus beiden Einrichtungen, dem Universitätsklinikum Tübingen und der Washington University School of Medicine ist die Entwicklung eines solchen Tests nun gelungen.

Das Verfahren kündigt die Demenz offensichtlich schon bis zu 16 Jahre vor dem berechneten Eintreten der Symptome über den sprunghaften Anstieg eines Stücks Zellschrott im Blut an. Relevant ist dabei nicht die absolute Konzentration des Fragments, sondern der Grad der Veränderung. Das berichten die Wissenschaftler in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature Medicine“. Bei dem Stück Zellschrott handelt es sich um den Rest eines Neurofilaments mit dem kryptischen Namen NfL. Es gehört zum inneren Skelett der Nervenzelle und ist ein Biomarker für Nervenzellschäden, nicht für die Alzheimer-Demenz per se.

Spezifisch für die Demenz ist aber anscheinend die sprunghafte Veränderung der NfL-Konzentration. Zu finden war dieser Hinweis nur mit Hilfe der „DIAN“-Familien. DIAN steht für „Dominantly Inherited Alzheimer Network“. Die in diesem Netzwerk versammelten Familien leiden unter einer seltenen genetischen Form der Alzheimer-Demenz, die auf verschiedenen Mutationen basiert und sehr früh einsetzt. Jucker betreut zusammen mit vielen Kollegen weltweit Familien mit diesem Schicksal.

Dem DIAN-Netzwerk gehören Menschen mit einer Alzheimer-Mutation und Familienangehörige ohne Mutation an. Aus Deutschland sind sechzig Personen beteiligt. Weil die Alzheimer-Mutationen zwangsläufig zu einer Demenz führen und das ungefähre Symptomsalter über die Familienhistorie und die Art der jeweiligen Mutation berechnet werden kann, konnten Jucker und seine Kollegen abschätzen, wann die ersten Gedächtnisstörungen bei den Betroffenen einsetzen werden. Das gab ihnen die Zeitachse. Dass sich sprunghafte Veränderungen in der NfL-Konzentration allerdings schon sechzehn Jahre vor den ersten Symptomen nachweisen lassen, ist eine Überraschung. Veränderungen bei der Hirnmasse lassen sich nämlich erst fünf bis zehn Jahre vor Symptombeginn nachweisen. Es muss also Bereiche im Gehirn geben, die schon sehr früh Zellschrott ins Blut spülen.

Jucker und seine Kollegen haben auch den Vorhersagewert des Bluttests untersucht und konnten zeigen, dass der Grad der Veränderung der NfL-Konzentration eine gute Prognose darüber erlaubt, wie sich das Gehirn verändern wird. Die Wissenschaftler konnten sogar den Verlust von Hirnmasse und kognitive Beeinträchtigungen mit Hilfe des Testwertes vorhersagen, die dann zwei Jahre später auch tatsächlich eingetreten waren.

Obwohl dieser Bluttest sehr vielversprechend ist, muss er vor einer routinemäßigen Anwendung noch weiter entwickelt werden. Dazu gehört zu klären, was den NfL-Wert verfälschen kann. Das Fragment wird auch bei anderen Gehirnerkrankungen freigesetzt, ebenso bei Nierenerkrankungen. Jucker und seine Kollegen müssen auch klären, ob der Bluttest bei sporadischen Alzheimer-Erkrankungen den gleichen Vorhersagewert besitzt wie bei den DIAN-Familien.

In Frage kommt er dann auch erst einmal nur für die klinische Forschung. Es wäre unverantwortlich, jemandem Jahre im Voraus eine Demenz vorherzusagen, ohne ihm eine wirkungsvolle Behandlung anbieten zu können.