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Kommentar zu Ikea: Am Lebensgefühl geschraubt

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Hat auch die Wohnkultur in Deutschland verändert: Ingvar Kamprad

Der verstorbene Ikea-Gründer Ingvar Kamprad hat mit betriebswirtschaftlichem Geschick das verzopfte Stilempfinden der Deutschen in ein modernes Lebensgefühl überführt. Dabei hat das Möbelhaus nur einen simplen Trick angewendet.

Jeder hat seltsame Geschichten zu erzählen von dem Mann und seiner Marke. Und jeder werkelt damit nur noch mehr an dem Mythos, der seltsam abgekürzt und unschuldig wohlklingend Ikea heißt – kurz und eingängig wie eine griechische Göttin.

Ingvar Kamprad, der Gründer dieses multinationalen Einrichtungskonzerns, hinterlässt nicht nur ein Unternehmen, das mit fast 200.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von fast 40 Milliarden Euro gigantische Ausmaße hat. Der Erfinder aus Schweden, der nun gestorben ist, hat auch die Wohnkultur verändert – und mit betriebswirtschaftlichem Geschick ein verzopftes Stilempfinden in ein modernes Lebensgefühl überführt.

Man kann viel gegen den Möbelhersteller aus Schweden sagen: dass der große Gründer auch ein kunstfertiger Steuervermeider war, dass Werkstoffe und Verarbeitung manchmal zu wünschen übriglassen, dass gute alte deutsche Möbelhersteller und der Beruf des Schreiners in die Krise getrieben wurden, dass der Zusammenbau des Kinder-Etagenbetts Mydal ein ganzes Wochenende zerstören kann und sich der Inbusschlüssel beim Zusammenschrauben von Hejne-Regalen schmerzhaft in die Finger gräbt.

Aber all diese Missstände werden am Bild der Marke nicht kratzen. Solche Schauergeschichten, die man bei Partys erzählen können sollte, um nicht als snobistisch zu gelten, sind vielmehr Teil des Erfolgs. Denn fügen sich nicht die Berichte von verbogenen Observatör-Stützkreuzen, von vergessenen Regalbodenhalterstiften und der Yuccapalmen-Ehekrise kurz vor der Kasse zu einer großen Erzählung unserer multioptionalen Zeit?

„Wir waren schon zusammen bei Ikea“

Dieses Möbelhaus hat es doch wirklich geschafft, sich tief in die Gefühlsgeschichte unseres Landes zu bohren. Im Hochregallager sind schon Beziehungen zerbrochen. Als Ausweis der Freundschaft zwischen jungen Frauen gilt noch immer der Satz: „Wir waren schon zusammen bei Ikea.“ Und beim Anblick des Boxspringbetts Mjölvik begann mehr als einmal die Familienplanung. Überhaupt das Familiengefühl: In Zeiten zerbrechender Ehen und zunehmender Single-Haushalte tüftelt Ikea mit schwungvoll eingerichteten Zimmern und stimmungsvoll ausgeleuchteten Bädern an der Illusion, die Welt sei noch immer intakt.

Man kann sich die Wirkung der riesigen blaugelben Klötze in Kamen, Wallau, Walldorf und an 50 weiteren Standorten in Deutschland nicht massiv genug vorstellen. Als das erste Ikea-Möbelhaus am 17. Oktober 1974 in Eching bei München eröffnet wurde, waren Wohnzimmer noch immer ausgestattet mit Raffquasten-Vorhängen, Eiche-rustikal-Wandschränken und Zierborten-Lampenschirmen. Die Bayern, noch nicht ganz angekommen in der neuen Zeit, wünschten sich sogleich Eckbänke für die Herrgottswinkel ihrer Häuser. Ein Erfolgsprodukt sollte dieser Artikel nicht werden.

Denn das skandinavische Lebensgefühl traf auf das Bedürfnis, sich einfacher, flexibler, preiswerter und internationaler einzurichten. Von dem Effekt profitierten auch Kleiderkonzerne und neuerdings das vielbeschworene Hygge-Gefühl. Skandinavien hat eben den Ruf einer heimeligen und heilen Welt, in der man nur ab und zu von Pippi-Langstrumpf-Schreien aufgeschreckt wird.

Dabei hat Ikea nur einen simplen Trick angewendet. Der Wunsch nach demokratischer Teilhabe, den in der Nach-Achtundsechziger-Zeit auch die „Neuen Sozialen Bewegungen“ aufnahmen – der Möbelbauer verarbeitete ihn, indem er die Kunden die Einzelteile zusammensetzen ließ. Das führte zum Ikea-Effekt, nachgewiesen in der verhaltensökonomischen Forschung: Man schätzt einen Gegenstand, den man selbst zusammengebaut hat, mehr als jedes noch so schöne Massenprodukt. Die Hemnes-Kommode und das Stuva-Babybett liebt man fast so sehr, als hätte sie ein guter alter Handwerker persönlich gefertigt.

In all der Begeisterung über die Eigenleistung und sogar in der Wut über blau gehämmerte Finger ging unter, dass sich Ikea damit den Service spart. Der Konzern schraubt also an den Personalkosten, vergrößert so die Gewinnmargen und kann deshalb Kampfpreise bieten. Ingvar Kamprad sagte, er sei wie so viele Småländer ein Geizhals und Schnäppchenjäger. Auch dieses Denken hat er uns beigebracht.

Und höchstens Designhistoriker erkannten, dass die helle und leichte und einfache Bauweise Vorgänger hatte: Die schmucklose Funktionalität war die Idee der Bauhaus-Bewegung, also der von Walter Gropius vor bald 100 Jahren gegründeten Kunstschule, die der Industrialisierung das Kunsthandwerk entgegensetzte. Ikea hingegen denkt beides zusammen – und gibt seriell abgefertigten Menschen das Gefühl einer individuellen Leistung.

Insofern trifft sich die von Kamprad erdachte Konstruktion mit dem kultursoziologischen Befund aus Gerhard Schulzes „Erlebnisgesellschaft“: Die Ästhetisierung des Alltagslebens, die Vermehrung der Möglichkeiten, die Auflösung großbürgerlicher Distinktion und das Streben nach Selbstverwirklichung, Stimulation und schönen Erlebnissen – das alles findet sich verdichtet im Erlebnismarkt Ikea.

Man darf nur nicht vergessen, am Ende den kleinen Sören aus dem Småland-Kinderparadies abzuholen.