Gesellschaft

Ärzte wollen psychische Leiden vor ihrem Ausbruch erkennen

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Mediziner arbeiten daran, psychische Krankheiten wie eine Depression früher zu erkennen. (Symbolfoto)

Bei psychischem Leid wie einer Depression mangelt es noch an der Diagnostik zur Früherkennung. Ein Psychiater über erste Erfolge, Menschen vor dem Ausbruch seelischer Krankheiten zu bewahren.

Herr Meyer-Lindenberg, Sie arbeiten mit Kollegen unter anderem aus London, Oslo, Utrecht und Bari seit drei Jahren daran, psychische Krankheiten schon vor ihrem Ausbruch zu erkennen. Um welche Krankheiten geht es dabei genau?

Wir beschäftigen uns mit Schizophrenie, Depressionen und Autismus. Und wir forschen an der Frage, woran wir erkennen können, ob das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, ADHS abgekürzt, das in der Regel bei Kindern ausbricht, bei einer bereits erkrankten Person eines Tages wieder verschwinden wird.

Warum widmen Sie sich dieser Fragestellung?

Nehmen wir das Beispiel Schizophrenie. Etwa ein Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an Schizophrenie. Das klingt nach wenig, aber die Betroffenen leiden massiv darunter. Viele hören Stimmen, haben Wahnvorstellungen und Halluzinationen und leiden unter Antriebslosigkeit. Die Krankheit bestimmt ihren Alltag. Schon Jahre bevor die Krankheit ausbricht, gibt es erste Anzeichen dafür. Die Menschen ziehen sich dann zurück, viele verfallen zeitweise in eine Depression. Sie schreiben schlechte Schulnoten oder die Leistung im Job lässt nach. Viele gehen in dieser Situation zum Arzt, werden aber meist ohne klaren Befund nach Hause geschickt.

Und Sie wollen erreichen, dass die Diagnostik der Schizophrenie zu diesem frühen Zeitpunkt besser wird?

Ja, in unserer Studie mit mehr als 11.000 Patienten haben wir herausgefunden, dass Menschen, die Symptome wie oben beschrieben zeigen, andere Gehirnstrukturen haben als gesunde Menschen. Diese können wir im Magnetresonanztomografen, MRT genannt, sehen. Diese Bilder sind für uns ein hilfreiches Indiz. Ganz wichtig ist aber, zu sagen, dass all diese Faktoren, die ich gerade genannt habe, nicht bedeuten, dass jemand mit Sicherheit an Schizophrenie erkranken wird. Sie sagen nur aus, dass diese Person ein erhöhtes Risiko hat, daran zu erkranken.

Was bringt den Betroffenen dieses Wissen?

Wir können ihnen helfen, früh gegenzusteuern statt erst dann zu reagieren, wenn die Krankheit schon voll da ist.

In diesem Fall können wir mit Psychotherapie oder Medikamenten unterstützen. Fischöl kann möglicherweise helfen, den Ausbruch von Schizophrenie zu verhindern, und wir untersuchen auch entzündungshemmende Stoffe als Gegenmittel. Beides ist keine Garantie dafür, dass die Krankheit nicht ausbricht. Aber das Risiko wird dadurch auf jeden Fall gemindert.

Und bei einer Depression, wie erkennen Sie, ob jemand wirklich Gefahr läuft, daran zu erkranken?

Eine Depression hängt stark mit den Lebensumständen eines Menschen zusammen. Menschen in der Stadt haben beispielsweise ein 40 Prozent höheres Erkrankungsrisiko als Menschen auf dem Land. Das liegt am Lärm in der Stadt und an der Enge – beides sind Stressfaktoren für den Menschen. Wer in seiner Kindheit Gewalt erlebt hat, hat ebenfalls ein höheres Risiko. Auch diese Menschen gehen oft Jahre vor Ausbruch der Depression zum Arzt, weil sie sich unwohl fühlen und sie werden oft einfach so wieder weggeschickt, weil niemand erkennt, was ihnen fehlt.

Und in Ihrer Studie erkennen Sie diese besonderen Risikofaktoren?

Wir versuchen in unserer Studie mit einer sehr umfangreichen Befragung zu den aktuellen und früheren Lebensumständen herauszufinden, ob jemand unter einem erhöhten Depressionsrisiko leidet. Wenn ja, kann ihnen mit einer frühen Psychotherapie, zum Beispiel mit Achtsamkeitsübungen oft geholfen werden. Dabei lernen die Menschen, mit ihren Sorgen und Befürchtungen anders und gelassener umzugehen. Das ist wiederum keine Garantie dafür, dass eine Depression nicht ausbricht, aber es mindert ebenfalls das Risiko.

Gibt es die Möglichkeit, Schizophrenie oder Depressionen mit genetischen Tests vorherzusagen?

Wir wissen, dass Schizophrenie zu 70 bis 80 Prozent genetisch bedingt ist. Wenn also ein Elternteil unter Schizophrenie leidet, ist das für uns ein wichtiger Hinweis. Trotzdem gibt es aber weder für Schizophrenie noch für Depressionen einen klinisch anwendbaren genetischen Test. Bisher geht es für uns immer darum, diese Daten zusammen mit denen aus umfassenden Befragungen – und bei Schizophrenie zusätzlich anhand eines MRT-Bildes des Gehirns – zu einer Risikoabschätzung für den Ausbruch der Krankheit zusammenzufügen.

Wie gehen Sie vor, um eine potentielle Autismus-Erkrankung früh zu erkennen?

Wir haben in diesem Bereich große Fortschritte bei der Arbeit mit Säuglingen und Kleinkindern gemacht. Eine internationale Studie, an der wir teilnehmen, hat gezeigt, dass man schon bei Säuglingen messen kann, ob sie auf soziale Informationen achten – zum Beispiel auf lachende oder weinende Menschen. Wenn wir merken, dass sie sich für diese Informationen gar nicht interessieren, ist das für uns ein Indiz, dass das Kind an Autismus erkranken könnte. Wir können also früher aktiv werden und diese Kinder viel gezielter sozial fördern.

Sie forschen seit drei Jahren an all diesen Fragestellungen. Wann werden Sie Ihre Ergebnisse veröffentlichen und was wird sich dadurch verändern?

Ich schätze, dass wir in etwa zwei Jahren unsere Erkenntnisse veröffentlichen können. Meine Kollegen und ich hoffen, dass unser Wissen dann möglichst schnell in die klinische Diagnostik aufgenommen wird. Sprich, wenn jemand in einem sehr frühen Vorerkrankungsstadium zum Arzt geht, sollte dieser ihn an einen Spezialisten verweisen, der die beschriebenen Befragungen und Tests durchführt, eine Risikoeinschätzung abgibt und eventuell eine Behandlung einleitet. Wir hoffen, dass wir auf diese Weise künftig immer mehr Menschen vor dem Ausbruch – oder zumindest einer besonders heftigen Form – einer dieser psychischen Krankheiten bewahren können.

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