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Grenzen der Panikmache

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Alarmstufe rot: Eine Langzeitbelichtung zeigt Autos vor einem Warnschild in Stuttgart (Archivbild)

Auf dem Autogipfel geht es um die Folgen des Abgasskandals. Doch wie klar ist die Lage überhaupt? Fachleute stellen die Messung in Stuttgart und die Wirkung von Stickoxiden in Frage.

Der hässliche Messcontainer am Neckartor ist in den vergangenen sieben Jahren zu einem neuen Wahrzeichen Stuttgarts geworden. Was früher der Fernsehturm oder Tatort-Kommissar Ernst Bienzle waren, ist jetzt dieser hässliche graue Kasten, an dem täglich etwa 70.000 Fahrzeuge vorbeifahren.

„Schluchtcharakter“ habe die Straße am Mittleren Schlossgarten an dieser Stelle, heißt es im Luftreinhalteplan. Spätestens als die Zeitungen mit Fotos von der Hamburger Elbphilharmonie gut bestückt waren, fragten sich die ersten Politiker in der baden-württembergischen Landeshauptstadt, ob es denn klug sei, das Image der deutschen Stadt mit der schlechtesten Luftqualität zu kultivieren. Statt der zulässigen 40 Mikrogramm pro Kubikmeter werden am Container etwa 78 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Das ist nicht schön, aber reicht das aus, um deshalb die 1893 zum Patent angemeldete Diesel-Technologie auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern und möglicherweise eine ganz Industrie ins Wanken zu bringen? Thomas Koch vom „Institut für Kolbenmaschinen“ vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat sich die Sache etwas genauer angeschaut.

Wenn man den Argumenten des Maschinenbauingenieurs folgt, kann man ins Grübeln kommen über die politische Dynamik, die die Neckartor-Werte und die Feinstaub-Debatte verursacht haben. Koch hat zehn Jahre bei Daimler Motoren für Nutzfahrzeuge entwickelt, bevor er in Karlsruhe Professor wurde, er kennt also die Vorzüge und Nachteile der Dieseltechnologie genau. Schaut man auf die Karte mit den insgesamt vier Messpunkten in der Gegend am Neckartor, dann fällt auf, dass nur am so genannten Hot-Spot-Messpunkt die Werte massiv überschritten werden. Dieser Messpunkt ist direkt am Bürgersteig, dort hält sich niemand dauerhaft auf. „Wir sollten nichts schön reden, wir befinden uns aber bezüglich der Stickoxidwerte im Zielanflug. Natürlich sollten wir mit Nachdruck bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter landen, es geht aber um die Verhältnismäßigkeit. Menschen halten sich während achtzig Prozent des Tages in Gebäuden auf. Wenn wir draußen 40 Mikrogramm erreichen, dann sind es in Gebäuden 15 Mikrogramm pro Quadratmeter“, sagt Koch.

Neue Diesel helfen bei Luftverbesserung

Die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2008 schreibt vor, dass der Einstundengrenzwert für Stickoxid nicht öfter als 18 Mal im Jahr überschritten werden darf. Er liegt bei 200 Mikrogramm pro Kubikmeter. Selbst am Neckartor könnte diese Vorschrift in diesem Jahr eingehalten werden. Schwieriger wird es beim Jahresgrenzwert, der beträgt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. „Wir werden aller Voraussicht nach in diesem Jahr den Einstundengrenzwert einhalten“ sagt Koch, „das hängt von den meteorologischen Randbedingungen ab. Jeder gute, moderne Diesel mit SCR-Katalysatortechnologie hilft bei der Verbesserung der Luftqualität, wenn dafür ein alter Euro-4- oder Euro-5-Diesel ersetzt wird. Wären nur die modernsten Diesel-Fahrzeuge auf der Straße, dann wäre der Beitrag des Diesels an den Stickoxid-Emissionen noch drei Mikrogramm pro Kubikmeter.“ In Gebäuden fielen die Werte grundsätzlich niedriger aus.

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Grüne fordern „Zukunftskommission für umweltfreundliche Mobilität“

Bei der Diskussion über Feinstaub und Stickoxide wird auch häufig vergessen, welche großen Fortschritte bei der Luftreinhaltung in den vergangenen Jahrzehnten gemacht worden sind. Die geringen Schadstoffemissionen der künftigen Dieselmotoren-Generationen hätte vor zehn Jahren, als die Entwicklung begann, niemand für möglich gehalten. Andere gesundheitsbelastende Stoffe, etwa Kohlenwasserstoff, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid oder Ruß sind heute kein Problem mehr. Selbst am Neckartor haben die Überschreitungstage seit 2005 deutlich abgenommen. 2005 wurde der Grenzwert noch an 187 Tagen überschritten, 2015 waren es 72, das entspricht einer Verbesserung von 66 Prozent. Beim Jahresmittelwert ist seit 2005 eine Verbesserung von 30 Prozent berechnet worden.