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Abgehörte Politiker: „Wir beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung“

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Polen wird von einem Abhörskandal erschüttert. Einst mussten sich Reagan und Kohl rechtfertigen – auch ihre ungeheuerlichen Äußerungen wurden abgehört und veröffentlicht.

Es war 1984 auf seiner Ranch in Kalifornien, als der amerikanische Präsident Ronald Reagan Russland für „vogelfrei“ erklärte. Er wollte eine fünfminütige Radioansprache an das amerikanische Volk halten – und begann, sich vor den Hörern ein wenig warmzulaufen: „Liebe Landsleute, ich freue mich, Ihnen heute mitteilen zu können, dass ich ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für vogelfrei erklärt. Wir beginnen in fünf Minuten mit der Bombardierung.“

Doch das Mikrofon war nicht ausgeschaltet, wie Reagan annahm. Nicht nur die Moskauer „Prawda“ war entsetzt über diesen Scherz: Der Präsident habe – mitten im Kalten Krieg – nur ausgesprochen, was er wirklich denke. Reagan dagegen meinte später, das sei eine ironische Spitze gegen seine Kritiker gewesen, die ihn einen Kriegstreiber nannten. Jedenfalls sei die Verfehlung der Medien, die den Witz öffentlich gemacht hätten, genauso groß wie seine eigene.

Reagan sprach im öffentlichen Raum. Das war keine private Äußerung. Aber ist nicht ohnehin bei Politikern auch das Private politisch? Jedenfalls können auch vertrauliche Gespräche immense politische Folgen haben, wie nicht nur einige osteuropäische Politiker zuletzt erfahren mussten, die offenbar abgehört wurden.

Kohl klagte über „unerträglichen Zustand“

Natürlich haben auch Staatsmänner ihr Recht auf Privatsphäre. Doch sie müssen damit rechnen, dass ihr gesamtes Verhalten öffentlich bewertet wird – und dabei auch die Maßstäbe herangezogen werden, die sie selbst aufgestellt haben. Aber ist damit jede Äußerung für die Öffentlichkeit bestimmt?

Helmut Kohl war im Jahr 2002 als ehemaliger Bundeskanzler von Journalisten im Restaurant des Reichstages mit einer Bemerkung über Bundestagspräsident Wolfgang Thierse vernommen worden: „Das ist der schlimmste Präsident seit Hermann Göring.“ Der war von 1932 bis 1945 unter anderem Reichstagspräsident gewesen. Thierse sprach von einer „ungeheuerlichen Entgleisung“ Kohls. Bundeskanzler Schröder forderte Kohl auf, sich bei Thierse zu entschuldigen. Kohl teilte schriftlich mit: „Es liegt mir fern, ein Mitglied einer demokratischen Partei der Bundesrepublik Deutschland mit einem Mitglied einer totalitären Partei, egal ob rot oder braun, zu vergleichen.“ Er bleibe aber dabei, dass er zum Inhalt eines „privaten Gesprächs“ nicht Stellung nehme. Es sei ein „unerträglicher Zustand, dass private Gespräche im Bundestagsrestaurant von Journalisten belauscht beziehungsweise abgehört werden“.

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Dieser Fall liegt eben anders als der „Vergleich“ des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow mit Joseph Goebbels. Kohl hatte im Gespräch mit der amerikanischen Zeitschrift „Newsweek“ über Gorbatschow gesagt: „Das ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber der versteht etwas von PR. Der Goebbels verstand auch etwas von PR. Man muss doch die Dinge auf den Punkt bringen.“ Kohl ließ zunächst behaupten, das nicht gesagt zu haben. Doch konnten die amerikanischen Journalisten mittels Tonband deutlich machen, dass Kohl das genauso gesagt hatte. Kohl hatte den Mitschnitt sogar noch redigiert – was in der anglo-amerikanischen Presse unüblich ist. Später bedauerte er den „falschen Vergleich“. Die sowjetische Regierung war gleichwohl außer sich.

Aber das war eben unzweifelhaft keine vertrauliche Äußerung. Und selbst wenn Kohl das deutlich gemacht hätte: es war ein Gespräch mit Journalisten. Anders verhält es sich, wenn erkennbar private Gespräche aufgeschnappt werden. Bei besonders krassen Äußerungen besteht ohnehin ein Informationsinteresse.

„Fuck the EU“

Private Geschichten von Politikern sind ansonsten in Deutschland in der Regel nur dann Gegenstand von Berichterstattung, wenn der Prominente, der Politiker seine Türen für die Medien geöffnet hat. Das heimliche Hineinhorchen in die Privatsphäre ist tabu. Es ist in der Regel auch rechtswidrig, auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinen zahlreichen Entscheidungen etwa zu Caroline von Hannover für Politiker Ausnahmen gelten lässt. Was wiederum insofern gerechtfertigt ist, als es hier um die Kontrollfunktion der Medien geht. Die Presse als „Wachhund“ der Politik.

Doch muss sich natürlich auch der Wachhund an das geltende Recht halten. Das ist eine besondere Herausforderung in Zeiten, in denen es leicht ist, Mobilfunkgeräte als Abhöranlagen zu aktivieren. Nun kann man sich auch davor schützen, kann darauf achten, sich nur in sicherer Umgebung zu treffen, kann verschlüsselt kommunizieren – was freilich für die Alltagsverständigung auch von Amtsträgern sehr aufwendig ist.

Oder der Politiker rechnet mit ständigem Abhören und permanentem Vertrauensbruch und spricht auch in Hintergrundgesprächen nur noch wie in Pressemitteilungen oder vor laufenden Kameras. Manche Profis handhaben das jetzt schon so – auch eine Déformation professionnelle.

Die Öffentlichkeit freilich kann und muss unterscheiden – zwischen Scherz und Ernst, offenem Wort und abgehörtem Gespräch. Dann hat unter Umständen auch ein derber Spruch in einem vermeintlich vertraulichen Rahmen nicht die Folgen, die sich der Belauscher wünscht, sondern – gar keine. Die Bundesregierung hatte die veröffentlichte Äußerung „Fuck the EU“ einer hohen amerikanischen Diplomatin als „absolut inakzeptabel“ bezeichnet. Die EU-Kommission wollte dagegen nicht Stellung nehmen, weil sie abgehörte Gespräche nie bewerte. Jedenfalls nicht öffentlich.