Ausland

Im Land des Lächelns

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Vor den Cannabis-Läden in Colorado stehen die Leute Schlange. In der Branche herrscht Goldgräberstimmung – sogar Steuern werden gern gezahlt. Ganz Amerika soll lernen, dass Legalisieren sich lohnt.

Brian Ruden hat seine Erntehelfer einbestellt. Seit der Früh sitzen sie zu fünft im Hinterzimmer und rupfen Blätter von frisch geschnittenen Hanfpflanzen. Rund eine Stunde braucht einer für ein einziges Gewächs, bis nur noch die Knospen an den Stengeln hängen. Geredet wird wenig, manche hören Musik über Ohrenstöpsel. Sie müssen bei der Sache bleiben, denn jedes übersehene Blättchen könnte das Trocknen der Blütenstände verzögern und damit deren planmäßige Verwandlung in gräuliche, bröselige, wohlriechende „buds“.

Auf der anderen Seite der Stahltür verkauft Ruden drei Gramm Marihuana für 60 Dollar inklusive Steuern. Das ist fast ein Schnäppchen dieser Tage in Denver. Viele Mitbewerber haben seit der Cannabis-Freigabe an Neujahr ihre Preise hochgeschraubt, weil die Nachfrage so groß ist. Ruden will die Kunden lieber dauerhaft an seinen Laden Starbuds binden. Die Kasse stimmt auch so.

Gummibärchen, Gelatine-Himbeeren und Pralinen

Es ist später Nachmittag, und die drei Verkäufer haben gut zu tun. Die älteren Herrschaften, die mit leuchtenden Augen in den grün getünchten Verkaufsraum kommen und von ihren Pot-Abenteuern damals im College erzählen, werden jetzt weniger. Stattdessen winkt der Türsteher Berufspendler durch, die sich für den Feierabend eindecken. Die meisten wollen sich Joints bauen. Ruden bietet zehn Sorten „Gras“ an. Nach der Schnupperprobe lassen sich Kenner besonders gern aus dem Glas mit der Aufschrift „Todesstern“ bedienen: kräftig und erdig, mit einem Hauch von Salbei.

Es kommen aber auch Nichtraucher und Unerfahrene, deren Augen oft an den Süßwaren hängen bleiben. Nichts unterscheidet die abgepackten Gummibärchen, Gelatine-Himbeeren oder Pralinen auf den ersten Blick vom Angebot im Supermarkt. Futtert man ein 20-Dollar-Tütchen leer, hat man aber 100 Milligramm Tetrahydrocannabinol im Körper – so viel, wie in vier bis acht Joints steckt. Darauf kann man sich verlassen in Colorado. So steht es im Gesetz.

Damit kennt Ruden sich aus, denn er ist Anwalt. Eigentlich. Hätte ihm vor fünf Jahren jemand in seiner Kanzlei prophezeit, dass er sich bald mit Bewässerung, Dünger und Umtopfplänen herumschlagen würde, „den hätte ich ausgelacht“. Wie viele Amerikaner störte sich Ruden seit langem daran, dass Kiffer ins Gefängnis gesteckt werden und dass dies mit ziemlich hohen Kosten verbunden ist.

Gestört hat ihn aber auch, dass die volle Härte des Gesetzes dabei vor allem Schwarze und Latinos trifft. Aber er verstand sich nie als Aktivist, und er hätte sich auch nie das Standardwerk „Marijuana Horticulture: The Medical Grower’s Bible“ gekauft, wenn er nicht ein großes Geschäft gewittert hätte – die Geburt einer neuen Branche, eine Wildwest-Bonanza im 21. Jahrhundert. Ruden investierte seine Ersparnisse. „Privat gab ich nur das Nötigste aus, alles Geld floss ins Geschäft.“ Das war noch vor dem Referendum Ende 2012, als die Bürger ihr Recht auf Rausch in der Verfassung von Colorado verankerten.

Drei Gramm pro Kunde und Tag

Die Einnahme von Marihuana auf ärztliches Rezept war hier schon seit dem Jahr 2000 straffrei, und vor einigen Jahren hatten die Behörden begonnen, die im Wildwuchs entstandene Branche zu bändigen. Auch bei Starbuds prangt auf dem Firmenschild das grüne Kreuz, das mehr an eine Apotheke als an einen Amsterdamer Koffieshop erinnert. Doch seit er vor wenigen Wochen auch die Lizenz zum allgemeinen Verkauf erhielt, bedient Ruden fünfmal so viele Kunden und verkauft seine Ware zum doppelten Preis. Laut Gesetz dürfte er jedem Kunden aus Colorado eine ganze Unze verkaufen, aber fürs Erste ist Schluss bei „einem Achtel“: Gut drei Gramm pro Kunde und Tag müssen reichen. „Sonst stünden wir längst vor leeren Regalen.“