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Warum Clare und Kirsty für Ikea zu gewagt sind

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Ikea streicht einen Beitrag über ein lesbisches Paar aus seinem russischen Kundenmagazin. Nicht zum ersten Mal gibt es eine derartige Selbstzensur bei dem Möbelhaus.

Das Kundenmagazin von Ikea bietet wenig politischen Zündstoff. Die meisten Geschichten sind vom Kaliber „Eingemacht leichtgemacht“ oder „Liebenswerter Landhauslook“. Das lesen Kunden in der ganzen Welt, ohne sich daran zu stoßen – getreu der selbstgewählten Verpflichtung des schwedischen Konzerns, „demokratisches Design“ für jeden Geldbeutel und jede Lebenssituation anzubieten. Dass Wohnungen in Stockholm, Berlin, Peking und Moskau sich zunehmend ähnlich sehen, kommt dem Geschäftsmodell entgegen – das „Billy“-Regal und den „Lack“-Tisch verkauft Ikea inzwischen in fast 300 Einrichtungshäusern in 26 Ländern.

Die jüngste Ausgabe des Kundenmagazins aber enthält eine Reportage, die den Ikea-Redakteuren selbst offenbar zu mutig war, um sie überall zu veröffentlichen. Es geht darin um den Einrichtungsstil von Clara und Kirsty, einem lesbischen Paar mit einem Kind aus der englischen Grafschaft Dorset. Für Russland zu gewagt, entschied der Konzern.

Dort erscheint der Text aus Rücksicht auf die restriktive russische Gesetzgebung zur Homosexualität nicht. Als die Selbstzensur am Mittwoch durch einen Bericht der Zeitung „Aftonbladet“ in Schweden bekannt wurde, richtete sich unmittelbar heftige Kritik gegen sie. Ulrika Westerlund, die Chefin des Verbands der Schwulen und Lesben, sagte im schwedischen Fernsehen, sie finde es enttäuschend, dass der Konzern vorauseilend vor den russischen Behörden kusche. Denn ob die Geschichte über Clara und Kirsty wirklich Anlass zu juristischen Schritten auf der Grundlage des im Sommer verabschiedeten Verbots von positiven Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien wie das Internet gegeben hätte, sei überhaupt nicht sicher. „Es wäre ein guter Test gewesen, wenn der Text in Russland erschienen wäre.“

Retusche in Saudi-Arabien war „unüberlegt“

Die Kritik erinnert an einen Fall aus dem vergangenen Jahr: Damals hatte der Konzern für seinen Katalog für Saudi-Arabien nachträglich Frauen von den Fotos entfernt. Die Retusche sollte offenbar dafür sorgen, dass sich in dem muslimischen Land niemand in seinem Schamgefühl und Geschlechterverständnis verletzt fühlte. Eine Frau, die sich im Schlafanzug die Zähne putzt, zählte beispielsweise zu den Motiven, die für zu gewagt gehalten wurden. „Das war unüberlegt und geschah nicht in Abstimmung mit der Zentrale“, ließ eine Sprecherin damals allerdings wissen. „Die Entscheidung stimmte nicht mit unseren Unternehmenswerten überein.“

Immerhin hat der Konzern seine Wurzeln in Schweden, einem der Pionierländer in Sachen Gleichberechtigung – und der Katalog ist mit einer Auflage von mehr als 200 Millionen Exemplaren seine wichtigste Visitenkarte.

Dass russische Ikea-Kunden Clare und Kirsty nun nicht kennenlernen, verträgt sich aber offenbar mit dem blau-gelben Verhaltenskodex. Darin steht zwar, dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, Religion, Behinderung oder eben Sexualität diskriminiert werden dürfe. Für die Kommunikation gebe es aber zwei entscheidende Leitplanken, erläutert dieselbe Sprecherin nun. „Zum einen soll es um Inneneinrichtung gehen, und zum anderen respektieren wir die jeweilige Gesetzgebung.“ Als Arbeitgeber und im Umgang mit seinen Kunden trete der Konzern aber überall auf der Welt gleichermaßen liberal auf.

Ob sich die Ansichten über das angemessene Verhältnis der Geschlechter in den verschiedenen Ländern auf diese Weise langsam, aber sicher genauso einander annähern werden wie die Einrichtungsstile? Und ist es eigentlich die Aufgabe eines Möbelhauses, dafür zu sorgen? „Testament eines Möbelhändlers“ hat Ingvar Kamprad, der Ikea-Gründer, über seine wichtigsten Tipps geschrieben – nicht „Testament eines Bürgerrechtlers“. Der Anspruch auf „demokratisches Design“ kam erst später.

Aber über das Dilemma kann vermutlich jeder internationale Konzern ein Lied singen, sofern ihm nicht alle Themen jenseits der Profitabilität einfach nur egal sind. In der Ausgabe des Ikea-Katalogs für 2014 übrigens werden auch in Saudi-Arabien wieder Frauen zu sehen sein. Anpassungen an das lokale Rollenverständnis aber hat Ikea auch diesmal wieder vorgenommen, wie die schwedische Zeitung „Metro“ berichtet. So bereitet auf einem der Fotos ein Mann nicht – wie im Rest der Ikea-Welt – für die ganze Familie, sondern nur für sich selbst eine Mahlzeit vor.