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Der Deal

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Eine mildere Strafe für den Angeklagten im Tausch gegen ein Geständnis. Das ist der klassische Deal. Das Bundesverfassungsgericht will solche Absprachen in Strafprozessen nun überprüfen.

Der „Deal“ ist Gesetz. Aber bleibt es dabei? Das Bundesverfassungsgericht will am 7. November über die Absprachen im Strafprozess mündlich verhandeln und sich erstmals ausführlich mit Gesetz und Praxis befassen. Verständigungen im Strafverfahren gehören seit Jahrzehnten zum Alltag in deutschen Gerichten. Nach Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs von 1997 und 2005 regelte der Gesetzgeber den sogenannten Deal. Seit 2009 befinden sich somit die Verfahrensabsprachen nicht mehr im Niemandsland – sind aber nach wie vor umstritten.

Denn eigentlich soll in öffentlicher Hauptverhandlung geklärt werden, was dem Angeklagten nachgewiesen werden kann- dann setzt das Gericht eine Strafe fest. Die Strafprozessordnung erlaubt nun die Absprache, hält aber an der richterlichen Aufklärungspflicht fest. Ein Deal über den Schuldspruch ist untersagt. Und das Schuldprinzip hatte der Zweite Senat in seinem Lissabon-Urteil in den höchsten Rang gehoben (als Teil der Menschenwürde). Über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis muss der Angeklagte belehrt werden. Die Verständigung soll transparent sein und überprüft werden können.

Drei Verfassungsbeschwerden über Strafurteile

Deshalb muss das Protokoll der Hauptverhandlung den wesentlichen Ablauf sowie den Inhalt einer Verfahrensabsprache enthalten- sofern eine Verständigung nicht stattgefunden hat, ist auch das zu vermerken. Ein Rechtsmittelverzicht nach einer Absprache ist ausgeschlossen. Mit drei Verfassungsbeschwerden will sich der Zweite Senat unter der Federführung von Berichterstatter Herbert Landau befassen. Es geht um Strafurteile, denen jeweils eine Verständigung zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagtem über das Ergebnis des Strafverfahrens vorausging.

Die Absprachen kamen auf Anregung der Gerichte zustande, die den Angeklagten (die später Verfassungsbeschwerde erhoben) für den Fall eines Geständnisses eine bestimmte Strafobergrenze in Aussicht gestellt hatten. Die Angeklagten stimmten der Absprache zu und gestanden die Vorwürfe – teilweise jedoch nur pauschal und unter Verweigerung weiterer Angaben. Die Gerichte sprachen sodann Freiheitsstrafen in Höhe der zugesagten Höchstgrenzen aus.

Bindungswirkung kann entfallen

Die Beschwerdeführer zweier Verfahren waren wegen vielfachen Anlagebetrugs verurteilt worden. In beiden Ausgangsverfahren belehrte die Strafkammer sie vor dem Zustandekommen der Absprache entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nicht über die Möglichkeit eines Wegfalls der Bindungswirkung für das Gericht. Im Anschluss an die Geständnisse erfolgten noch weitere Beweiserhebungen. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revisionen der Beschwerdeführer, soweit sie auf den Belehrungsmangel gestützt wurden, da die Urteile seiner Ansicht nach nicht auf dem Belehrungsmangel beruhten.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen diese Beschwerdeführer vor allem Verletzungen ihres verfassungsmäßig garantierten Rechts, sich selbst nicht belasten zu müssen. Darüber hinaus greifen sie mittelbar auch die gesetzliche Regelung der Verständigung an, die ihrer Auffassung nach gegen das verfassungsrechtliche Schuldprinzip und das Rechtsstaatsgebot verstößt. Ein weiterer Beschwerdeführer wurde wegen schweren Raubes in zwei Fällen und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt. Die Taten habe er während der Dienstausübung als Polizeibeamter gemeinschaftlich mit einem Kollegen begangen.

Geständnisse widerrufen

Das von der Strafkammer unterbreitete Verständigungsangebot sagte für den Fall eines Geständnisses, das eine Beweisaufnahme überflüssig mache, und des Verzichts auf Beweisanträge zur Schuldfrage eine Strafobergrenze von zwei Jahren auf Bewährung zu. Ansonsten müsse mit einer Mindeststrafe von drei Jahren je Raubtat gerechnet werden, sollten sich die Vorwürfe ohne Abgabe eines Geständnisses nach einer Beweisaufnahme bestätigen, wobei nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers für diesen Fall eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens vier Jahren im Raum gestanden habe.

Der Beschwerdeführer und sein mitangeklagter Kollege stimmten dem Deal zu und erklärten sodann vorbehaltlos, die Anklage treffe zu. Die Beantwortung von Fragen verweigerten sie, mit Ausnahme einer Frage zum Mitführen der Dienstwaffen. Eine weitere Beweiserhebung gab es nicht. Nach der Verurteilung widerriefen der Beschwerdeführer und der Mitangeklagte die Geständnisse, weil sie zuvor unzulässig unter Druck gesetzt worden seien. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Angeklagte einen Verstoß gegen sein Recht auf ein faires Verfahren sowie gegen die richterliche Aufklärungspflicht.

Die Frage der Gleichbehandlung

Die Strafkammer habe sich nicht mit einem bloßen „absprachebedingten Formalgeständnis“ zufriedengeben dürfen, da dieses aus sich heraus keinen Aufschluss über seinen Wahrheitsgehalt zugelassen habe. Der Zweite Senat hat eine Studie zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren in Auftrag gegeben- der Präsident des Bundesgerichtshofs und der Generalbundesanwalt wurden als Sachverständige zur mündlichen Verhandlung geladen. Auch kamen Richter der Instanzgerichte sowie Richter- und Anwaltsverbände zu Wort. So hatte etwa der Präsident des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf, vor einer „Zwei-Klassen-Justiz“ gewarnt.

In der Tat bietet sich die Absprache vor allem in komplexen Wirtschaftsstrafverfahren an- hier geht es um viel, und hier kommt es besonders auf gute (und teure) Anwälte an. Verfassungsrechtlich stellt sich dann die Frage der Gleichbehandlung. Und auch die der Unschuldsvermutung. Auch Verteidiger können ein Interesse am Deal haben – aber was, wenn der Mandant gar nicht schuldig ist? Zudem fragt sich, was die gesetzliche Regelung gebracht hat, wenn – wie Fachleute sagen – oft gleichwohl weiter im Hinterzimmer gekungelt wird.

Das Aushandeln von Wahrheit und Strafe passt nicht recht in das deutsche Strafrecht. Aber es ist mittlerweile offenbar für viele Praktiker kaum noch vorstellbar, auf Absprachen zu verzichten. Das Bundesverfassungsgericht hat schon hervorgehoben, dass Zweifel (wie ja sonst auch) über das Bestehen einer Absprache nicht zu Lasten des Angeklagten gehen dürfen. Und es hat die Gerichte an ihre Aufklärungspflicht erinnert. Jetzt geht es ums Ganze.