Familie

Ausbeutung oder Segen? Leihmütter: Babys auf Bestellung

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Für Paare, die kein Kind bekommen können, sind Leihmütter oft die letzte Hoffnung. In der Ukraine ist das zum Geschäft geworden.

Seine Tochter wurde an einem Mittag geboren. Sofort erhielt er ein Foto aus dem Krankenhaus. „Ein Leben ohne Kind“, sagt er, „das war für uns nicht vorstellbar.“

Über die Entfernung von mehr als 1000 Kilometern, durch das kratzige Rauschen des Whatsapp-Telefonats und seinen Corona-Mund-Nasenschutz dringt Erleichterung: Endlich sind sie Eltern, er Papa.

Man solle ihn Peter nennen, diesen Mann Ende 30, der in einem Hotelzimmer in Kiew sitzt und etwas zurückhaltend über dieses sehr persönliche Thema spricht: einen Kinderwunsch, der so groß ist, dass er das ganze Leben bestimmt; der einen dazu bringt, Sachen zu tun, die zunächst ein bisschen verrückt erscheinen. Eine Leihmutter in der Ukraine anheuern zum Beispiel. So wie Peter und seine Frau. „Ich bin sehr glücklich“, sagt Peter, „ich möchte meine Tochter immerzu anschauen.“

Zwei Monate alt ist sie zum Zeitpunkt des Telefonats bereits, bald werden sie zu dritt nach Deutschland zurückfliegen. Insgesamt haben Peter und seine Frau dann mehr als drei Monate in der Ukraine verbracht. Als Mitte März klar wurde, welche Auswirkungen das Coronavirus europaweit haben würde, nahmen sie sich sofort Urlaub und buchten einen Flug nach Kiew. Sie wussten ja, dass die Geburt ihres Kindes mehr oder weniger kurz bevorstand und wollten vermeiden, was anschließend vielen Wunscheltern passierte: Grenzschließungen und Reisestopps verhinderten, dass sie ihre frisch geborenen Babys in der Ukraine in Empfang nehmen konnten.

Im Mai stellte das Unternehmen Biotexcom, dessen Kunden auch Peter und seine Frau sind, ein Video online, eine Mischung aus Werbung und Hilferuf. Um all die Neugeborenen, deren Eltern nicht ins Land kommen konnten, unterzubringen, hatte die Klinik Räume in einem Hotel zu Säuglingsstationen umgemodelt. Unter Kronleuchtern und stuckverzierten Decken lagen zeitweise rund 70 Kinder in rollbaren Bettchen, umsorgt von liebevoll lächelnden Frauen. Es erreichte die erhoffte Aufmerksamkeit: Weltweit berichteten Medien über den Babystau in Kiew.

Die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmila Denisova, setzte sich schließlich persönlich dafür ein, Paaren die Einreise zu erleichtern. Aus humanitären Gründen, sozusagen, denn das Leihmuttergeschäft in der Ukraine, in dem Babys zur Ware werden, sieht sie an sich kritisch. Die Eltern der Kinder in den Hotelzimmern stammten laut Berichten aus zwölf Ländern: China, USA, Italien, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Bulgarien, Rumänien, Österreich, Mexiko und Portugal. In der Ukraine ist kommerzielle Leihmutterschaft gesetzlich geregelt.

„Es gibt keine absolute Unfruchtbarkeit“

Werbung in einer Biotexcom-Broschüre

Das Geschäft in einem der ärmsten Länder Europas läuft prächtig, denn die Preise für ein Kind sind vergleichsweise günstig. 39 900 Euro kostet das „All Inclusive Standard“-Programm bei Biotexcom laut der Webseite der Klinik. 64 900 das so genannte VIP-Programm mit Unterbringung der Eltern bis zu vier Monate nach der Geburt. In den USA, wo Leihmutterschaft in einigen Staaten auch gestattet ist, zahlen Kunden doppelt so viel.

Mehr als ein Dutzend Anbieter für Leihmutterschaft gibt es mittlerweile in der Ukraine. Einige werben mit einer „Babygarantie“. Bei Biotexcom heißt es: „Es gibt keine absolute Unfruchtbarkeit.“

Für Menschen mit Kinderwunsch ist das ein Versprechen, nach dem sie lange gesucht haben. Zumal das Kind am Ende genetisch ihres ist. Denn die Eizelle der Wunschmutter wird der Leihmutter nach der Befruchtung mit dem Sperma des Wunschvaters eingesetzt.

Maria Holumbovska, 33 Jahre alt und als deutschsprachige Pressesprecherin von Biotexcom auch für die deutschen Eltern zuständig, sagt, dass die Zahl der Anfragen aus aller Welt steige. Ständig kämen neue Abteilungen dazu, jüngst zum Beispiel eine für japanische Kunden. Dies ungeachtet der Debatten, die innerhalb der Ukraine und auch in anderen Ländern bereits seit Jahren kommen und gehen. Ob es ethisch und moralisch vertretbar ist, den Bauch einer Frau zu mieten? Noch dazu einer, die auf das Geld sehr angewiesen ist. Wie weit soll man gehen dürfen, um den Wunsch nach einem eigenen Kind zu erfüllen?

Wer im Leihmutterschaftsgeschäft arbeitet oder Kunde war, hat dazu eine pragmatische Einstellung. Peter zum Beispiel. In den zehn Jahren, die er und seine Frau verheiratet seien, habe es nie geklappt mit dem Schwangerwerden. Nicht auf natürlichem Weg und nicht mit ärztlicher Hilfe. Zu sehen, wie Freunde und Bekannte Familien gründeten, sei zunehmend schmerzhaft gewesen. Am Ende tat es schon weh, Fremde Kinderwagen über die Straße schieben zu sehen. Dazu immer diese Frage: Wann ist es bei euch soweit?

Denn es ist ja das Kuriose am Kinder haben und -kriegen: Obwohl die Angelegenheit so privat ist, will jeder mitreden. Nur wenn es nicht klappt, spricht kaum jemand darüber. Keine Kinder bekommen können, ist ein Tabu und wird stigmatisiert, als sei es eine persönliche Verfehlung und nicht – wie oft – eine Laune der Natur. Vielleicht ist es für manche Paare auch deswegen nicht vorstellbar, ohne Kinder zu leben.

Es gibt Milieus, in denen es als geradezu mangelhaft gelte, wenn eine Frau zwischen 25 bis 30 Jahren noch kein Kind habe. Das fand vor wenigen Jahren eine Studie des Bundesfamilienministeriums heraus. Anders herum sei es in anderen Gesellschaftsbereichen untypisch, früh Eltern zu werden oder darunter zu leiden, kein Kind bekommen zu können. Laut Familienministerium ist in Deutschland jedes zehnte Paar zwischen 25 und 49 Jahren ungewollt kinderlos.

Es fühlt sich jetzt alles normal und richtig an.

Peter, Wunschvater

Bei Peter und seiner Frau lag es an ihr, sagt er, ohne Details zu nennen. Drei Mal hätten sie es mit künstlicher Befruchtung versucht, jeweils sei dem natürlich eine Hormonbehandlung bei ihr vorausgegangen. Seine Frau habe sich immer schlechter gefühlt und sehr viel zugenommen. Dann lasen sie im Internet von Leihmutterschaft. Sie seien sich schnell einig gewesen, erinnert sich Peter.
Ihrer Familie und engen Freunden erzählten sie von dem Plan, sich in der Ukraine helfen zu lassen. Alle hätten Verständnis gehabt, sagt Peter, sie hätten die traurige Vorgeschichte ja gekannt.

Sie begannen zu sparen. Vor zwei Jahren schließlich hätten sie den ersten Termin bei Biotexcom in Kiew gemacht. „Service und Preise schienen uns transparent“, sagt Peter, Erfahrungsberichte von anderen Eltern – alles auch online zu finden – seien gut gewesen. Natürlich hätten sie vorher viel diskutiert, sagt er. Am Ende war der Wunsch größer als alle Bedenken.

„Es fühlt sich jetzt alles normal und richtig an“, sagt Peter. „Beim Füttern schaut meine Tochter mich ganz deutlich und fokussiert an.“ Sie lächele oft, wenn sie ihn sehe. „Diese Momente sind immer berührend.“ Durch das Telefon ist plötzlich Babygeschrei zu hören. Schnell reicht Peter das Handy weiter an Maria Holumbovska, die das Gespräch organisiert hat. Es ist ihr wichtig, dass Peter völlig anonym bleibt, dass nicht mal die Gegend bekannt gemacht wird, in der er in Deutschland lebt. Ein Dokument, das seine Identität beweist, will sie auch vertraulich nicht zeigen.

Die Rechtslage in Deutschland

In Deutschland ist es Ärzten laut Embryonenschutzgesetz verboten, bei einer Leihmutterschaft zu assistieren. Paragraf 1 legt fest, dass einem Arzt Strafe droht, wenn er eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich befruchtet, „als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt“. Das Adoptionsvermittlungsgesetz verbietet die Vermittlung von Leihmüttern. Auch wenn ein Kind, das von einer Leihmutter ausgetragen wurde, genetisch von den Wunscheltern abstammt, besteht zu ihnen nach deutschem Recht kein rechtliches Abstammungsverhältnis. Das Embryonenschutzgesetz soll unter anderem „gespaltene Mutterschaften“ verhindern, bei denen die genetische und die austragende Mutter nicht identisch sind. In einer Dokumentation des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags aus dem Jahr 2018 heißt es, dass als negative Folgen „seelische Konflikte beziehungsweise Beeinträchtigungen sowie Identitätsprobleme der betroffenen Kinder“ befürchtet werden.

Was Peter und seine Frau getan haben, ist zwar nicht illegal, doch zu Hause weder gern gesehen noch im weiteren Prozedere unkompliziert. Denn auch wenn ein ukrainisches Standesamt die genetischen Eltern als solche in der Geburtsurkunde vermerkt, so gilt das nicht ohne weiteres in Deutschland und nach deutschem Abstammungsrecht. Seine Frau wird die gemeinsame Tochter in Deutschland adoptieren müssen, um hier rechtlich ihre Mutter zu werden, Peter hat die Vaterschaft schon in der Ukraine anerkannt, die Leihmutter das Sorgerecht abgetreten. Deswegen kommen für den deutschsprachigen Raum „nur ledige, verwitwete oder geschiedene Leihmütter in Frage“, erklärt Maria Holumbovska.

Es ist ein wichtiges Auswahlkriterium. Außerdem sollte die Frau mindestens ein Kind haben, das ohne Probleme geboren worden ist. Sie sollte gesund sein, physisch und psychisch. Schließlich muss vermieden werden, dass sie sich nach der Geburt nicht vom Baby trennen kann oder will. Generell suchten Ärzte und Psychologen eine Leihmutter aus, sagt Maria Holumbovska. „Die Eltern haben kein Mitspracherecht.“

Kennenlernen dürfen sie die Leihmutter aber durchaus. Meist nach der Geburt. „Auch die Leihmütter möchten wissen, was das für Leute sind“, sagt Maria Holumbovska. „Wenn Eltern und die Leihmütter sich treffen, dann sind das sehr emotionale Momente.“ Auch Peter und seine Frau lernten die Mutter kennen, die ihre Tochter zur Welt gebracht hat. „Sie ist ein ganz sympathischer Mensch“, sagt er, „wir haben uns umarmt.“ Sie sei sehr freundlich gewesen und liebe das Baby wie sie auch. Sie zeigte Fotos von ihren eigenen Kindern. „Das war kein Problem gewesen“, sagt Peter.

Die Leihmutter, die angeblich Anna Sendjetskaja heißt, erinnert sich in einem Telefonat Anfang Juli an das Treffen. Schön sei es gewesen, sagt sie und dass sie nur gute Gefühle habe, was die Eltern des kleinen Mädchens angehe, das sie geboren hat. „Es war schön, die Dankbarkeit in den Augen der Menschen zu sehen“, sagt sie. „Das werden glückliche Eltern.“

Anna Sendjetskaja ist 36 Jahre alt und Mutter von zwei sechs und acht Jahre alten Söhnen. Die drei leben in einem kleinen gemieteten Haus mit Garten am Rand von Charkow in der Ostukraine, der noch immer andauernde Krieg im Donbass ist nicht weit entfernt. Vom Vater der Kinder ist Sendjetskaja getrennt. Die Situation sei schwierig, sagt sie: Erst war da der Krieg, dann kam noch Corona dazu. Ihre Arbeit als Köchin hat sie verloren.

„Ich habe keine großartigen Talente, weder künstlerisch noch auf irgendeinem anderen Gebiet. Ich kam an einen Punkt, an dem ich mich fragte: Was kannst du noch machen in deinem Leben?“

Anna Sendjetskaja, Leihmutter

Trotzdem, so sagt sie es, sei es nicht allein das Geld gewesen, das sie dazu brachte, Leihmutter zu werden. „Ich habe keine großartigen Talente, weder künstlerisch noch auf irgendeinem anderen Gebiet“, sagt sie. „Ich kam an einen Punkt, an dem ich mich fragte: Was kannst du noch machen in deinem Leben?“ Sie habe nach einer Art Mission gesucht – und sei im Internet auf eine Anzeige zur Leihmutterschaft gestoßen.

Anna Sendjetskaja erzählt, dass es für sie und ihren Ex-Mann auch nicht leicht gewesen sei, Kinder zu bekommen. Es habe lange gedauert. Scheinbar hat sie nicht vergessen, wie belastend die Situation für ein Paar, für eine Frau sein kann. Sie diskutierte mit Freundinnen und mit ihren eigenen Kindern. Schnell sei sie zu dem Schluss gekommen: „Ich bin gesund, ich habe meine eigenen, gesunden Kinder. Warum soll ich da nicht einer Frau helfen, die keine haben kann?“

Im Gespräch wirkt es, als habe sie sich sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, bevor sie die Entscheidung traf. Sie erzählt selbstbewusst und offenbar frei von Zweifeln.

Genauso klar wirkt sie auch bei der Frage, ob es ihr schwergefallen sei, sich von dem Neugeborenen zu trennen. Sie habe die Situation gut im Griff gehabt, sagt sie. „Ich habe das immer gut verstanden: hier, das sind meine eigenen Kinder. Und dann ist da dieses andere Kind.“ Mit ihren Söhnen habe sie häufig darüber gesprochen, wie das Baby wächst und sich entwickelt, „alles ganz ruhig, alles positiv“. Das kleine Mädchen in ihrem Bauch nannte sie Zitrönchen.

Während der Schwangerschaft werden die Leihmütter regelmäßig in der Klinik von Biotexcom untersucht, die Wunscheltern erfahren meist per E-Mail, wie es ihrem ungeborenen Kind geht. Es muss ein gewöhnungsbedürftiges Gefühl sein, das eigene Kind im Bauch einer Fremden, in einem fremden Land zu wissen. Es muss andererseits ungewöhnlich sein, die physischen Veränderungen, teils Strapazen einer Schwangerschaft, das immer vorhandene Risiko einer Geburt zu ertragen – für Fremde.

Es gibt Länder, in denen ist Leihmutterschaft geregelt unter der Bedingung, dass rein altruistische Motive dahinterstehen. Dänemark gehört dazu, Großbritannien, Australien oder die Niederlande. Wer darüber nachdenkt, die Hilfe einer Leihmutter in Anspruch zu nehmen, muss im Internet nicht lange suchen. Während Paare für eine Leihmutterschaft in der Ukraine heterosexuell und verheiratet sein müssen, dazu einen medizinischen Nachweis brauchen, dass sie unfruchtbar sind, werden anderswo auch homosexuelle Paare oder Singles fündig. Der Markt ist international, die Beratung umfassend und alles ist möglich. Die Klinik New Life Ukraine bietet sogar an, das Geschlecht des Babys vor dem Einsetzen der Eizelle auszuwählen. So könne die Familienkonstellation den Wünschen entsprechend gestaltet werden.

Es ist ein Geschäft mit den Träumen der Menschen. Im Idealfall verwirklichen die sich problemlos. Was aber, wenn nicht alles nach Plan läuft?

Bekannt wurde im vergangenen Jahr zum Beispiel der Fall eines kleinen Mädchens in der Ukraine, bestellt und bezahlt von Eltern aus den USA – und nicht abgeholt. Denn Bridget kam offenbar bereits in der 25. Schwangerschaftswoche zur Welt, also viel zu früh. Eine Reporterin der australischen „ABC News“ fand die schwer eingeschränkte Dreijährige in einem ukrainischen Waisenhaus. Ihr Zwilling hatte die Geburt nicht überlebt. So hatten sich die Eltern ihre Wunschkinder wohl nicht vorgestellt.
Es soll anders herum Fälle gegeben haben, in denen die Leihmütter das Kind nach der Geburt nicht abgeben wollten. Und in Berlin wurde Anfang Juli ein 38-jähriger Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt, weil er seinen Sohn, den eine Leihmutter für ihn ausgetragen hatte, missbraucht hat. Es blieb unklar, ob er den Jungen zu diesem Zweck zeugen ließ.

Maria Holumbovska, die Pressesprecherin von Biotexcom sagt, dass eine Klinik grundsätzlich eine Lizenz vom Gesundheitsministerium brauche, dass einige Kliniken in der Ukraine diese aber nicht hätten. Die Infrastruktur der Profis ist, so wirkt es aus der Ferne und in Berichten von Eltern, nahezu perfekt ausgebaut, die Risiken – menschliche und medizinische – sind minimiert. Doch wie bei allen Geschäften gilt wohl auch hier: Wo viel Geld im Spiel ist, sind die Verlockungen groß.

Im vergangenen Jahr hätten ukrainische Leihmütter 1500 Kinder ausgetragen, berichtete die Deutsche Presseagentur im Mai. Quelle war das Justizministerium in Kiew. 137 dieser Babys hätten mindestens einen deutschen Elternteil gehabt. Nikolai Kuleba, Ombudsmann für Kinderrechte im ukrainischen Parlament, kritisierte laut dpa auf Facebook die Ausbeutung ukrainischer Frauen: „Es ist eine Sklaverei, die aufgrund der Armut zunimmt.“ Albert Totchilovsky, Chef von Biotexcom, meint hingegen: „Wenn das eine Ausbeutung ist, dann eine freiwillige, mit ihrer Zustimmung.“

Wie viel die Leihmütter von Biotexcom gezahlt bekommen, möchte Maria Holumbovska nicht sagen. „Es ist eine anständige Summe, man kann sich ein Haus oder eine Wohnung kaufen.“ Das hat auch Anna Sendjetskaja vor. Was sie für die Leihmutterschaft bekommen habe, werde für eine Wohnung nicht ausreichen, sei aber eine solide Basis, erzählt sie. Derzeit sucht sie schon, „es wird eine kleine Wohnung werden, vielleicht 50 Quadratmeter“. Die Nebenkosten in Charkow seien sehr hoch, und sie habe ein paar Ansprüche: „Fließend Warm- und Kaltwasser sollten schon sein und eine Heizung.“

Mit Peter und seiner Frau ist sie auch Wochen nach der Geburt noch in Kontakt. „Sie berichten mir, wie sich das Kind entwickelt, wie es ihnen geht, dass alles gut ist“, sagt Anna Sendjetskaja. Die beiden fragten auch nach ihren Kindern, die Beziehung sei gut. Es sei nicht selten, dass Wunscheltern und Leihmutter sich gegenseitig Bilder schickten und auf dem Laufenden hielten, sagt Maria Holumbovska. Manche besuchten einander sogar.

Als sich die Leihmutter ihrer Zwillinge vor etwa einem halben Jahr plötzlich über Facebook bei ihr meldete, sei sie zunächst erschrocken gewesen, erzählt Jessica Geißdörfer in einem Telefonat. Dann habe sie ihr Bilder der Kinder geschickt. Seither ist der Kontakt spärlich, aber regelmäßig. Zwölf Jahre lang hatten Jessica Geißdörfer und ihr Mann vergeblich versucht, Kinder zu bekommen. Bis sie im Jahr 2016 eine Fernseh-Reportage aus der Ukraine auf die Idee mit der Leihmutterschaft brachte. Und auch sie landeten bei Biotexcom.

„Einen Wunsch kannst du nicht ändern. Leihmutterschaft war für uns so attraktiv, weil es eine Garantie gibt.“

Jessica Geißdörfer, Mutter

Jessica Geißdörfer, heute Anfang 30, hat über ihre Erfahrungen ein kleines Buch geschrieben. Es ist eine sehr persönliche und ehrliche Schilderung des Weges, der nach vielen Enttäuschungen und Schmerzen schließlich mit der Geburt von Teresa und Niklas endete. Heute hängt ein Link zur Amazon-Verkaufsseite ihres Buches unter jeder offiziellen Mail der Pressesprecherin Maria Holumbovska. Geschichten wie jene der Familie Geißdörfer sind für Biotexcom eine gute Werbung.

Für alle anderen sind sie das niedergeschriebene Zeugnis, wie übermächtig ein Kinderwunsch sein kann. „Einen Wunsch kannst du nicht ändern“, sagt Jessica Geißdörfer, die das Thema Kinderkriegen nüchtern betrachtet. „Leihmutterschaft war für uns so attraktiv, weil es eine Garantie gibt.“ Bis sie ihre Zwillinge im Arm halten durften, zahlte das Ehepaar rund 45 000 Euro. Die Leihmutter sei die Hülle gewesen, der geliehene Bauch. Was nicht so klingen soll, als sei Jessica Geißdörfer der Frau nicht unendlich dankbar. Doch sie ist ein Geschäft eingegangen, und so betrachtet sie das auch: „Das Ziel, unseren Wunsch zu erfüllen, war größer als moralische Bedenken.“

Tatsächlich hatten sie sich zwischenzeitlich bereits für eine Adoption entschieden, waren beim Jugendamt vorstellig geworden und hatten sich offiziell beworben. Doch auch nach längerer Zeit fand sich kein Baby für das Paar. Es gebe zu viele Bewerber für zu wenige Kinder, hieß es. Die Entscheidung für die Leihmutterschaft gab ihnen schließlich wieder das Gefühl, selbst etwas entscheiden und tun zu können. Das Warten sollte endlich ein Ende haben.

Jeden Tag gebe es Momente, in denen sie denke: „Schön, dass wir das erleben.“ Und doch bleibt ein kleiner Rest Trauer, nie schwanger gewesen zu sein. Als neunmonatige Vorbereitung auf das Muttersein vielleicht, ein letztes Puzzlestück zum Komplettpaket Elternschaft. Als das Klinikpersonal in der Ukraine Jessica Geißdörfer nach der Geburt sofort „Mama“ nannte, sei das schön gewesen – und gleichzeitig befremdlich. Sie musste emotional noch aufholen.

Nach deutschem Recht ist eine Frau dann Mutter, wenn sie das Kind zur Welt gebracht hat, Paragraf 1591 im Bürgerlichen Gesetzbuch.

Um zur rechtlichen Mutter ihrer Zwillinge zu werden, um also auch wichtige Entscheidungen im Leben der beiden treffen zu dürfen, musste auch Jessica Geißdörfer sie adoptieren. In ihrem Buch schreibt sie, dass ihr dieser Schritt nicht leicht gemacht worden sei. Dass Deutschland Leihmutterschaft unter keinen Umständen unterstützen will und die Anerkennung der rechtlichen Elternschaft eventuell nicht ohne Weiteres erfolgt, hatte sie bis dahin erfolgreich verdrängt.

Die Geißdörfers haben auch dieses Problem hinter sich gelassen. Das nächste könnte sein, ihren Kindern zu erklären, wieso ihr Geburtsort Kiew ist und welche lange Geschichte sich dahinter verbirgt. Sie haben bislang kein Geheimnis daraus gemacht, und trotzdem sagt Jessica Geißdörfer: „Ich hoffe, dass es die Kinder nicht interessiert.“

Bis es vielleicht soweit ist, antworten die zwei Dreijährigen auf die Frage „Wer hat dich zur Welt gebracht?“: „Natalja.“ Und auf die Frage „Wer ist deine Mama?“: „Jessica.“