Es waren vor allem die in letzter Zeit nicht mehr sehr zahlreichen Anhänger eines europäischen Bundesstaats, die schon am Montagabend regelrecht euphorisch auf die Vorschläge der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron für einen europäischen „Wiederaufbau-Fonds“ nach der Corona-Krise reagiert haben. Der entscheidende Kernpunkt des Vorschlags, so argumentierte etwa der Berliner Ökonom Henrik Enderlein, bestehe in einem völlig neuen deutsch-französischen Konsens: dass nämlich die EU als Ganze eigene Schulden in großer Höhe aufnehmen solle. Das politische Signal aus Berlin laute erstmals, so Enderlein weiter, „dass die EU mehr ist als eine Gruppe von Nationalstaaten und ihre eigene föderale Identität hat“.
Der Ökonom Enderlein liegt richtig: Die neue Qualität des Vorschlags besteht nicht darin, dass eine weitere halbe Billion Euro für die Bekämpfung der Corona-Folgen ins europäische Schaufenster gestellt wird. Das entscheidend Neue ist, dass sich die EU als Ganze dafür verschulden soll. Und da die so generierten Mittel ausschließlich als Zuschüsse – und eben nicht als Kredite – an bedürftige Länder weitergereicht werden sollen, erhielte die Union nach dem Willen von Berlin und Paris ein komplett neues Finanzierungsinstrument.
Ein gemeinsamer Finanzminister für gemeinsame Schulden
„Möglicherweise haben wir einen Hamilton-Moment erlebt“, kommentiert Enderlein den deutsch-französischen Vorschlag weiter. Er bezieht sich damit auf eine entscheidende Etappe in der Gründungsgeschichte der Vereinigten Staaten. Nach dem Unabhängigkeitskrieg waren die Finanzen der Bundesstaaten so zerrüttet, dass sie allein nicht mehr überlebensfähig schienen. Der amerikanische Finanzminister Alexander Hamilton setzte im Jahr 1790 einen Kompromiss durch: Der amerikanische Zentralstaat übernahm die Schulden und gewann zugleich erhebliche finanzpolitische Kompetenzen.