Gesellschaft

Nachruf auf Roy Horn: Der König der Tiger

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Präsentiert voller Stolz zwei neue Tigerjunge: Roy Horn im Jahr 2002

Millionen von Zuschauern auf der ganzen Welt haben zuletzt mit Faszination und Befremden die Netflix-Doku „Tiger King“ angeschaut, die einen so unterhaltsamen wie gruseligen Einblick bietet in die fremdartige Welt von Amerikanern, die ihr Heim mit Raubkatzen teilen. Der Protagonist ist ein schriller, zwielichtiger Typ mit dem Künstlernamen Joe Exotic, der sich einen Privatzoo mit Tigern und anderen Großkatzen hielt und inzwischen, nachdem er eine Widersacherin mutmaßlich ermorden lassen wollte, im Gefängnis sitzt. Für die größte Attraktion seines schäbigen Tierparks hielt dieser Joe Exotic sich selbst, und nach dem Ehrentitel, den er sich selbst verlieh, ist die Serie auch benannt.

Doch der „Tiger King“ der amerikanischen Entertainment-Branche ist in Wirklichkeit ein ganz anderer gewesen. Es gibt Aufnahmen, die zeigen Roy Horn, wie er inmitten eines Meeres aus leuchtenden Kerzen meditiert, zu seinen Füßen ein mächtiger weißer Tiger. Das Bild strahlt eine majestätische Würde aus, wie sie ein Joe Exotic nie erreichen könnte, und wirkt zugleich so schräg und überdreht, wie es sich gehört, wenn man im Showbusiness für Aufsehen sorgen möchte.

Ein Leben mit Raubkatzen: „Siegfried & Roy“ posieren 1980 mit einem ihrer Tiger auf ihrem Anwesen.

Bei den Auftritten, mit denen der nun verstorbene Roy Horn und sein Partner Siegfried Fischbacher jahrzehntelang die Zuschauer in ihren Bann schlugen, war alles eine Spur größer, greller und gefährlicher, als man es gewohnt war. Ob Siegfried & Roy die besten Zauberkünstler aller Zeiten waren, das mögen Leute vom Fach beurteilen- berühmter und über eine so lange Zeit erfolgreicher, auch in kommerzieller Hinsicht, dürfte jedenfalls keiner ihrer Konkurrenten geworden sein. Nie zuvor hatte jemand für Live-Shows so viel Geld bekommen wie Siegfried und Roy vom Mirage-Hotel in Las Vegas, das sich ihre Dienste für insgesamt 57,5 Millionen Dollar sicherte.

Zu Weltstars werden deutsche Künstler nur selten, und die, die es schaffen, verkörpern häufig Werte, die das internationale Publikum offenbar mit unserem Land verbindet: eine gehöriges Maß an Exzentrik, gepaart mit schweißtreibender Schwerstarbeit. Das gilt für Rammstein wie für Karl Lagerfeld und gewiss auch für Siegfried und Roy, die dem Glitter ihrer Bühnenshows auch im Privaten frönten und im Pool ihrer protzigen Villen mit den Großkatzen planschten. Der große Tierfreund Roy, hat sein Partner Siegfried in einer Dokumentation von ABC News gesagt, sei „furchtlos“ gewesen: ohne Angst vorm Leben, vorm Lieben und vorm Geben. Die Bilder der Doku zeigen einen strahlenden Roy, der auf dem Rücken eines seiner weißen Tiger durch den Garten fliegt. Er sei „sehr glücklich, eine gute Familie zu haben“, sagt Horn selbst. Gemeint sind die Tiere.

„Roy machte den Unterschied“

Eine intakte Familie, die den Söhnen Liebe und Geborgenheit gab, haben in ihrer Nachkriegskindheit weder Siegfried noch Roy erlebt, der 1944 im niedersächsischen Nordenham geboren wurde. Zu Tieren fühlte er sich früh hingezogen, er sagte, er könne sie denken hören. 1959 hatte Fischbacher als Steward und Unterhaltungskünstler auf dem Turbinenschiff Bremen angeheuert, ein Jahr später lernte er dort Horn kennen, der einen leibhaftigen Geparden an Bord geschmuggelt hatte- das Tier wurde zum festen Bestandteil der nun als Duo präsentierten Shows und zum Ahnherr aller Tiere, mit denen Siegfried und Roy die Zuschauer staunen ließen. Der Bühnenbildner John Napier, der mit den beiden zusammengearbeitet hat, preist ihre Shows als „Mischung aus Marvel-Comics und Wagner“.

Bilderstrecke

Wenn man so will, dann brachte der Mann mit dem Nibelungen-Namen das deutsche Element in die Partnerschaft ein – und der als Uwe Ludwig Horn Geborene die amerikanische Leichtigkeit. Siegfried, der unermüdliche Tüftler, der bis heute Englisch mit bayrischem Akzent spricht, hat über sich und seinen Partner gesagt: „Er hatte die Träume, ich die Ideen.“ Und: „Im Showbusiness musst du nicht gut, du musst anders sein. Roy machte den Unterschied.“ Als Akrobat und Dompteur sorgte Horn für den besonderen Nervenkitzel, wenn er mit den gewaltigen Raubkatzen balgte. Er bezeichnete sich als „Vaterfigur“ der Tiere und als ihre „Sicherheitsdecke“: Solange er bei ihnen sei, werde nichts Schlimmes passieren. Dies galt bis zum 3.Oktober 2003, als Horn an seinem Geburtstag während einer Show vom Tiger Mantecore schwer verletzt wurde- die Umstände des Unglücks sind umstritten. Es war das Ende von Siegfried und Roy als Bühnenduo. Der seither halbseitig gelähmte Roy Horn sprach von Mantecore weiterhin unbeirrt als seinem „Blutsbruder“.

Auch wer Siegfried und Roy nie live erlebt hat, der weiß um ihre Legende. In der Show „Schmidteinander“ sind sie regelmäßig parodiert worden von Harald Schmidt und Herbert Feuerstein, der immer wieder ausrief: „Look at me, I’m Roy!“ In den „Simpsons“ haben sie 1993 einen Auftritt als „Gunter und Ernst“ und werden, böses Omen, von ihren Tigern attackiert. Die Zeit von Siegfried und Roy wäre wohl auch ohne Horns private Tragödie bald vorbei gewesen: Wilde Tiere sind in Zirkus- und Zaubershows inzwischen verpönt.

„Es ist besser, als gewöhnlicher Mensch ein ungewöhnliches Leben zu führen, als umgekehrt“, hat Roy Horn einmal dem Magazin „Esquire“ gesagt. Das ungewöhnliche Leben des Mannes, der den Angriff eines Tigers überlebte, ist am Freitag nun durch eine Infektion mit dem Coronavirus beendet worden. Sein langjähriger Bühnen- und zeitweiliger Lebenspartner Siegfried erklärte, er habe mit Roy seinen besten Freund verloren.