Finanzen

Aktien oder Öl: Keine Entwarnung für die Börsen – nirgends

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Es wird wieder bergab gehen.

Seit Beginn dieses Jahres lebt die Welt in einer außergewöhnlichen Zeit. Zeit also für einen ungewöhnlichen Beitrag. Erstmals sollen nicht ein oder zwei Charts im Mittelpunkt meines Beitrages stehen, sondern die Lage der Märkte in toto. Die Bestandsaufnahme umfasst erstens die kurze Antwort auf die Frage, was bislang geschah, zweitens eine technische Einschätzung dessen, was die Finanzmärkte aus diesen Vorgaben gemacht haben, und drittens schließlich eine daraus abgeleitete Prognose.

Seit Mitte Januar hat das Virus erst China und danach in westlicher Richtung die Welt sukzessive lahmgelegt. Die urgewaltigen Folgen der Pandemie und des Versuches, sie zu bekämpfen, sind überall im Alltag fast jedes Menschen sicht- und spürbar. Notenbanken und Regierungen versuchen die wirtschaftlichen Folgen mit Geldmengen und Stützungsprogrammen einmaligen Ausmaßes zu mildern.

Differenzierte Anleihemärkte

Seit Mitte Februar haben die westlichen Aktienmärkte darauf zunächst mit einem historisch einzigartigen Einbruch um rund 40 Prozent in gerade einmal vier Wochen reagiert und danach 55 bis 65 Prozent der maximalen Verluste wieder aufgeholt. Gold als vermeintlich sicherer Hafen konnte bei gewaltiger Volatilität leicht zulegen- Silber als halbes Industriemetall verzeichnete ordentliche Einbußen, und der Ölpreis fiel auf den tiefsten Stand seit der Jahrtausendwende.

Ziemlich differenziert war das Geschehen bei den Anleihen: Anfangs wurden sie beiderseits des Atlantiks als sicherer Hafen angesehen, später in Europa als weiterer potentieller Krisenherd. Unter dem Strich notieren langlaufende deutsche Bundesanleihen heute etwa dort, wo sie auch Mitte Februar standen, italienische Anleihen etwa aber deutlich tiefer und amerikanische Langläufer höher. Der Euro legte eine wilde Achterbahnfahrt zwischen rund 1,15 Dollar und 1,06 Dollar aufs Parkett und wird derzeit deutlich näher bei seinem Corona-Tief als seinem Corona-Hoch gepreist.

Aus fundamentaler Sicht sind diese Entwicklungen bislang alle ziemlich verständlich und konsequent. Aus technischer Sicht gilt Ähnliches. Mit Ausnahme der Situation rund um die Faschingstage folgen die Charts wieder vergleichsweise vertrauten Mustern. Was kann man aus ihnen derzeit ableiten?

Entscheidend für eine aktuelle Analyse ist derzeit die hohe Volatilität. Sie ist nahezu immer ein Zeichen einer von Investoren empfundenen großen Unsicherheit und mit absteigender Relevanz typisch für Abwärtstrends, Bodenbildungen oder obere Wendepunkte. Im Umkehrschluss heißt dies meist, dass es erst dann, wenn die Volatilität sich wieder nachhaltig zurückbildet, sinnvoll ist, neue stabile Trends analytisch in Erwägung zu ziehen. Allein vor diesem Hintergrund ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich die Aktienmärkte schon wieder in neuen Aufwärtstrends befinden.

Sie werden wohl wenigstens ein weiteres Mal signifikant zurückfallen und dabei nur im allerbesten Fall um neue zyklische Tiefs herumkommen. Der Ölpreis fällt in die gleiche Kategorie, ist aber schon einen Schritt weiter: Die extreme Erholung vor der Opec-Einigung ging schnell vorbei. Die neuen Tiefs bei nur noch 17 Dollar für die Sorte Brent bestätigen den Abwärtstrend. Dieser sollte sich demnach, das mag ich selbst kaum glauben, auch jetzt noch fortsetzen.

Die Rentenmärkte wiederum befanden sich vor der Corona-Pandemie im Aufwärtstrends. Deren seit Mitte Februar sehr hohe Volatilität legt deshalb zumindest in Europa obere Wendepunkte nahe. Je nach Land müssen deshalb aus technischer Sicht mal mehr und mal weniger stark steigende Renditen in den kommenden Monaten erwartet werden. Vergleichbares kann man zwar auch noch über den amerikanischen Markt sagen – aber die Betonung liegt wirklich auf „noch“. Die Kurscharts amerikanischer Anleihen stellen den Gedanken an eine obere Wende der Kurse oder einer unteren Wende der Renditen zunehmend in Frage.

Der Euro ist besser als vermutet

Man könnte nun vermuten, dass es um den Euro nicht gar so gut bestellt ist. Aber erstaunlicherweise ist dies nur bedingt der Fall: Weil sich der Euro in den vergangenen Jahren gegenüber dem Dollar im Abwärtstrend befand, deuten die jüngsten heftigen Schwankungen eher nicht auf den Greenback als tonangebende Währung im Jahr 2020 hin. Aber weil doch so manch andere technische Indikation zu wackeln beginnt, muss ich hinzufügen: Unter 1,05 Dollar würde diese Einschätzung fraglich und unter 1,035 Dollar Makulatur werden. Für Europa könnte sich dann die grundsätzlichste aller Grundsatzfragen stellen.

Der langfristige Aufwärtstrend des Goldpreises ist bislang zwar ungefährdet. Aber alles, was bis „langfristig“ geschieht, dürfte einem typischen Anleger nicht gar so viel Freude bereiten. Zu sehr schreit vieles beim Blick auf den Goldpreischart nach einer schon begonnenen oder bald beginnenden ausgedehnten Korrektur.

Unterm Strich gilt: Aktien befinden sich nicht im Aufwärtstrend, die Anleiherenditen anscheinend schon. Gold pausiert ausgiebig, und der Euro scheint mehr Druck im Kessel zu haben als der Dollar. Ich wollte gerade schreiben, dass ich mir einen Besen einverleibe, wenn diese Prognosen alle zutreffen. Aber das lasse ich lieber: Die Dinger schmecken nicht.