
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) tut sich seit Jahren schwer mit Taiwan. Es gibt kaum ein Thema, an dem sich Chinas Einfluss deutlicher ablesen lässt als an den rhetorischen Verrenkungen, die WHO-Funktionäre unternehmen, um Taiwan nicht als Land zu bezeichnen oder in anderer Weise aufzuwerten. Doch am Freitag machte Michael Ryan eine Ausnahme. Der WHO-Nothilfedirektor sagte, die taiwanischen Gesundheitsbehörden „verdienen Lob“. Sie hätten „sehr gut“ auf die Verbreitung des neuen Coronavirus reagiert. Das lasse sich an den niedrigen Infektionszahlen ablesen. Michael Ryan war offensichtlich bemüht, der internationalen Kritik an der überbordenden China-Freundlichkeit der WHO die Spitze zu nehmen.
Das zähneknirschende Lob aus Genf war aber auch das Ergebnis geschickter taiwanischer Diplomatie und der Tatsache, dass Taiwan die Pandemie trotz der Nähe zum chinesischen Festland bisher bemerkenswert gut überstanden hat. Präsidentin Tsai Ing-wen ist es, sehr zum Ärger Pekings, gelungen, das internationale Profil ihres Landes in der Krise erheblich zu schärfen. Auch mit Hilfe Donald Trumps. Der schrieb auf Twitter: „Warum hat die WHO Ende Dezember eine E-Mail taiwanischer Gesundheitsbehörden ignoriert, in der vor der Möglichkeit einer Übertragung des Coronavirus zwischen Menschen gewarnt wurde?“
China verhindert Beobachterstatus Taiwans
Einen solchen Vorwurf hatte Taipeh schon im März in einem Interview mit der „Financial Times“ gegenüber der WHO erhoben. Mit dem Verweis auf die frühe Warnung will Taiwan unterstreichen, dass es einen wichtigen Beitrag zur Weltgesundheit leisten könne, wenn es denn dürfe. China, das Taiwan als Teil seines eigenen Territoriums betrachtet, verhindert jedoch, dass der Insel ein Beobachterstatus oder gar eine Mitgliedschaft in der WHO zugestanden wird. Die von Trump erwähnte E-Mail liest sich allerdings weniger eindeutig, als von Taiwan dargestellt.
