
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte ist seit Tagen im Angriffsmodus: gegen die EU in ihrem derzeitigen Zustand, vor allem aber gegen die Niederlande und gegen Deutschland. Einheimischen und ausländischen Medien gegenüber zeigte sich Conte in zahlreichen Interviews ein ums andere Mal entschlossen, „bis zum Letzten“ gegen den Widerstand aus Den Haag und Berlin anzukämpfen.
Es geht ihm um die sogenannten Corona-Bonds: Conte verlangt, dass die Länder der Eurozone gemeinsam Anleihen ausgeben, die dann den besonders von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Ländern, allen voran Italien, Spanien und Frankreich, zugutekommen sollen. Beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs via Videokonferenz am Donnerstag werde er, so hat er mehrfach versichert, von dieser Forderung nicht abrücken.
Ob er das durchhalten kann, steht dahin. In seinem jüngsten Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom Montag wollte Conte nicht verraten, ob er den Gipfel mit einem Veto sprengen werde, sollte er sich nicht durchsetzen können. Dabei dürfte es in der Eurozone und in der EU insgesamt gar keinen Dissens darüber geben, dass es angesichts der beispiellosen Wirtschaftskrise als Folge der Pandemie nun „der ganzen Feuerkraft der Europäischen Union“ bedürfe, wie es Conte formulierte.
Conte wirft Den Haag „Steuerdumping“ vor
Uneinigkeit besteht allenfalls über die Instrumente, mittels welcher die EU die längst zugesagten Milliardensummen an die besonders betroffenen Mitgliedstaaten leiten solle. Zum anhaltenden deutschen Widerstand gegen die Corona-Bonds versicherte Conte: „Nicht ein einziger Euro der Deutschen wird dafür verwendet, italienische Schulden zu bezahlen.“ Vielmehr sei die von Rom geforderte Solidarität „ganz spezifisch ausgelegt und zeitlich beschränkt“.
Die digitale Ausgabe der F.A.Z., für alle Endgeräte optimiert und um multimediale Inhalte angereichert
Doch bei Argumenten zur Beruhigung beließ es Conte nicht. Er warf Berlin nationalen Egoismus vor. Oft schaue jede Nation „nur auf ihre Vorteile“ und glaube, „mehr zu geben, als sie erhält“. Deutschland habe bekanntermaßen „seit Jahren einen großen Handelsüberschuss“ und werde dafür „von allen Seiten kritisiert“. Dieser Überschuss sei „höher, als es die Regeln der EU vorsehen“, und mit diesem Überschuss diene die deutsche Wirtschaft „nicht als Lokomotive Europas, sondern als Bremse“.
Den Niederländern warf Conte „Steuerdumping“ vor. Mit ihren niedrigeren Sätzen für Unternehmenssteuern zögen die Niederlande „Tausende internationale Großkonzerne an“. Damit sichere sich Den Haag „einen massiven Zufluss von Steuergeld“, der „dann wiederum anderen Ländern in der Union fehlt“.
Während die Regierungen in Madrid und in Paris inzwischen davon abzurücken scheinen, den Zwist um die Corona-Bonds zu einer Überlebensfrage für die EU aufzubauschen, gräbt sich Conte immer tiefer in seinen Schützengraben ein. Deutsche Diplomaten in Rom hatten sich noch in der vergangenen Woche davon überzeugt gezeigt, dass die antideutschen und antiniederländischen Töne aus dem Amtssitz des Regierungschefs und aus verschiedenen Ministerien vor allem für das heimische politische Publikum gedacht seien. Im direkten Gespräch seien die italienischen Partner dagegen konziliant und dialogbereit.
Widerspruch vom Koalitionspartner
Es stellt sich jedoch die Frage, wie Conte nach den Frontalangriffen der vergangenen Tage ohne Gesichtsverlust doch noch einen Kompromiss schließen kann. Zu einem solchen wird er auch aus den Reihen der eigenen Linkskoalition gedrängt. Contes unmittelbarer Vorgänger im Ministerpräsidentenamt, der jetzige EU-Währungskommissar Paolo Gentiloni von den italienischen Sozialdemokraten, warnte vor „rückwärtsgewandten Diskussionen“ über die umstrittenen Corona-Bonds.
