Tuberkulose-Impfstoff: Die Zwischenlösung im Kampf gegen Covid-19
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Zeit gewinnen durch ein Medikament?
Die Angst arbeitet mit. Sie zeigt sich nicht öffentlich und passt nicht ins Bild von den bis zur Erschöpfung arbeitenden Schwestern, Pflegern und Ärzten. Doch ihre Furcht vor Sars-CoV-2 kommt an bei Leander Grode: überall die E-Mails und Anrufe, in denen Ärzte und Pflegekräfte ihn bitten, auch an dieser Studie teilnehmen zu dürfen. Leander Grode ist Geschäftsführer der Vakzine Projekt Management GmbH (VPM) in Hannover und vermittelt Impfstoffe. Die genießen in Zeiten von Covid-19 höchste Aufmerksamkeit, aber VPM hat kaum jemand auf dem Schirm: „Wir fokussieren uns auf Vakzine aus kleinen Forschungsunternehmen oder Universitäten, die auf der Suche nach Partnern für die Weiterentwicklung sind“, sagt Grode. Jetzt aber tickt die Welt anders. Das Unternehmen hat einen hundert Jahre alten Tuberkulose-Impfstoff im Programm, in einer verbesserten Form. Und Covid-19 verhilft dieser Vakzine gerade zu einer unverhofften Renaissance, denn sie könnte Menschen vor schweren Verläufen von Covid-19 schützen, falls sie sich mit dem Erreger infizieren.
Am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin wurde der alte Wirkstoff jetzt mit Hilfe gentechnischer Verfahren so aufgerüstet, dass er noch wirksamer sein könnte. Diese Nachricht genügt in dieser Zeit, dass Grodes Telefon nicht mehr stillsteht. VPM1002, so heißt der von den Berlinern Forschern konzipierte Nachfolger des bekannten Impfstoffs Bacille Calmette-Guérin (BCG), der bis heute einzigen Vakzine gegen Tuberkulose. BCG wurde in den 1920er Jahren von den französischen Wissenschaftlern Albert Calmette und Camille Guérin entwickelt und enthält den abgeschwächten Erreger der Rinder-Tuberkulose. In Ländern, in denen die Tuberkulose grassiert, wird dieser Kleinkindern verabreicht.
Billig, aber umstritten
Die Spritze ist billig, aber umstritten: BCG schützt nur vor den schlimmsten Formen einer Tuberkulose, in denen Bakterien den gesamten Körper befallen. „In diesen Kindern wirkt der Impfstoff so, wie es die Wissenschaft vorsieht“, erklärt Stefan Kaufmann, der als Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie inzwischen emeritiert ist, aber dort die Weiterentwicklung vorangetrieben hat. BCG gaukelt einen Infekt vor und stimuliert so das Immunsystem. Es bilden sich passende Abwehrzellen, die sich einschalten, sobald es tatsächlich zur Infektion kommt. Doch BCG kann offenbar mehr: Es rüstet auch die unspezifische oder die angeborene Immunabwehr hoch. Das sind jene Zellen, die der Körper auf Patrouille schickt, ohne zu wissen, welcher Erreger ihn bedroht. Der Effekt fiel zuerst den dänischen Epidemiologen Peter Aaby und Christine Stapel Benn auf- BCG schützt offenbar vor vielen Erregern. „Sie beobachteten, dass geimpfte Kinder auch nach Jahren weniger häufig starben als die Ungeimpften“, sagt Kaufmann. Lange wurden die beiden belächelt.