Inland

Merkel und die Corona-Krise: Warum Ausgangssperren gut begründet sein müssen

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Menschen wie sie hat Angela Merkel im Sinn: Freiwillige Helfer der Berliner Tafel sorgen auch in der Krise für ihre Kunden.

Bundeskanzlerin Merkel hat die Corona-Krise nicht direkt mit der Deutschen Einheit oder der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verglichen – wohl aber gesagt, dass es seitdem keine Herausforderung an unser Land mehr gegeben habe, „bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“.

Und Solidarität lässt sich nicht befehlen. Das deutet auch die Bundeskanzlerin an: „Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen“. Deshalb sind die Mittel des demokratischen Rechtsstaats aber nicht untauglich oder begrenzt. Sie müssen nur sorgsamer abgewogen werden. Und deshalb auch besonders begründet werden: Wenn die Bürger keinen Abstand halten, dann können Ausgangssperren verhängt werden.

Andererseits besteht durch den Aufenthalt im Freien als solchem keine Gefahr. Entscheidend ist die Kontaktvermeidung. Deshalb die Mahnung des bayerischen Ministerpräsidenten Söder (CSU) und auch des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne), „Es kann nicht sein, dass jetzt junge Leute zu Corona-Partys rennen“, sagte Kretschmann. „Wenn nicht alle ihr Verhalten grundlegend umstellen, dann kommen wir um härtere Maßnahmen und Sanktionen nicht herum.“

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„Wir können nicht endlos zuschauen“

Nach der in Bayern am Mittwoch beschlossenen Ausgangssperre für Mitterteich sind in zwei Gemeinden im benachbarten Landkreis Wunsiedel ähnliche Maßnahmen eingeleitet worden. Söder kritisierte den laxen Umgang mancher Bürger mit Abstandsregeln und freiwilliger sozialer Abgrenzung. „Wir können da nicht endlos zuschauen. Wir dürfen kein zweites Heinsberg oder Ischgl zulassen.“ Wenn sich die Menschen nicht an die Beschränkungen hielten, „dann bleibt nur eine bayernweite Ausgangssperre“, sagte er in einer Regierungserklärung.

Auch die gilt freilich nicht absolut. Und es dürfte nicht einfach sein, sie bei mildem Wetter gegenüber Familien, die in Stadtwohnungen leben, auch durchzusetzen. Der Generalinspekteur der Bundeswehr äußerte am Donnerstag, es braucht „sich keiner Sorgen machen, dass die Bundeswehr Coronapartys auflöst oder Ausgangsbeschränkungen überwacht.“ Das wird aber auch für die Polizei keine leichte Aufgabe.

Nicht einfach durchzusetzen sind auch die Versprechen der Regierung zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Natürlich müssen Volk und Märkte beruhigt werden – wie das schon die Kanzlerin und ihr damaliger Finanzmister Steinbrück auf dem Höhepunkt der Finanzkrise eindrucksvoll taten: Sie konnten und wollten natürlich keine Garantie im Wortsinn auf sämtliche Sparguthaben und Einlagen geben („Auch dafür steht die Bundesregierung ein“) – aber panische Reaktionen verhindern. Und damit hat die Bundesregierung durchaus eine Wirkung erzielt.

Das ist auch das ist in der Corona-Krise wichtig. So können sich nach den Worten der Bundeskanzlerin „alle…darauf verlassen, dass die Lebensmittelversorgung jederzeit gesichert ist, und wenn Regale einen Tag mal leergeräumt sind, so werden sie nachgefüllt.“ Jede andere Botschaft würde die zu recht als unsolidarisch gebrandmarkten Hamsterkäufe befördern.

Merkel zurückhaltender als Altmaier

Was andere Folgen für Wirtschaft und Arbeitsleben angeht, so ist die Bundeskanzlerin zurückhaltender als ihr Wirtschaftsminister. Angela Merkel „versichert“ den Bürgern, die Bundesregierung „tut alles, was sie kann, um die wirtschaftlichen Auswirkungen abzufedern – und vor allem um Arbeitsplätze zu bewahren. Wir können und werden alles einsetzen, was es braucht, um unseren Unternehmern und Arbeitnehmern durch diese schwere Prüfung zu helfen.“

Dagegen versprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vor der Fernsehansprache der Regierungschefin am Dienstag zur besten Sendezeit im Fernsehen: „Wir haben so viele Reserven, dass wir versprechen können, dass kein einziger Arbeitsplatz wegen Corona verloren geht.“ Eine umfassende Arbeitsplatzgarantie durch die Bundesregierung?

Andererseits hat der Staat in bestimmten Fällen ohnehin die gesetzliche Pflicht zur Entschädigung. Hier muss er nichts großzügig versprechen oder in Aussicht stellen. Er hat zu zahlen, sofern die Voraussetzungen vorliegen. So enthält das Infektionsschutzgesetz eine recht umfangreiche Regelung zur Entschädigung von betroffenen Arbeitnehmern und Betrieben. Wer etwa als Träger von Krankheitserregern durch ein Verbot einen Verdienstausfall erleidet, „erhält eine Entschädigung in Geld“. Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt, später in Höhe des Krankengeldes. Auch Selbständige werden entschädigt.

Doch viele andere sind nicht unmittelbar von Verboten betroffen, sondern mittelbar. Keine Einnahmen, aber hohe laufende Kosten. Womöglich läuft das umfassende Versprechen der Bundesregierung zur Hilfe in der Corona-Not, bis hin zur Aussicht, dass niemand durch die Krise schlechter gestellt werden solle, auf eine teilweise Verstaatlichung von Unternehmen hinaus. Denn es stellt sich die Frage, ob Finanzhilfen ausreichen werden, um die Verluste durch die Krise wieder auszugleichen.

Wirtschaftsminister Altmaier erinnerte gerade daran, dass er in seiner Industriestrategie als letztes Mittel eine zeitlich befristete Beteiligung des Bundes an Unternehmen als Möglichkeit genannt habe, wenn es um das Verhindern von Unternehmensübernahmen geht. Das könne auch durch die Coronavirus-Krise angezeigt sein, um die wirtschaftliche Souveränität zu erhalten. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Staat wird ein anderer sein.