Wirtschaft

Lehren aus Hamburg: Wie die SPD gewinnen kann

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Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD)

Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz macht seit dieser Woche wieder ein ziemlich fröhliches Gesicht. Denn in gewisser Weise hat bei der Hamburg-Wahl am vorigen Sonntag eine zweite Abstimmung über die Zukunft der SPD stattgefunden, nach der Urwahl vor gut drei Monaten, die Scholz gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verlor.

Der Unterschied ist nur, dass diesmal die Wähler entschieden und nicht die Mitglieder der Partei. Und, siehe da: Mit einem ziemlich realpolitischen Kurs liegen die Sozialdemokraten in dem Stadtstaat jetzt bei 39,2 Prozent. Das ist, trotz Verlusten, das beste Ergebnis, das seit Jahren überhaupt eine Partei bei Wahlen oder in Umfragen erzielte. Selbst die CSU in Bayern musste sich zuletzt mit 37,2 Prozent begnügen.

Zu dem Aufschwung mögen am Ende ein paar besondere Faktoren beigetragen haben, etwa der Wunsch, eine grüne Bürgermeisterin zu verhindern oder nach dem Thüringen-Debakel und dem Hanauer Anschlag demokratische Stabilität zu wählen.

Eines der drängendsten Probleme

Im Kern geht es für die Zukunft jetzt aber um eine wirtschaftspolitische Frage: Soll die Partei, wie Esken auf dem jüngsten Parteitag formulierte, bloß der Betriebsrat der digitalen Gesellschaft sein? Oder ist es besser, sich selbst ans Steuer der Industriegesellschaft zu setzen, für Wohlstand und Arbeitsplätze zu kämpfen – und auf diese Weise sozialen Aufstieg zu ermöglichen, statt sozialen Abstieg zu kompensieren? So hat es die SPD schließlich in ihren besten Zeiten stets propagiert.

Denn unsozial ist eine solche Politik keineswegs, anders als es Sozialdemokraten vom linken Parteiflügel gelegentlich suggerieren. Das gilt vor allem für die Wohnungsfrage, eines der drängendsten Probleme in den Großstädten: In Hamburg wird derzeit so viel neu gebaut wie kaum irgendwo sonst, während SPD-Politiker etwa in Berlin vor allen Dingen einen Mietendeckel für den Bestand propagieren. Der aber bewirtschaftet den Mangel nur und behebt ihn nicht.

Finanzminister in Frühlingsstimmung

Auch unökologisch muss eine solche Politik nicht sein, im Gegenteil. Der Abschied von der autogerechten Stadt ist längst über Parteigrenzen hinweg Konsens, weil es die allermeisten Bürger und Wähler zumindest in der Innenstadt so wollen- in Flächenländern sieht die Sache gewiss anders aus. Auch das gehört zu pragmatischer Politik: sich nicht an Konflikten der Vergangenheit festzuhalten, wenn die gesellschaftlichen Trennlinien längst anderswo verlaufen.

Der Konflikt zwischen pragmatischen Wählern und allzu prinzipienfesten Mitgliedern ist kein SPD-Spezifikum. Seit sich die CDU zunehmend mit sich selbst beschäftigt, gerät auch sie in die Krise. Ob in den Thüringer Umfragen oder bei der Hamburger Wahl, mancherorts steht sie jetzt nur noch bei knapp über zehn Prozent – das entspricht ungefähr dem Stimmenanteil der Sozialdemokraten in Baden-Württemberg, dem Landesverband, dem die neue Parteichefin Esken entstammt.