Essen & Trinken

Weingut „Ziereisen“: Mehr trinken, weniger denken

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Hanspeter Ziereisen hat sich sein Wissen rund um den Wein selbst angeeignet.

Und immer schön viel Dreck in der Flasche: Das sind die Maximen von Hanspeter Ziereisen aus dem Markgräflerland, dem möglicherweise unorthodoxesten aller deutschen Winzer. Die Kolumne Geschmackssache.

Der Markgräfler gilt, grob vereinfacht, als bedächtig, wortkarg, verschlossen, ein Mensch, der am liebsten Gott einen guten Mann sein und die Dinge so lässt, wie sie eben sind. Der Markgräfler Weinbauer gilt, gleichfalls stark vergröbert, als bodenständig, selbstgenügsam, heimattreu, kein Mensch, der vor Ehrgeiz brennt, sondern am liebsten seinen Gutedel bei der Genossenschaft abliefert, um ihn dann in aller Ruhe selbst zu schlotzen. Der Markgräfler Winzer Hanspeter Ziereisen, jetzt scharf präzisiert, muss unter diesen Voraussetzungen als genetische Anomalie gelten, denn er erfüllt keine einzige der genannten Charaktereigenschaften – und ist deswegen ein Glücksfall, wenn nicht ein Gottesgeschenk für das Markgräflerland und seine Winzerschaft.

Jahrhundertelang waren die Ziereisens einfache Bauern in Efringen-Kirchen, und Landwirtschaft betreibt auch Hanspeter Ziereisen noch. Dass aber etwas mit diesem Mann nicht stimmen kann, merkt man sofort, wenn man seinen uralten Gutshof betritt: Batterien leerer Flaschen stehen dort flächendeckend herum, die allerbesten Burgunder, die kostbarsten Jahrgangs-Champagner, stumme Zeugen geselliger Weinproben, die der Chef und seine Frau Edeltraud gerne mit ihren Praktikanten zelebrieren – nicht nur aus Vergnügen, sondern auch als einzig sinnvoller Form der Fortbildung. Denn von der akademischen Winzerlehre hält Ziereisen absolut nichts. Einer „Gehirnwäsche“ würden die jungen Leute unterzogen, mit standarisiertem Wissen indoktriniert, um ihnen alle Intuition auszutreiben, einzig mit dem Ziel, vermeintliche Fehler zu vermeiden und viel zu saubere Weine zu machen. „Mehr trinken, weniger denken“, das sage er immer zu seinen Lehrlingen, und seinen Kindern habe er sowieso verboten, Weinbau zu studieren, hoffe aber dennoch, dass sie eines Tages das Gut übernähmen.

Hanspeter Ziereisen ist das Enfant terrible des Reblandes im äußersten Südwestzipfel Deutschlands, ein gelernter Möbelschreiner, der zum autodidaktischen Weinbauern wurde, um sich aus dem Nichts in den Olymp der besten deutschen Winzer zu katapultieren. Dieser Outlaw-Rebenanarchist lebt, seit er 1991 mit einem halben Hektar Weinstöcken angefangen hat, einzig und allein nach seinen eigenen Gesetzen. Er selektiert die Trauben bei der Lese so streng wie Oxford seine Studenten bei der Aufnahmeprüfung, verwendet mechanische Hydraulikpressen aus den fünfziger Jahren, die mit sechs statt der heute üblichen anderthalb bar arbeiten, und entrappt das Lesegut nicht, wodurch er einen pechschwarzen Most bekommt, der „erst nach Tannenhonig und dann nach Rattengift schmeckt“. Er vergärt warm und ausschließlich spontan, steckt sämtliche Weine in bis zu siebzig Jahre alte Holzfässer, in denen er manchmal die Hefe des Vorjahres einfach liegen lässt, gönnt selbst den Basisweinen sechzehn Monate im Fass und seinen besten Gewächsen bis zu fünf Jahre, filtriert nicht und schönt schon gar nicht, weil er aseptisch saubere, klinisch seelenlose Weine verabscheut. „Ich brauche Dreck in der Flasche“, sagt Ziereisen und lacht dabei so laut und herzhaft, dass man es noch in Basel und Mulhouse hört.