Leib & Seele

Deutscher Dialekt in Brasilien: Hunsrückisch im Süden Lateinamerikas

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Das traditionelle Oktoberfest in Blumenau in Brasilien

„Keesbaum“ und „iiberscheen“ sind Worte eines deutschen Dialekts, der so nur in Brasilien gesprochen wird. Forscher wollen nun mehr über diese besondere Mundart herausfinden.

Fern der Heimat, besonders in Erholungsabsicht, ist es vielen Deutschen ein Schreck, die eigene Landessprache zu hören. Ist doch jeder harte Konsonant eine Erinnerung an die zurückgelassenen Alltagsprobleme, jedes bekannte Wort zerstört die Illusion, diesen Ort als Erster und individuell zu entdecken.

„Iiberscheen“ finden das jedoch andere. Mit diesem Wort aus dem Hunsrückischen habe sich eine Interviewpartnerin in Brasilien nach einem Gespräch bedankt, sagt der Germanist Sebastian Kürschner von der Universität Eichstätt. Das entspreche dem deutschen „überschön“. Kürschner hat den Süden Brasiliens bereist, um eine Form der hunsrückischen Mundart zu erforschen, die so nur dort gesprochen wird. Die Sprechweise habe sich in Brasilien als Kontaktsprache ausgehend vom Dialekt deutscher Einwanderer aus dem rhein- und moselfränkischen Sprachraum entwickelt, erklärt Kürschner.

Schlechte Ernten, besonders in Westmitteldeutschland, und wirtschaftliche Umstrukturierungen in Folge der industriellen Revolution hatten Teile der Landbevölkerung vor 200 Jahren ihrer Lebensgrundlage beraubt. Getrieben vom Hunger und gelockt vom Versprechen auf den „ewigen Sommer“ des jungen Kaiserreichs Brasilien wagten viele die lange Schiffsreise nach Porto Alegre. Von dort sollten sie zur Stabilisierung der Herrschaftsansprüche gegenüber Argentinien den südlichen Teil des Reichs besiedeln und das Land urbar machen.

Das Lieblingswort des Germanisten: „Keesbaum“

In den entstandenen deutschen Kolonien setzte sich die Sprechweise der Hunsrücker durch. Das Hunsrückisch in Brasilien aber sei nichts, „was so bereits in Deutschland existierte“, sagt Kürschner. Vielmehr sei es durch den Austausch mit anderen deutschen Dialekten wie dem Böhmischen oder Westfälischen und mit Fremdsprachen verschiedener Einwanderungsgruppen erst in Brasilien entstanden. „Gravieren“ sagten die Befragten zum Beispiel anstatt „aufnehmen“ und hätten damit das portugiesische Wort „gravar“ eingedeutscht oder eben „eingehunsrückischt“. Das Lieblingswort Kürschners ist „Keesbaum“: Es beschreibe eine in Brasilien heimische Baumsorte, deren löchrige Rinde die Einwanderer an Schweizer Käse erinnerte.

Neben der Sprache finden sich in den brasilianischen Südstaaten weitere Reminiszenzen an die deutsche Kultur. So wird beispielsweise im Stadtkern von Blumenau, der durch seine Fachwerkfassaden auffällt, alljährlich ein Oktoberfest gefeiert – inklusive Trachten, Volksmusik und Bratwurst mit Pommes. Auch Blumenau ist eine ehemalige Kolonie. Früher gab es hier deutsche Schulen, Kirchen und Zeitungen. Unter dem Eindruck der zwei Weltkriege habe sich das Image des Deutschen allerdings ins Negative verkehrt, und die Sprache sei in Folge der nationalistischen Militärdiktatur in Brasilien zeitweise verboten worden, berichtet Kürschner.

Trotzdem hat sich das Hunsrückisch neben der Landessprache Portugiesisch gehalten. „Vital“ nennt das der Sprachforscher, 400.000 bis 1,3 Millionen Menschen sprechen noch den Dialekt. Hunsrückisch sei eher auf dem Land als in den Städten und eher bei älteren als bei jüngeren Leuten verbreitet. Vom Aussterben bedroht sieht Kürschner die Sprache in Brasilien nicht. Er befürchtet aber einen Verlust der sprachlichen Vielfalt des Landes durch die Homogenisierungspolitik des Präsidenten Jair Bolsonaro.