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Sekthaus Griesel in Bensheim: Die Erbsünde des deutschen Sektdilemmas

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Niko Brandner vom Sekthaus Griesel

Heimischer Schaumwein ist oft Synonym für billige Massenware. Dabei kann man bei Niko Brandner in Bensheim lernen, wie gut ein handwerklich tadelloser Perlwein schmeckt. Die Kolumne Geschmackssache.

Statt gemütlich in einem wohltemperierten Büro zu sitzen, muss er jetzt bei jedem Sauwetter an die frische Luft und den Buckel krumm machen. Statt sich mit Finanzströmen und Weltwirtschaftsfragen zu beschäftigen, sind nun Schimmelpilze und Schädlingsbekämpfung sein täglich Brot. Und statt in aller Ruhe einer sicheren Rente entgegenzusehen, muss er Jahr für Jahr bangen, dass ihm die Launen der Natur nicht Geschäft und Stimmung verhageln. Was also ist bloß schiefgelaufen im Leben von Niko Brandner?

Nichts, muss man vermuten, wenn man ihm in seiner Sektkellerei in Bensheim an der Hessischen Bergstraße gegenübersitzt und er von seinem Leben und seinen Schaumweinen erzählt. Bis zum fünfundzwanzigsten Jahr war Brandner Bankkaufmann, eine Berufswahl, die auf reine Phantasielosigkeit zurückging, wie er freimütig bekennt, und die ihm nichts als Verdruss und Langeweile bescherte – was am Bankwesen ganz allgemein und nicht daran lag, dass er kein Investment-Hai in der Hochfinanz New Yorks, sondern ein kleines Licht in der Raiffeisenbank Miltenberg nahe seines Heimatortes Amorbach im Odenwald war. So wollte er sein Leben nicht weiter verdämmern, und da ihm schon immer gutes Essen und guter Wein eine Herzensangelegenheit gewesen waren, suchte er Rat beim bekannten fränkischen Winzer Paul Fürst. Der empfahl ihm ein duales Studium und bildete ihn gleich selbst zum Winzer aus, während das theoretische Wissen über Önologie und Weinwirtschaft der universitäre Weincampus in Neustadt an der Weinstraße beisteuerte.

Sektkellerei im kleinsten deutschen Weinbaugebiet

Kaum war er damit fertig, belohnte das Schicksal seinen Mut: Ein Unternehmerehepaar aus Bensheim hatte in seiner Heimatstadt gerade die Domäne Bergstraße gekauft, eine Dependance des Rheingauer Staatsweinguts Kloster Eberbach, die einst für ihre restsüßen Rieslinge und Eisweine berühmt gewesen war, sich damals aber in einem beklagenswerten Zustand der Vernachlässigung und Misswirtschaft befand. Und da es an der Hessischen Bergstraße, dem kleinsten deutschen Weinbaugebiet, noch keine Sektkellerei gab, beschlossen die neuen Besitzer, sich dem Schaumwein zu widmen. Sie nannten ihr Gut Griesel nach dem Bensheimer Ortsteil, in dem es liegt, suchten an Deutschlands Weinhochschulen nach einem Betriebsleiter, stießen auf Niko Brandner, der zu jener Zeit beim deutschen Schaumweingroßmeister Volker Raumland gerade seine Liebe zum Sekt entdeckt hatte, übertrugen dem Fünfundzwanzigjährigen die komplette Verantwortung – und der Rest ist eine Geschichte wie aus dem großen Buch der Winzermärchen.

Das Sekthaus Griesel begann vor sechs Jahren als Einmannbetrieb mit einer Jahresproduktion von 20.000 Flaschen und einem Jungchef, dem mächtig die Muffe ging. „Ich hatte die Hosen voll und mehr als eine schlaflose Nacht, weil ich noch nie eigene Weine gemacht hatte“, sagt Brandner, der inzwischen etwas ruhiger schlafen dürfte. Denn heute füllt er mit sechs Mitarbeitern Jahr für Jahr 75000 Flaschen ab, liefert sie an hochdekorierte Restaurants wie die „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn, das „Essigbrätlein“ in Nürnberg oder das „Rutz“ in Berlin, ist rechtzeitig zu jeder neuen Ernte restlos ausverkauft, gewinnt einen Preis nach dem anderen und steigt in den Bewertungen der einschlägigen Führer Jahr für Jahr beharrlich nach oben.