Wirtschaft

Steuerreformen: Vom Weltruhm einer Serviette

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Ronald Reagan 1984 bei einer Veranstaltung in Los Angeles

Wenn die Steuern erhöht werden, bekommt der Staat mehr Geld? Das muss nicht unbedingt so sein. Die Idee wurde dank einer Serviette bekannt – und dank einer guten Geschichte.

Diese Geschichte handelt davon, wie es kommen konnte, dass eine einfache weiße Stoffserviette Weltgeschichte schrieb – obwohl bis heute strittig ist, ob es diese Serviette überhaupt gab, wenngleich sie inzwischen vom National Museum of American History in Washington den Besuchern als „bekannteste Serviette der Welt“ präsentiert wird. Verwirrend? In der Tat. Deshalb der Reihe nach.

An einem Abend des Jahres 1974 traf sich der junge Ökonom Arthur B. Laffer mit den Nachwuchspolitikern Dick Cheney und Donald Rumsfeld im Washingtoner Restaurant „Two Continents“ zum Dinner. Rumsfeld, ein Republikaner, der Milton Friedman anhimmelte, sollte später unter den Präsidenten Gerald Ford und George W. Bush Verteidigungsminister werden. Cheney, ebenfalls Republikaner, wurde Bushs Vizepräsident.

Laffer verblüffte die beiden Politiker mit einer Theorie über den Zusammenhang von Steuersätzen und Steueraufkommen. Naive Gemüter meinen bis heute, es gäbe eine direkte kausale Wechselbeziehung: Je höher die Steuersätze desto höher die Einnahmen für den Fiskus. Laffer behauptete, dass diese ein Fehlschluss sei. Denn nicht nur bei einem Steuersatz von null Prozent, sondern auch bei einem Steuersatz von hundert Prozent ist das Steueraufkommen null: Niemand würde arbeiten (mit Ausnahme von ein paar überzeugten Kommunisten vielleicht), wenn der Staat anschließend ihr gesamtes Einkommen kassieren würde.

Daraus folgt eine kleine Paradoxie: Wird der Steuersatz unter hundert Prozent gesenkt, steigt die Besteuerungsgrundlage und damit das Steueraufkommen. Der Zusammenhang zwischen Steuersatz und Steueraufkommen verläuft wie ein umgekehrtes U oder eine Parabel. Der Scheitelpunkt markiert jenen Steuersatz zwischen o und 100, der dem Staat ein maximales Steueraufkommen garantiert. Zugleich gibt es rechts und links davon jeweils zwei Steuersätze, einen hohen und einen niedrigen, die ein identisches Steueraufkommen generieren. Im Sinne des Bürgers (und des Staates) fühlt man sich links vom Scheitelpunkt besser.

Ökonomen winken ab

Laffers revolutionäre Idee hat die Welt verändert, nachdem der Republikaner Ronald Reagan, der von 1981 bis 1989 der 40. Präsident der Vereinigten Staaten war, sie zur Grundlage seiner Steuerpolitik gemacht hatte. Reagan war überzeugt davon, dass Amerika sich rechts des Scheitelpunkts befinde, mithin den Bürgern ohne positive Einnahmeeffekte für den Staat zu viel Geld abgeknöpft werde. Konsequenterweise senkte er die Einkommensteuer von 70 auf 28 Prozent, die Unternehmensteuer von 46 auf 34 Prozent und die Kapitalertragssteuer von 28 auf 20 Prozent.

Und was war jetzt mit dieser Serviette? Sie ist schuld daran, dass die Geschichte überhaupt bei Reagan ankam. Laffer hatte seine Idee seit 1974 unter Ökonomen herumerzählt ohne erkennbaren Effekt. Im Gegenteil: Man begegnete Laffer aus guten Gründen mit äußerster Skepsis, bemängelte die fehlende Datengrundlage und dass es keinen empirischen Anhaltspunkt dafür gebe, festzustellen, auf welcher Seite der Kurve man sich befinde. Die üblichen akademischen Scharmützel eben.

Doch dann kam der Durchbruch: 1978 schrieb ein Journalist des „Wall Street Journal“ namens Jude Wanniski einen Artikel über das Abendessen der drei Herren im „Two Continents“ und garnierte seine Geschichte mit dem hübschen Aperçu, wonach Laffer seine U-Kurve auf einer Stoffserviette des feinen Lokals aufgemalt habe. Von jetzt an verbreitete sich Laffers Idee wie ein Lauffeuer. Ohne die Nachhilfe des Journalisten hätte Laffers Kurve die wirtschaftswissenschaftlichen Seminare mutmaßlich nie verlassen.

„Mathe taugt für den Anfang- danach braucht es Narrativität“

Der Clou dabei: Laffer selbst kann sich gar nicht daran erinnern, dass er seine Kurve auf die Serviette gemalt habe. Mehr noch: Da es in dem Restaurant Stoffservietten gegeben habe, halte er es sogar für unwahrscheinlich, dass er die Kurve tatsächlich gemalt habe. Denn seine Mutter habe ihn stets angehalten, „wertvolle Dinge nicht mutwillig zu zerstören“. Trotzdem gibt es im Washingtoner Nationalmuseum eine Stoffserviette mit Laffers Kurve als Geschenk von Patricia Koyce Wanniski, der Frau des „Wall Street Journal“-Redakteurs. Sollte Laffer die Kurve also nicht selbst gemalt haben, wer war es dann wohl?

Das führt zur Moral des Ganzen: Es braucht eine Geschichte (Abendessen, bemalte Stoffserviette), um eine Kurve unter die Leute zu bringen. Denn Kurven sind steril, Geschichten dagegen sind ansteckend, verbreiten sich wie Viren – selbst dann, wenn völlig offen ist, ob die Pointe auch wirklich wahr und der behauptete Zusammenhang korrekt ist. Fiktive Realitäten führten zu handfesten Realitäten, nachprüfbar seither auf der Steuererklärung jedes amerikanischen Staatsbürgers und spürbar auf dem Konto.

Mit Storytelling haben sich Ökonomen – sieht man von Außenseitern wie Deirdre McCloskey ab – bislang kaum beschäftigt. Erzählungen gelten als wissenschaftstheoretisch minderwertig, folgen sie doch einer anderen Logik als jener der Falsifikation. Mit akademischer Hochnäsigkeit haben die Ökonomen es versäumt, im Wettbewerb um die besten Geschichten mitzubieten, mit der Folge, dass ihre Kritik hinterher nicht mehr durchdrang. Robert Shiller, Nobelpreisträger des Jahres 2013 aus Yale, hat jetzt in einem vielbeachteten Vortrag eine „narrative Ökonomie“ gefordert. Bei Princeton University Press erscheint im Juni unter dem schönen Titel „Cents and Sensibility“ das Plädoyer für eine fusionierte Geistes- und Sozialwissenschaft namens „Humanomics“. Das Motto – „Mathe taugt für den Anfang- danach braucht es Narrativität“ – zeigt, wozu die Story der nicht existenten Serviette alles gut ist.