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Dilma Rousseff im Gespräch: „Das ist der dritte Akt des Putsches“

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Dilma Rousseff im Wahlkampf für ihren Vorgänger und Parteifreund Lula da Silva

Im vergangenen Jahr wurde Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff aus dem Amt entfernt, nun macht sie wieder Wahlkampf. Ein Gespräch über Verrat, Fehler und ihre politische Zukunft.

Der brasilianische Late-Night-Talker Gregório Duvivier hat Stefan Zweig kürzlich eine Fußnote verpasst, die dem längst zur Floskel gewordenen Satz des Schriftstellers, dass Brasilien ein Land der Zukunft ist, zynische Aktualität verleiht. „Zukunft“, sagte der Humorist, „ist die Gegenwart, die wir noch nicht zerstört haben.“

„Ich mag Duvivier sehr. Er erfasst die ganze Tragödie und auch die Komödie, die in der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Situation Brasiliens nach dem Putsch steckt“, sagt Dilma Rousseff, die bis vergangenes Jahr Präsidentin Brasiliens war und sich selbst noch immer als „gewählte Präsidentin“ tituliert. Mit „Putsch“ meint sie das Verfahren, das sie am 31. August 2016 aus dem Amt beförderte. Den Mann, der einst ihr Stellvertreter war und nun ihr Nachfolger ist, nennt sie mal „Verräter“, mal „Usurpator“. Der Name Michel Temer kommt ihr im Gespräch mit dieser Zeitung nicht einmal über die Lippen.

Nach ihrem Rauswurf aus dem Präsidentenpalast in Brasília hatte sich Rousseff eine Zeitlang zurückgezogen. Nun aber reist sie wieder durch Brasilien, meist an der Seite ihres Vorgängers Lula da Silva, der bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr abermals kandidieren will. Ob das wirklich klappt, ist unklar, denn Lula ist wegen Korruption zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Sollte das Urteil in zweiter Instanz bestätigt werden, muss er ins Gefängnis. Für Rousseff hat deshalb ein Jahr vor der Wahl im Oktober 2018 ein alles andere als normaler Wahlkampf begonnen. „Das ist der dritte Akt des Putsches“, sagt sie.

Abgesetzt wurde Rousseff vom brasilianischen Kongress wegen des Vorwurfs, bei Haushaltszahlen getrickst zu haben. Formale Kniffe, die in normalen Zeiten niemanden interessiert hätten. Doch Brasilien steckte schon damals in einer schweren Wirtschaftskrise – und Rousseffs Regierung bekam sie nicht in den Griff. Zunächst versuchte sie es mit einer Erhöhung der Staatsausgaben und vergrößerte damit nur das Haushaltsdefizit.

Nach der knapp gewonnenen Wahl Ende 2014 schwenkte sie entgegen ihren Wahlkampfversprechen auf einen Sparkurs um und verlor rapide an Zustimmung in der Bevölkerung. Fehler will Rousseff auch im Rückblick nicht erkennen. „Brasilien hätte die Krise locker überwunden“, sagt sie – wenn sich die „Putschisten“ nicht „von langer Hand“ gegen sie verschworen und die Arbeit der Regierung unmöglich gemacht hätten.

Tatsächlich war Rousseff politisch isoliert und bekam deshalb fast ein Jahr lang keine Entscheidungen mehr durchs Parlament. Das lag zum einen daran, dass sie, anders als ihr Vorgänger Lula, immer mit dem politischen Geklüngel in Brasília haderte, in dem Mehrheiten wie auf einem Marktplatz gegen Posten und andere Gefallen gehandelt werden. Zum anderen mischte sie sich nicht in die Ermittlungen in dem Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras ein. Immer mehr Wirtschaftsbosse, Parteipolitiker, Abgeordnete, Senatoren und Minister gerieten in den Fokus. Dieses „Blutvergießen“ müsse gestoppt werden, forderte ein enger Vertrauter des damaligen Vizepräsidenten Temer in einem abgehörten Telefongespräch.