Beamte sollen Mobiltelefone von Asylbewerbern auswerten dürfen, um deren Identität zu ermitteln. Dem Vorgehen müssten die Flüchtlinge nicht mal zustimmen. Das Bamf dürfte aber ganz andere Probleme bekommen.
Das Szenario gehört zum Alltag von Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf): Vor ihnen sitzt jemand, der einen Antrag auf Asyl gestellt hat. Er behauptet – um ein beliebiges Beispiel zu nehmen –, er komme aus Syrien. Der Mitarbeiter des Bamf möchte einen Pass sehen, um die Identität sicher feststellen zu können. Schließlich hat jemand, der aus Syrien kommt, weit bessere Aussichten auf einen Flüchtlingsstatus als ein Bewerber aus Albanien oder Tunesien. Der Antragsteller sagt, er habe keinen Pass, der sei ihm gestohlen worden oder er habe ihn verloren. Wie auch immer. Etwa sechzig Prozent der Antragsteller kommen ohne Papiere zum Termin beim Bamf.
Da sich ein rascher Abgleich von Fingerabdrücken angesichts des technischen Standards in vielen Herkunftsländern regelmäßig nicht als schnelle Ausweichmöglichkeit anbietet, um die Identität eines Antragstellers zu überprüfen, böte sich für Bamf-Mitarbeiter eine andere Vorgehensweise an: Sie könnten das Handy oder andere elektronische Datenträger auswerten. Auslesen, wie das in der Fachsprache heißt. Das dürfen sie aber nicht, jedenfalls nicht gegen den Willen des Antragstellers. Sagt der nein, bleibt das Handy in der Tasche.
Paragraph 48 des Aufenthaltsgesetzes erlaubt bisher nur den „mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden“, also etwa Ausländerämtern oder der Polizei, ein solches Vorgehen auch gegen den Willen des Ausländers. Gezwungen werden kann dieser nach dem Aufenthaltsgesetz auch, die Zugangsdaten zu seinen Geräten – normalerweise also Pin oder Passwort – mitzuteilen. Erlaubt ist den Behörden ein solches Vorgehen nur, wenn „der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel“ erreicht werden kann. Noch eine weitere Einschränkung gibt es: Sobald „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, dass sich auf dem Mobiltelefon, dem USB-Stick oder anderen Datenquellen nur solche Informationen befinden, die „Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung“ zutage fördern, ist die Auswertung verboten. Werden solche Informationen im Zuge einer zulässigen Auslesung gefunden, dürfen sie nicht verwertet und müssen unverzüglich gelöscht werden. Beide Vorgänge müssen zudem „aktenkundig“ gemacht werden. Der Privatbereich ist also geschützt.
Identitätsfeststellung steht ganz oben auf der Liste
Künftig soll auch den Mitarbeitern des Bamf erlaubt sein, so vorzugehen. Zu diesem Zweck wird gerade ein schon vor Monaten vom Bundesinnenministerium geschriebener Gesetzentwurf „zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ abgestimmt. Es geht um mehrere Veränderungen, eine von ihnen wird die im ursprünglichen Text aus dem Herbst vorigen Jahres noch nicht vorgesehene Erlaubnis für das Bamf sein, elektronische Datenträger auslesen zu lassen. Nach Darstellung zweier beteiligter Ressorts befindet sich der Abstimmungsprozess auf den letzten Metern. Das Gesetz wird vermutlich sehr bald, jedenfalls in einer der nächsten Wochen, vom Kabinett beschlossen werden.
Die geplante Ergänzung des bisherigen Entwurfs hat etwas mit dem Terroranschlag des Tunesiers Anis Amri zu tun. Zwar war das Verbot des Zugriffs auf elektronische Datenträger nicht der Schlüssel zur Lösung des Problems im Fall Amri. Aber da dieser mit zahlreichen unterschiedlichen Angaben zu seiner Person die Behörden narrte, war das Thema Identitätsfeststellung weit oben auf der Aufgabenliste der Politik gelandet. Zunächst einigten sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) auf die Neuregelung für das Bamf, anschließend fassten Bund und Länder auf ihrer Ministerpräsidentenkonferenz am 9. Februar einen entsprechenden Beschluss. In diesem wurde als Ziel der Auswertung von elektronischen Datenträgern zunächst die Identitätsfeststellung genannt. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren solle geklärt werden, ob auch solche Daten einbezogen werden könnten, die Einfluss auf die Entscheidung über den Asylantrag haben könnten. Da die Ausdehnung solcher Befugnisse auf das Bamf sich an das Aufenthaltsgesetz anlehnen soll, wird auch künftig ein strenger Schutz der Privatsphäre verpflichtend sein.
Neue Aufgaben für die neue Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf): Jutta Cordt (rechts)
Das Problem mit den Datenträgern ist nicht neu und schon länger erkannt. Als die Migrantenströme immer stärker wuchsen, fiel den Behörden schnell auf, dass zwar viele Menschen ohne Papiere kamen, die meisten aber ein Handy oder Smartphone bei sich hatten. Schon im April 2015 beklagte eine von Bund und Ländern eingesetzte Arbeitsgruppe „Vollzugsdefizite“, die sich mit den Hürden bei der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber befasste, dass das Auslesen elektronischer Datenträger zur Identitätsfeststellung nur Beamten „mit der Befähigung zum Richteramt“, also Volljuristen, erlaubt sei. In den Landratsämtern und Kreisverwaltungen sei das aber in der Regel nur die oberste Verwaltungsebene. Das wurde als hinderlich angesehen.
Nach allem, was man bisher über den jetzt in der Endabstimmung befindlichen geänderten Gesetzentwurf hört, soll diese Einschränkung auf Volljuristen allerdings auch für den Fall einer zwangsweisen Auslesung von Datenträgern durch das Bamf weiterhin gelten. Doch vermutlich gibt es noch mehr, was die Vorfreude der Bamf-Mitarbeiter auf das neue Gesetz dämpft. Denn das Auslesen eines Handys mit dem Ziel zu erfahren, ob ein angeblicher Syrer nicht vielleicht doch ein Serbe ist, ist so trivial nicht. So müssen bestimmte technische Gerätschaften vorhanden sein und Mitarbeiter, die diese bedienen können. Anschließend müssen die Daten korrekt interpretiert werden. Und noch ein Problem könnte auftauchen. Hat sich die neue Gesetzeslage und Praxis erst herumgesprochen, könnte der ein oder andere Antragsteller es vorziehen, ohne Handy zu erscheinen.