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„Das kann der FPÖ im nächsten Wahlkampf nutzen“

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Der Wahlkampfmanager von Alexander Van der Bellen, Lothar Lockl, kurz nach der Veröffentlichung der ersten Hochrechnung am Sonntagabend.

War der Sieg von Van der Bellen absehbar? Gab es einen Umschwung in letzter Sekunde? Und wie wird sich das Ergebnis politisch auswirken? Wolfgang Bachmayer, Leiter des Meinungsforschungsinstituts OGM, im Gespräch mit FAZ.NET.

Herr Bachmayer, war der Wahlsieg Van der Bellens absehbar?

Ich muss offen sagen, ich habe nicht mit diesem Sieg, vor allem diesem Ausmaß gerechnet. Ich bin auch von einer geringeren Wahlbeteiligung ausgegangen, nicht einer steigenden. Das mag ein Faktor dafür gewesen sein, dass Van der Bellen so deutlich gewonnen hat.

Was hat die Österreicher motiviert, in so großer Zahl zur Wahl zu gehen?

43691178 Der österreichische Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer

Sie hat den Charakter einer Lager- oder Richtungswahl bekommen. Viele, die eigentlich nicht wählen wollten, sind doch wählen gegangen. Vielleicht haben manche ihr Wahlverhalten geändert, weil sie sich Sorgen gemacht haben. Einmal, weil der Wahlkampf ruppiger wurde – vor allem Norbert Hofer und seine Mitstreiter wurden zunehmend aggressiver. Und vor allem war die Öxit-Kampagne, also die Warnung aus einem EU-Austritt Österreichs, ein dauerhaft wirksames Argument aus Van der Bellens Lager vor allem in Richtung Wähler in der Mitte.

Die Sache mit der EU war aber keine Entwicklung der letzten Tage?

Richtig.

Gab es trotzdem einen „Last Minute Swing“, also einen Umschwung im letzten Moment?

Das Öxit-Thema war dauerhaft da, wurde aber durch das Van-der-Bellen-Lager in den letzten Debatten reaktiviert. Dann kam aus England noch ein Zwischenruf von Nigel Farage, dem Anführer des Brexit-Lagers – auch wenn der wahrscheinlich nur von wenigen beachtet wurde. Es gab einen weiteren Faktor, der vielfach übersehen wird. Er wurde nicht aktiv eingebracht, sondern war einfach viel weniger vorhanden als erwartet: Das Thema der Flüchtlingskrise und der damit verbundenen Sorgen und ängste in der Bevölkerung. Das ist am Ende des Wahlkampfs fast gar nicht mehr vorgekommen.

Die neue, aggressive Taktik Hofers wurde deutlich im letzten „TV-Duell“ im ORF. Eigentlich war das verwunderlich. Normalerweise geht man ein solches Risiko ein, wenn man sich in der Defensive fühlt. Aber die Umfragen deuteten doch eher auf Hofer hin, er galt als Favorit. Konnten die Hofer-Leute angenommen haben, dass es im Schlafwagen nicht geht – und haben sich dabei verkalkuliert?

Möglicherweise. Es kann auch sein, dass Hofer oder seine Berater die Sorge hatten, dass ein zu sanft vorgetragener Wahlkampf im Finish bei der eigenen Anhängerschar nicht genügend mobilisiert. Dass man da noch ein bisschen aufs Gas steigen muss. Gerade die freiheitlichen Wähler brauchen Wahlkämpfe, wo es um etwas geht. Was immer die Beweggründe waren, es war in der letzten Debatte ein Stilwandel bei Hofer zu bemerken. Vorher hat er sich um einiges zurückhaltender verhalten.

Wie wird sich das Wahlergebnis politisch auswirken?

Man kann damit rechnen, dass durch den Sieg Van der Bellens eine politische Erschütterung ausbleibt. Man wird trotz aller Beteuerungen zur Tagesordnung übergehen. änderungen im Regierungsverhalten sind aber weiter notwendig. Natürlich wird man versuchen, produktive Regierungsarbeit zu leisten – aber ob die Spannungen zwischen Rot und Schwarz und auch innerhalb der Regierungsparteien über die Weihnachtstage weggeblasen werden, das ist eine andere Frage.

Zumal weder Rot noch Schwarz sich dieses Wahlergebnis auf die eigenen Fahnen schreiben können?

Nein, überhaupt nicht. Aber bei der Sozialdemokratie steht man in heftigen Debatten, ob man mehr nach links oder mehr nach rechts gehen sollte. Da wird Van der Bellens Sieg zu der Ansicht führen, mit der Strategie einer scharfen Konfrontation mit der FPÖ im Sinne eines Lagerwahlkampfes gewinne man Wahlen.

Schadet diese Niederlage der Dynamik der FPÖ, die ja in den vergangenen Wahlen stets zugelegt hat, oder nützt sie ihr sogar, weil sie weiterhin das Thema „Wir sind allein gegen alle“ spielen kann?

Ich neige fast zu dem Zweiten. Auf den ersten Blick schaut es wie eine bittere Niederlage aus. Die Freiheitlichen haben fest mit einem Sieg gerechnet, da wirkt das verstörend. Aber wenn der Druck auf die Regierung nachlässt und sie notwendige Reformen unterlässt, so dass die Frustration in der Bevölkerung hoch bleibt, dann kann das der FPÖ im nächsten Wahlkampf nützen – wann immer das sein wird. Es gibt noch einen weiteren Punkt. Die Linke kann dann nicht argumentieren: Wir haben schon einen „blauen“ Präsidenten, jetzt wollen wir nicht noch einen „blauen“ Bundeskanzler. Diese Trumpfkarte steht nicht zur Verfügung. Aber das Pendel schwingt immer hin und her. Es könnte auch sein, dass die FPÖ mit einer Führungsfrage konfrontiert wird: Ob Norbert Hofer, den 46 Prozent der Österreicher unterstützt haben, nicht doch der beliebtere und erfolgreichere Spitzenkandidat wäre als der Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache. Andere, die ja in den eigenen Parteien genug mit Zwist zu tun haben, könnten versuchen, diesen auch in die FPÖ zu tragen nach dem Motto „divide et impera“.

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Van der Bellen gewinnt Präsidentenwahl