Leben & Gene

Der Trend geht zur sauberen Frontscheibe

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Wildbienen im Anflug auf den Bienenstock.

Die Zahl der Insektenarten ist in Deutschland drastisch gesunken. Auch deshalb sind die Biodiversitätsforscher alarmiert: Denn es fehlt noch ein solides Monitoring.

Im Orbroicher Bruch nordwestlich von Krefeld wiederholt sich jedes Jahr dasselbe wissenschaftliche Schauspiel. Entomologen rucken in das von Wald und Weiden geprägte, rund hundert Hektar große Naturschutzgebiet ein und stellen weiß leuchtende Zelte auf. Malaise-Fallen heißen die Installationen. Sie sind benannt nach dem schwedischen Insektenkundler Ren Malaise. Dieser hat sie nicht etwa dafur entwickelt, lästige Mucken zu toten, sondern dafur, einen wissenschaftlich fundierten uberblick uber die Insektenfauna eines Gebiets bekommen zu konnen.

Der Entomologische Verein Krefeld zählt zu den aktivsten des Landes. Hier wird schon seit 1905 praktiziert, was heute „Citizen Science“, also Burgerwissenschaft heißt. Anfang dieses Jahres bekam die Arbeit der Forscher plotzlich uberregionale Aufmerksamkeit. Im Umweltausschuss des Bundestags wurden die Ergebnisse eines seit 1989 laufenden Monitoring-Projekts im Orbroicher Bruch und anderen Gebieten präsentiert. Die Daten sind beunruhigend. Sammelten sich etwa 1989 zwischen Mai und Oktober in einer der Fallen noch 1,4 Kilogramm Insekten unterschiedlichster Arten an, waren es im selben Zeitraum im Jahr 2013 nur noch 294 Gramm.

Viele Faktoren fur Insektensterben

Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. An 88 Standorten in Nordrhein-Westfalen hat der Verein zusammen mit dem Naturschutzbund (Nabu) ähnliche Untersuchungen vorgenommen. Während man 1995 noch durchschnittlich 1,6 Kilogramm Biomasse aus jeder Untersuchungsfalle gesammelt habe, sei man heute froh, wenn es 300 Gramm seien, sagt Josef Tumbrinck, Landesvorsitzender des Nabu Nordrhein-Westfalen. Der Ruckgang von bis zu 80 Prozent umfasse auch Schmetterlinge, Bienen und Schwebfliegen. Fur ganze Artengruppen bezeichnet Martin Sorg vom Entomologischen Verein die Ruckgänge als „drastisch und deprimierend“.

Im Vergleich zum Ruckgang in den Honigbienenbeständen, der wegen des Lebens in Bienenstocken leichter zu dokumentieren ist, hat der allgemeine Ruckgang von Insekten in der Landschaft bisher erstaunlich wenig Aufmerksamkeit bekommen. Liegt das vielleicht daran, dass viele Menschen Insekten fur schädlich, gefährlich oder mindestens unangenehm halten und denken, es sei ganz gut, wenn es weniger davon gäbe und die Windschutzscheiben durch insektenlose Landschaften sauber bleiben?

Jurgen Deckert, Kustos am Museum fur Naturkunde in Berlin, hat eine andere Erklärung: „Da es ein schleichender Ruckgang ist und bisher kaum Arten ausgestorben sind, wird der Artenschwund nicht so leicht bemerkt oder erst dann bemerkt, wenn es zu spät ist.“ Fur die gut 30.000 Insektenarten in unserer Region gebe es zudem nur wenige Spezialisten, meistens solche, die Erhebungen nebenberuflich machten. Diese wurden selbst nur einen Bruchteil der Arten kennen. Deckert nennt eine lange Liste von Ursachen fur den Ruckgang, der keinesfalls auf Nordrhein-Westfalen beschränkt sei, sondern ganz Deutschland betreffe: uberdungung, Monokulturen, Flächenverbrauch, Landnutzungswandel, Pestizideinsatz. Ein zusätzlicher Faktor seien Windenergierotoren, an denen massenhaft Insekten kleben blieben.