Der EU-Generalanwalt hat nichts gegen Anleihekäufe der EZB. Er räumt ein, Richter hätten nicht genügend Expertise in dieser Sache. Ein Standpunkt von Jürgen Stark, dem Ex-Chefvolkswirt der EZB.
Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs hat am 14. Januar seinen Schlussantrag zum Programm der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Staatsanleihen (OMT-Programm) vorgestellt. Er kommt darin zu dem Ergebnis, dass dieses Programm geeignet ist, die Zinsen auf Regierungsanleihen in bestimmten Ländern zu reduzieren und die Durchführung der Geldpolitik zu erleichtern. Es handele sich also um eine geldpolitische Maßnahme. Und bei der Durchführung der Geldpolitik habe die EZB einen weiten Ermessensspielraum.
Zwar bindet diese Stellungnahme den EuGH nicht, aber es wäre überraschend, wiche er substantiell davon ab. Diese Stellungnahme wurde von den Finanzmärkten, von Ökonomen und von politischer Seite in Europa mehrheitlich begrüßt. Damit habe die EZB grünes Licht, ihre Absicht umzusetzen, in großem Umfang Staatsanleihen zu kaufen. Die Gründe für diese positive Resonanz sind verschieden. Die Finanzmärkte warten auf zusätzliche Liquidität, mit der sie ihr zunehmend gefährliches Spiel fortsetzen können, Regierungen werden von dem Druck schmerzhafter Wirtschaftsreformen entlastet.
Notwendige Sachkenntnis fehlt
Auch als Nichtjurist, aber als Kenner der Materie darf man sich eine Meinung zur Stellungnahme des Generalanwalts bilden. Der Generalanwalt gibt ehrlich und unumwunden zu, dass ihm sowohl die Expertise als auch die Erfahrung fehlt, die die EZB in ihrem Bereich hat. Das kann man auch nicht erwarten. Aber das heißt dann auch: Es fehlt dem Generalanwalt die notwendige Sachkenntnis zu einer fundierten Stellungnahme und Bewertung des OMT-Programms. Folglich stützt er sich auf die Expertise der EZB und die dort vertretene politische Linie.
Kann mit dem Eingestehen der fachlichen Inkompetenz überhaupt eine glaubwürdige und tragfähige Entscheidung herbeigeführt werden? Verfügt der EuGH als letzte europäische juristische Instanz über mehr Sachkenntnis?
Was sind die Fakten? Die EZB hat 2012 ihre Bereitschaft erklärt, unter bestimmten Bedingungen Staatspapiere bestimmter Länder des Euroraums zu kaufen. Als Folge dieser Garantie sind die Zinsen auf Staatspapiere beträchtlich zurückgegangen. Die Risikoprämien auch für Länder am Rande der Insolvenz gingen gegen null. Der Generalanwalt attestiert nun der EZB billigend, dass es ihr direktes Ziel war, die Zinsen und Risikoaufschläge auf Staatspapiere von Ländern in Finanzierungsschwierigkeiten zu reduzieren. Die Ziele des OMT-Programms seien im Prinzip legitim und bewegten sich im Rahmen der Geldpolitik.
Geldpolitik muss konditionslos sein
Die Auffassung, dass es sich bei dem Programm um eine wirtschaftspolitische (oder quasi-fiskalpolitische) Maßnahme handelt, teilt der Generalanwalt somit nicht. Dabei werden bestimmte Merkmale des Programms in der Beurteilung völlig untergewichtet oder nicht berücksichtigt. Dies gilt für die Bedingungen, die für den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB erfüllt sein müssen. Geldpolitik kann jedoch nicht an Bedingungen geknüpft werden. Der EZB-Rat muss frei und unabhängig – quasi konditionslos – entscheiden und umsetzen, was geldpolitisch geboten ist, um sein Mandat zu erfüllen. Formuliert man Bedingungen, macht man sich vom Verhalten Dritter abhängig. Dann handelt es sich nicht mehr um Geldpolitik, sondern um Wirtschafts- oder Fiskalpolitik. Eine solche Verantwortung liegt eindeutig außerhalb des Mandats der EZB.
Für die Währungsunion und die EZB gilt das Prinzip der Einheitlichkeit der Geldpolitik. Dieses Prinzip lässt eine regional oder länderspezifisch differenzierte Geldpolitik nicht zu. Indem die EZB selektiv vorgeht und die Staatsanleihen nur einzelner Länder kauft, wird keine einheitliche Geldpolitik mehr betrieben. Die Zentralbank darf in ihrer Politik nicht diskriminieren. Tut sie es doch, betreibt sie keine Geldpolitik, sondern Fiskalpolitik.
Das OMT-Programm – und der Kauf von Staatsanleihen generell – riskieren, gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Staatshaushalten zu verstoßen. Dieses Prinzip in Europa zu verankern ist eine große Errungenschaft des Vertrags von Maastricht. Aber offenbar wird dies in entscheidenden juristischen Kreisen wegen fehlender Expertise nicht erkannt. Die zu erwartende Auflage durch den EuGH, nur am Sekundärmarkt zu intervenieren, also nicht ex emissio, ist brüchig und in der praktischen Wirkung obsolet. Man kann verschiedene Segmente der Zinsertragskurve nicht künstlich voneinander trennen. Interventionen der EZB würden alle Segmente beeinflussen. Somit ist die Grenze zur monetären Finanzierung fließend.
EZB-Rolle in Troika ist Nebenkriegsschauplatz
Anstatt sich mit diesen Aspekten ernsthaft auseinanderzusetzen, eröffnet der Generalanwalt einen Nebenkriegsschauplatz: die Mitgliedschaft der EZB in der Troika. Damit das OMT-Programm seinen geldpolitischen Charakter behalte, dürfe die EZB nicht direkt in Finanzierungsprogramme einzelner Länder involviert sein. Zur Klarstellung: Die EZB hat in der Troika nie die Verantwortung übernommen wie der Internationale Währungsfonds und die EU-Kommission. Die EZB hat einen Beobachterstatus, in dem es neben dem Einbringen ökonomischer Expertise darum geht, in den Verhandlungen mit den Programmländern Vereinbarungen zu Lasten abwesender Dritter (wie der EZB) zu treffen.
Der Schlussantrag des Generalanwalts ist eine äußerst schwache und wenig glaubwürdige Grundlage für eine seriöse und tragfähige Entscheidung des EuGH. Schließt sich der Gerichtshof diesem Plädoyer an, trägt er zum höchst problematischen Umbau der Währungsunion bei, der immer weiter von der ursprünglichen Konzeption wegführt. Der EuGH riskiert seine Glaubwürdigkeit.
Jürgen Stark war Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank.