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Ebola erreicht Zentrum der Ölindustrie

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Nigeria hatte Ebola bislang mehr oder weniger unter Kontrolle. Der erste Todesfall außerhalb der Metropole Lagos ereignete sich nun ausgerechnet in der Hafenstadt Port Harcourt – wo eine Epidemie die gesamte Ölindustrie zum Stillstand bringen könnte.

Die Ebola-Epidemie hat das Zentrum der Ölindustrie in der nigerianischen Hafenstadt Port Harcourt erreicht. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums starb dort schon am 22. August ein Arzt. Er hatte zuvor einen Mann behandelt, der wohl Kontakt zu dem Liberianer Patrick Sawyer hatte. Sawyer gilt als erster Ebola-Fall in Nigeria- er starb am 25. Juli in Lagos.

Bislang war die Ebola-Epidemie in Nigeria mit fünf Toten und 17 Verdachtsfällen auf die Wirtschaftsmetropole Lagos beschränkt und mehr oder weniger unter Kontrolle. Nach Angaben von Gesundheitsminister Onyebuchi Chukwu sind die Behörden in Port Harcourt dabei, alle Personen ausfindig zu machen, die Kontakt zu dem verstorbenen Arzt hatten. Die Frau des Mediziners zeige Anzeichen einer Erkrankung und sei auf eine Isolierstation gebracht worden. Port Harcourt mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern ist Sitz zahlreicher Erdölgesellschaften. Eine Ebola-Epidemie in dieser Stadt ist geeignet, die gesamte Ölindustrie zum Stillstand zu bringen. Gegenwärtig fördert Nigeria rund zwei Millionen Fass pro Tag und ist damit der größte Produzent Afrikas. Die Erlöse aus der Ölförderung machen 90 Prozent aller Exporteinnahmen des Landes aus.

Insgesamt sind in den vier betreffenden Ländern in Westafrika – Liberia, Sierra Leone, Guinea und Nigeria – nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) inzwischen 3069 Menschen an Ebola erkrankt. Die Zahl der Todesopfer wird mit 1552 angegeben. 40 Prozent aller Fälle seien aber erst in den vergangenen 21 Tagen diagnostiziert worden, womit sich das Virus offenbar mit hoher Geschwindigkeit ausbreitet.

125 Tote in sechs Tagen

Allein in den vergangenen sechs Tagen seien 454 neue Erkrankungen und 125 Todesfälle gezählt worden. Besonders hart ist Liberia betroffen. Die WHO rechnet mit bis zu 20.000 Todesopfern, wenn es nicht gelingen sollte, die Verbreitung des Virus schnell zu stoppen. Nach ihren Angaben sind 371 Millionen Euro nötig, um dem Virus innerhalb der nächsten drei Monate Einhalt zu gebieten.

Der Leiter des amerikanischen „Centers for Disease Control and Prevention“ (CDC), Tom Frieden, warnte nach einem Besuch in Westafrika am Mittwoch vor „schwerwiegenden Folgen“, sollten unter anderem die finanziellen Anstrengungen zur Eindämmung der Epidemie nicht bald um ein Vielfaches verstärkt werden. „Eine solche Ebola-Epidemie hat die Welt noch nicht gesehen“, sagte Frieden am Sitz von CDC in Atlanta. „Und wir wissen, dass es sehr viel mehr Ebola-Fälle gibt, als bislang gezählt wurden.“

Am Donnerstag trafen sich die Gesundheitsminister Westafrikas im ghanaischen Accra zu einem Krisengipfel, um über ein koordiniertes Vorgehen gegen die Epidemie zu diskutieren. Die ivorische Gesundheitsministerin Raymonde Goudou Coffie sprach von „reinem Glück“, dass in der Elfenbeinküste bislang kein Ebola-Fall diagnostiziert wurde, obwohl das Land gemeinsame Grenzen mit Liberia und Guinea habe. Einen Zusammenbruch des ivorischen Gesundheitssystems wie in Liberia wollte die Ministerin für den Fall einer großflächigen Epidemie in Côte d’Ivoire nicht ausschließen. „Ich hoffe es nicht, aber garantieren kann ich es auch nicht.“

Bestätige Verdachtsfälle im Kongo

In der nordkongolesischen Provinz Équateur hat sich derweil der Verdacht auf einen Ebola-Ausbruch bestätigt. Dort sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums 13 von 24 erkrankten Personen an Ebola gestorben. 80 weitere Personen seien isoliert worden. Die Opferzahlen der jüngsten Epidemie in Zentralafrika sind nicht in der WHO-Statistik enthalten, weil der dortige Ausbruch in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem in Westafrika steht. Nach Angaben aus der Hauptstadt Kinshasa ist keine der erkrankten Personen in den vergangenen Monaten nach Westafrika gereist, womit der Ausbruch in Équateur als „isolierter Fall“ betrachtet werden könne. Gleichwohl handelt es sich bei den Viren in Westafrika und in Zentralafrika um dasselbe Zaïre-Ebolavirus, dem mit Abstand gefährlichsten der fünf Virenstämme.

Unklarheit herrscht zurzeit allerdings über eine Blutprobe aus Équateur, deren Virenbestand zunächst als „Kreuzung“ zwischen dem Zaïre- und dem Sudan-Ebolavirus identifiziert wurde. Eine solche Mutation wurde bislang noch bei keiner Epidemie beobachtet.

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Der Ebola-Ausbruch in Équateur geht nach Recherchen kongolesischer Epidemiologen auf den Verzehr infizierten Wildfleischs zurück. Das erste Opfer war eine schwangere Frau, wie die WHO am Mittwoch in Genf bestätigte. Sie sei am 11. August gestorben. Bei den Bestattungsritualen sei es dann zu einer Übertragung von Mensch zu Mensch gekommen. Ebola-Epidemien sind in Équateur endemisch. Dort war 1976 das Ebolavirus entdeckt worden. Die derzeitige Epidemie ist die siebte in knapp 40 Jahren.

Alle zurückliegenden Epidemien in Kongo konnten ziemlich schnell eingedämmt werden, weil die betreffenden Regionen so gut wie keine Infrastruktur haben und sich der Bewegungsradius der Infizierten auf zwei oder drei Dörfer beschränkte. Das gilt auch für den mutmaßlichen Herd der derzeitigen Epidemie: Die Ortschaft Lokolia ist nur mit kleinen Flugzeugen zu erreichen oder mit Binnenschiffen, die bis zu zehn Tage von der Hauptstadt Kinshasa nach Équateur unterwegs sind.