Gesellschaft

Reiner Kant, die männliche Putzperle

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Reiner Kant ist Putzmann. Seit 30 Jahren wischt und wedelt er in Privathaushalten. Seine Stammkunden schätzen ihn, nicht nur wegen seiner sorgfältigen Arbeit. Ein Exot ist er trotzdem.

Aus den zwölf Schlüsselbunden auf seiner Garderobenablage sucht er schon abends zwei für den nächsten Tag heraus. Keiner von ihnen ist mit Namen versehen, einige sind mit bunten Bändern markiert. Auch seine Arbeitsklamotten und Stullen sind griffbereit im Flur, so braucht er morgens nur noch die Thermoskanne zu füllen. Gegen neun Uhr legt Reiner Kant in der ersten Wohnung los. „Die Leute gehen aus dem Haus, und ich komme“, sagt er.

Drei bis vier Stunden dauert das Standardprogramm. Erst wischt er sämtliche Oberflächen feucht ab und poliert diese trocken nach, danach putzt er in Küche und Bad Böden und Nassbereiche, anschließend bringt er mit Staubsauger, Staubwedel und Glasreiniger den Wohnbereich auf Hochglanz, zuletzt stellt er alles auf seinen Platz zurück. Mitunter sind auf einem Zettel Sonderwünsche notiert: Bügeln, Betten beziehen, einkaufen, manchmal geht er mit dem Hund Gassi. Falls jemand noch frühstückt, stelle er den Arbeitsablauf um. Am liebsten aber sei ihm, wenn alle Räume für seinen Einsatz freigegeben seien „und mir niemand über den Schrubber springt“.

Grüner Pullover, darunter ein rosa Hemd, dezent gemusterter Schal. Es liegt nicht gerade nahe, den sportlich eleganten Mann einer Berufsbranche zuzuordnen, in der überwiegend Frauen arbeiten. „Ich bin gegen Wortkosmetik. Ich nenne mich Putzmann und nicht Raumpfleger“, erklärt der Neunundfünfzigjährige mit unaufgesetztem Selbstbewusstsein. Gut gefalle ihm der österreichische Begriff „Hausbesorger“. „Da schwingt das Sich-um-etwas-kümmern mit.“

„Man muss sich ja schämen“

Zwölf Stammkunden hat er, manche seit fast 30 Jahren, Gelegenheitsaufträge kommen hinzu, besonders jetzt um Ostern, wenn die Sonne gnadenlos Staubschichten und Spinnweben aufdeckt. Würde er alle Quadratmeter addieren, so habe er vermutlich eine mittelgroße Stadt einmal durchgewischt.

„Sag bloß nicht, was du arbeitest. Man muss sich ja schämen“, habe seine Mutter zeitlebens moniert. Auch sein Vater fand sich schlecht mit seinem Berufsabstieg vom Versicherungskaufmann zum Putzmann ab. Für ihn aber, sagt der 1,70 Meter große Mann mit graumeliertem Kurzhaarschnitt, sei der Berufswechsel ein Befreiungsschlag gewesen. Nach seinem Realschulabschluss hatte er sich zehn Jahre lang mit Verträgen und Zahlentabellen gequält.

Als es nach seinem Umzug nach Berlin Ende der siebziger Jahre in seiner neuen Stelle nicht klappte, erfuhr er, wie demütigend es ist, arbeitslos zu sein. Die Bitte einer Bekannten, ihrer erkrankten Freundin im Haushalt zur Hand zu gehen, fädelte jedoch schon bald einen Zweitauftrag ein. „Meine erste Kundin wurde von einer Freundin angerufen. Sie sagte: ,Ich kann nicht lange reden, meine Hilfe ist da.‘“ Prompt habe die Anruferin gefragt, ob die Hilfe auch zu ihr kommen könne.

Der Bewohner passt zum Mobiliar

Doch leben konnte er von privaten Putzstellen lange nicht. In professionellen Gebäudereinigungen verdiente er den Rest dazu. Wie „ein Berserker“ habe er geschuftet- damals sei die Knochenarbeit für ihn noch mit einem Makel behaftet gewesen. Auch deshalb, weil seine Mutter, eine Schneiderin, und sein Vater, Lagerarbeiter, ihm eingeschärft hatten, keinen Beruf zu ergreifen, bei dem man sich die Hände schmutzig macht. Oft schon hatte er die Erwartungen seiner streng katholischen Eltern enttäuscht: „Ich bin von zu Hause weggegangen, aus der Kirche ausgetreten, und ich bin schwul.“ Und nun hatte er überdies seinen White-Collar-Job an den Nagel gehängt.