Gesellschaft

Kinderkliniken geraten finanziell zunehmend in Not

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Kinderkliniken geraten zunehmend in Not. Die stationäre Versorgung der Kleinen ist nicht mehr sicher, weil Fürsorge und Zeit nicht bezahlt werden.

Mit 1400 Gramm Körpergewicht ist Leo* ins Leben gestartet. Immerhin mit 300 Gramm mehr als seine Zwillingsschwester Ida. Leo hatte sich beim Kampf um die Nahrung im Bauch der Mutter durchgesetzt. Er war der fittere der beiden Säuglinge, die zehn Wochen zu früh auf die Welt kamen. Doch jetzt, sechs Wochen nach der Geburt, hat sich das Bild gedreht. Ida gefällt Chefarzt Christian von Schnakenburg, der die Zwillinge auf der Neonatologie der Esslinger Kinderklinik betreut, bei seiner Visite an diesem Morgen besser als ihr Bruder. Ida atmet schon eigenständig ohne Pausen und braucht seit einigen Tagen auch keine Nasensonde mehr, um ernährt zu werden. Sie ist kräftig genug, um aus der Flasche oder von der Brust der Mutter zu trinken. Ihr Bruder Leo hingegen tut sich mit alledem noch schwer. Zu schwach ist er, um ohne Unterstützung zu leben. Die Kraft zum Saugen an Flasche oder Brust fehlt ihm. An das Luftholen muss er immer wieder von den Pflegekräften durch ein leichtes Berühren seines Fußes erinnert werden.

Ida und Leo haben sich rund sieben Monate den Bauch der Mutter geteilt und nun seit sechs Wochen ein Bett auf der Frühchenstation. Geht es nach der Krankenkasse, ist damit aber jetzt Schluss. Die Kasse sagt, aus medizinischer Sicht brauche Ida nicht mehr in der Klinik zu bleiben. Sie sei so gesund, dass sie nach Hause könne. Für sie will die Krankenkasse nichts mehr zahlen. Chefarzt von Schnakenburg und seine Kollegen sehen das anders. Sie zählen zu ihren Aufgaben nicht nur, Frühchen aufzupäppeln und sie dann ohne Blick nach rechts und links zu entlassen, sondern sich auch das Umfeld der Familien anzuschauen.

Die Familie der Zwillinge lebt rund 30 Kilometer von der Klinik entfernt. Würden die Ärzte Ida entlassen und Leo weiter auf der Station behandeln, würde das den Eltern eine organisatorische Höchstleistung abverlangen. „Das können wir aus psychosozialen Gründen nicht verantworten“, sagt von Schnakenburg. Eine Trennung der Zwillinge sei weder für die Entwicklung der Kinder noch für die ersten Bindungen innerhalb der jungen Familie gut. Doch einen Klinikaufenthalt aufgrund von psychosozialen Faktoren zahlt die Krankenkasse nicht. Also finanziert die Esslinger Klinik in einer solchen Situation, wie viele andere Kinderkliniken auch, die Versorgung von Ida für die nächsten sieben Tage aus eigener Tasche, bis voraussichtlich auch ihr Bruder so fit ist, dass er nach Hause entlassen werden kann.

Die Kliniken bleiben auf den Kosten sitzen

Stationäre Krankenhausbehandlungen werden in Deutschland, ob von Erwachsenen oder Kindern, über das Fallpauschalensystem, auch DRG-System genannt, abgerechnet. Je nach Diagnose bekommt die Klinik pro Behandlungsfall eine bestimmte Vergütung. Einen Durchschnittsbetrag. Diese Fallpauschale ist unabhängig davon, wie lange der Patient wirklich im Krankenhaus bleibt und wie im Einzelnen die Therapie ausschaut. Bei klar planbaren Operationen und Behandlungen von unkomplizierten Fällen passen Krankenhausleistung und die Honorierung der Krankenkassen zusammen. Hier hat das DRG-System der Finanzierung und auch der Qualität im Gesundheitssystem an manchen Stellen sicher gutgetan.

Ist der Patient aber ein Notfall, die Behandlung nicht vorher planbar, spielen Technik und moderne Verfahren bei der Therapie keine große Rolle- stehen dafür aber Pflege, Zuwendung, Gespräche oder die soziale Unterstützung im Mittelpunkt, dann passt die pauschale Vergütung nicht mehr mit dem tatsächlichen Aufwand, den Pflege und Ärzte haben, zusammen. Die Kliniken bleiben auf ihren Kosten sitzen.