Europäische Union

Besuch in der Schweiz: Gauck: Bei Einwanderung keine Mauern bauen

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Der Bundespräsident entdeckt in der Schweiz viel Vorbildliches. Doch nach dem Einwanderungsreferendum fürchtet Gauck, dass Bern von der Europäischen Union wegdriftet.

Schon am ersten Tag des offiziellen Besuchs von Bundespräsident Joachim Gauck in der Schweiz beherrschte die Einwanderung die Gespräche. Am 9. Februar hatten die Schweizer in einer Volksabstimmung entschieden, die Einwanderung künftig über Quoten zu steuern. Das richtet sich direkt gegen den mit der EU vereinbarten freien Zuzug von Arbeitnehmern. Nach einem ersten Treffen mit dem Schweizer Präsidenten Didier Burkhalter sagte Gauck, er könne sich nicht vorstellen, dass sich ein solch europäisches Land wie die Schweiz Schritt für Schritt von der EU entferne. Gauck äußerte Zweifel daran, dass Volksentscheide sich für schwierige Sachfragen eigneten. Er frage sich, ob sie von allen Abstimmenden wirklich verstanden würden. Burkhalter sagte, in der „direkten Demokratie“ der Schweizer könnten alle Bürger unabhängig entscheiden. Zugleich kritisierte er, dass die EU schon unmittelbar nach der Abstimmung vom 9. Februar das Forschungsprogramm Horizon 2020 für die Schweiz und den Studentenaustausch ausgesetzt habe. Der Ausländeranteil in der Eidgenossenschaft beträgt mehr als 23 Prozent, verglichen mit knapp zehn Prozent in Deutschland.

Am Abend nannte Bundespräsident Gauck in einer Rede die Schweiz ein Land der gelebten Vielfalt und Toleranz, das eine sympathische Gelassenheit auszeichne. Die Eidgenossen hätten schon vor dem Ersten Weltkrieg vieles gewusst und gekonnt, was die anderen Europäer heute erst mühsam lernten, sagte Gauck laut einem vorab verbreiteten Redetext. Vor Vertretern des öffentlichen Lebens bekannte er, „dass ich mir ein EU-Mitglied Schweiz auch gut vorstellen könnte“. Das Land sei Teil einer europäischen Moderne, an der zum Beispiel Osteuropa allzu lange nicht teilhaben durfte. Indes habe es sich entschieden, einen Weg zwischen Unabhängigkeit und Zugehörigkeit zu gehen. Er respektiere diese Entscheidung, betonte Gauck, genauso wie das Ergebnis der Abstimmung am 9. Februar. Das deutsche Staatsoberhaupt gab sich überzeugt, dass die Schweiz Lösungen finden werde, mit denen sie ihren Prinzipien treu bleiben könne. Zugleich mahnte er die Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur eindringlich, es werde „großer politischer Weisheit und erheblicher Sensibilität bedürfen, bis die Schweiz und die EU zu akzeptablen Regelungen kommen können“, da die Personenfreizügigkeit ein Herzstück der europäischen Integration darstelle. „Gerade in Zeiten der Globalisierung sollten wir keine Mauern aufbauen, sondern jene Chancen zu nutzen versuchen, die in der Offenheit und Vielfalt liegen.“

An diesem Mittwoch spricht Gauck zunächst mit einer Expertenrunde über die „direkte Demokratie“ der Schweiz und ihre Volksbegehren und Volksentscheide. Danach reist er weiter in den französischsprachigen Teil des Landes. In Genf besucht der frühere evangelische Pastor zunächst das Internationale Museum der Reformation. Abschließend lässt er sich im Kernforschungszentrum Cern von dem aus Bad Boll bei Göppingen stammenden Generaldirektor Rolf-Dieter Heuer über die Arbeit dieser internationalen Einrichtung für die Grundlagenforschung informieren.