Gesellschaft

Eine flexible Juristin

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Die künftige Darmstädter Regierungspräsidentin Lindscheid hat als Fraktionschefin und Dezernentin in der Stadt eine gute Figur gemacht. Ihr neuer Arbeitsplatz liegt in Sichtweite ihrer bisherigen Wirkungsstätte.

Brigitte Lindscheid muss nur wenige Meter weiterziehen. Das Darmstädter Rathaus, in dem sich das Büro der bisherigen Bau-, Verkehrs- und Umweltdezernentin befindet, ist nur einen Steinwurf entfernt vom historischen Kollegiengebäude, in dem die 52 Jahre alte Rechtsanwältin als Regierungspräsidentin vom 1. März an ihren Sitz hat. Wenn sie künftig dort das Fenster öffnet, kann sie Oberbürgermeister Jochen Partsch (Die Grünen) auf der anderen Seite des Luisenplatzes zuwinken. Er wird dann nicht mehr, wie seit 2011, ihr „Chef“ sein. Denn von März an ändert sich die Rollenverteilung. Als Regierungspräsidentin übernimmt Lindscheid automatisch die Kommunal- und Finanzaufsicht über mehrere Landkreise und rund 40 Kommunen und Gemeinden. Darmstadt ist eine davon.

Die bevorstehende Ernennung der gebürtigen Frankfurterin zur Präsidentin des Regierungspräsidiums Südhessen, das mit 1500 Mitarbeitern, 5000 verschiedenen Aufgaben und 3,8 Millionen Einwohnern in seinem Zuständigkeitsgebiet als die größte der drei hessischen Mittelbehörden gilt, ist dem Ausgang der Landtagswahl geschuldet. Zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition in Wiesbaden war der FDP-Mann Johannes Baron auf die Position berufen worden, jetzt unter Schwarz-Grün ist der Darmstädter Dezernentin das Angebot unterbreitet worden, ihn abzulösen.

Eine große Herausforderung

Sie habe überlegen müssen, ob sie annehmen sollte, sagt Lindscheid. „In Darmstadt habe ich als Dezernentin viel in die Wege geleitet und hätte manche Projekte gerne weiter begleitet.“ Auch sei ihr klar, dass es sich um eine große Behörde und damit eine große Herausforderung handele. Aber das Regierungspräsidium sei „sehr gut aufgestellt“, und als Juristin bringe sie das Handwerkszeug mit, sich schnell einzuarbeiten.

Dieser Selbsteinschätzung Lindscheids ist, nimmt man ihren politischen Werdegang, schwer zu widersprechen. Im Frankfurter Stadtteil Bornheim aufgewachsen, hat sie an der Goethe-Universität Rechtswissenschaften studiert und nach dem zweiten Staatsexamen und ihrer Zulassung als Rechtsanwältin beim Darmstädter Mieterbund als stellvertretende Geschäftsführerin und Rechtsberaterin gearbeitet. Ihre politische Initialzündung erlebte sie im Bauarbeitskreis der Darmstädter Grünen. 2001 kandidierte sie erstmals für die Partei und wurde in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Von da an erlebt Lindscheid einen politischen Aufstieg, der den Vergleich mit dem Oberbürgermeister nicht zu scheuen braucht. Im Jahr 2007, nachdem Partsch zum Sozialdezernenten gewählt worden war, übernahm sie den Fraktionsvorsitz und meisterte die neue Aufgabe auch unter den schwierigen Bedingungen der Ampelkoalition. 2009 scheiterte zwar ihre Wahl zur Umweltdezernentin am internen Streit des Bündnisses. Nach dem fulminanten Sieg der Grünen bei der Kommunalwahl 2011 und Partschs Wahl zum Oberbürgermeister stand ihrem Weg in den hauptamtlichen Magistrat der Stadt aber nichts mehr im Weg.

Ein Riesendezernat geleitet

Lindscheid hat 2011 die Zuständigkeit für Bau, Verkehr und Umwelt übernommen und damit ein Riesendezernat. Mancher Oppositionspolitiker hätte vor zweieinhalb Jahren angesichts der Vorhaben – Umbau der Stadt zur fahrradfreundlichen Kommune, Konversion der Militärflächen und Verwirklichung eines millionenschweren Straßensanierungsprogramms – eine Wette darauf abgeschlossen, dass die hauptamtliche Stadträtin in schweres Fahrwasser geraten werde. Am Streit im Verkehrsfragen war schließlich schon das Ampelbündnis zerbrochen. Eingetreten sind die düsteren Prognosen nicht. Im Gegenteil: Heute werden die Fraktionen nach langen Jahren endlich mit der Konversion beginnen können. An diesem dicken Brett hat Lindscheid lange mitgebohrt.

Ob Stadtverordnete, Fraktionsvorsitzende oder Dezernentin: Die Grüne hat die Juristin nie verbergen können. Die scharfen Töne der Politik sind ihr eigentlich fremd- wenn sie redet, dann klingt es meist wie ein nüchternes Plädoyer, in dem sich die Argumente unaufgeregt aneinanderreihen. Im Umgang mit anderen verhält sich Lindscheid stets höflich und respektvoll, auch wahrt sie eine gewisse Distanziertheit. Das sind alles keine schlechten Voraussetzungen, um „bella figura“ in einem Amt zu machen, von dem sie selbst sagt, dass es weniger politischen Handlungsspielraum bietet als das einer Dezernentin. Dafür sind aber die Eigenschaften einer Juristin gefragt.