Natur

Die Mitwisser

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Ethik wird Teil des Curriculums im Tiermedizinstudium, um die angehenden Tierärzte auf Konflikte im Beruf vorzubereiten. Kritiker fordern, dass Tierärzte sich stattdessen von der Landwirtschaft distanzieren sollten.

Das Interesse für das Thema Ethik eint derzeit alle deutschen Tierärzte. Es treibt den auf Schweine spezialisierten Landveterinär ebenso um wie den Kleintierpraktiker, der mitten in der Großstadt Hunde, Katzen und Kaninchen behandelt. Der eine hat Kunden, die bei jeder Vergrößerung ihres Bestandes mit Bürgerinitiativen um Baugenehmigungen ringen müssen, weil die Anwohner Massentierhaltung nicht akzeptieren, der andere geht mit Besitzern um, die den sterbenskranken Hund einfach nicht loslassen wollen und die Einschläferung verweigern.

Das Thema Ethik liegt so sehr im Trend unter den deutschen Tierärzten, dass der Leipziger Tierärztekongress ihm Mitte Januar seine Auftaktveranstaltung widmete und damit den Leitakzent für die gesamte Veranstaltung setzte. Auf dem Podium des Ethik-Symposions saß auch der katholische Theologe und Philosoph Peter Kunzmann. Er lehrt seit diesem Wintersemester das Fach Ethik an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, die damit die erste der fünf tiermedizinischen Ausbildungsstätten in Deutschland ist, die das Fach ins Curriculum aufgenommen haben. Ob Ethik eines Tages Examensfach wird, ist noch nicht klar- im Moment kann Ethik als sogenanntes Wahlpflichtfach von den Studenten freiwillig in ihren Stundenplan integriert werden. „Es soll irgendwann ein verbindlicher Teil des Studiums sein“, sagt Kunzmann. „Ich möchte es longitudinal anlegen und die einzelnen Lehrveranstaltungen zur Ethik dort plazieren, wo sich die Fragen nach einer ethischen Einordnung stellen.“ Am Anfang des Studiums soll es um die Studienmotivation und das Berufsbild gehen.

Ohne stumpf und zynisch zu werden

„Später im Studium wird das Fach beispielsweise parallel zum Pflichtpraktikum auf dem Schlachthof unterrichtet werden“, sagt Kunzmann, „weil die Studenten dabei in moralisch belastende Situationen gebracht werden und sich das ethische Reflektieren darüber anbietet.“ Kunzmann sieht auch den Vergleich mit einem Coaching als gerechtfertigt an. „Viele Tierärzte tragen moralischen Ballast mit sich herum“, sagt er. Sein Ziel ist, „dass Tierärzte eine professionelle Haltung finden, ohne dabei stumpf und zynisch zu werden“.

Das Interesse der Hochschulen rührt auch daher, dass die European Association of Establishments for Veterinary Education (EAEVE), die alle europäischen Bildungsstätten für Tierärzte regelmäßig evaluiert, in einem Report im Juni 2013 gefordert hat, das Fach flächendeckend zu unterrichten. Parallel zu der Entwicklung an den Hochschulen ist Ethik in der tierärztlichen Berufspolitik ein beherrschendes Thema geworden. Ein Gremium der Bundestierärztekammer erarbeitet derzeit einen Ethik-Kodex, der 2015 verabschiedet werden soll, auf ihn können sich Tierärzte berufen, wenn sie schwierige Entscheidungen treffen müssen.

Distanzierung von der Massentierhaltung

Während des Tierärztekongresses in Leipzig wurde allerdings klar, dass es auch Skeptiker gibt, die einen anderen Weg fordern: Statt eines Kodexes, der den Tierärzten erleichtert, Mitverantwortung zu tragen, will offenbar eine wachsende Zahl von Veterinärmedizinern eine öffentliche Distanzierung von der industriellen Landwirtschaft, die mit vielen ethischen Dilemmata im Berufsleben von Tierärzten in Zusammenhang steht. Jörg Luy, der bis zum Herbst Leiter des Institutes für Tierschutz der FU Berlin gewesen ist, hat schon in den vergangenen zehn Jahren Ethik im Rahmen des Examensfaches Tierschutz bei den Berliner Tiermedizinstudenten unterrichtet. In Leipzig stellte Luy die Frage, ob es sich rechtfertigen lässt, Nutz- und Heimtiere mit zweierlei Maß zu messen. Luy empfahl dem Berufsstand, diese Frage bald zu klären. Die Bevölkerung signalisiere bereits, die Tierärzte in Mithaftung für unerwünschte Entwicklungen in der Landwirtschaft zu nehmen.