
Shorts für vier Euro, der Pulli für zehn: Die irische Billigmode-Kette Primark rollt den deutschen Markt auf. Und macht H&M die jungen Kunden abspenstig.
Die grauen Körbe müssen voll werden. Das ist immer so bei Primark. Voll mit billigen Klamotten. Carla weiß, wovon sie spricht, wenn sie so etwas erzählt. Die Bochumer Linguistik-Studentin (25) ist Primark-Expertin, und das nicht erst, seit eine Filiale des irischen Mode-Discounters in Essen eröffnet hat. „Ich bin schon oft dort gewesen“, sagt sie. Am Eingang schnappe man sich einen dieser Körbe. Und dann könne das Einkaufen nach Lust und Laune beginnen. Die Klamotten und Accessoires sind unglaublich billig, sie kosten lediglich ein paar Euro. Die Körbe sind groß. „Und alle machen mit.“ Wenn jeder wie von Sinnen Kleiderteile in die Umkleidekabine schleppe, dann könne man sich dem überhaupt nicht entziehen. „Es entsteht dieser Sog des HabenWollens.“ Diesen habe das Unternehmen in seinen Läden perfekt organisiert, sagt sie. Das sei eines der Geheimnisse der Mode-Kette.
Shoppen mit Schüler-Budget
Im vorigen Jahr hat Primark in seinen 257 Filialen 4,3 Milliarden Euro eingenommen. Konkurrent Zara erlöste weltweit 10 Milliarden Euro. 1969 starteten die Iren unter dem Namen Penneys in Dublin. In den siebziger Jahren folgte die Expansion nach Großbritannien, wo das Unternehmen unter dem Namen Primark im Jahr 2000 etliche Filialen von C&-A übernahm. 2006 geriet Spanien ins Visier des Konzerns, 2008 Portugal. Seit Mai 2009 erobert Primark Deutschland.
Entdeckt hatte die Studentin Carla ihre erste Primark-Filiale ausgerechnet in London auf der Oxford Street mitten im Zentrum. 2007 hatte sich das Unternehmen in die teuerste Ecke Londons vorgewagt. „Da habe ich meinen Augen nicht getraut“, berichtet sie. Plötzlich konnte auch sie shoppen – auf einer der noch immer teuersten Straßen in der britischen Metropole – mit ihrem begrenzten Schüler-Budget. Alles in Primark sei „trendy“, „stylisch“, einfach der letzte Schrei. Und jeder kann sich das leisten. Es gibt alles, was neu ist, in jeder Farbe und Größe. Vielfach. Die Stellagen, Ständer, Regale sind voll mit Hunderten von Pullovern – gleicher Schnitt, andere Farben. Bei Hosen oder Stiefeln verhält es sich ebenso. „Es riecht natürlich nach diesem billigen Konservierungsspray“, sagt Carla auch. Aber das sei egal. Die Kollektionen wechselten dauernd. Man müsse also immer wieder hin.
Kunden als Promoter der Produkte
Darin besteht das zweite Geheimnis der Kette, das allerdings auch andere Mode-Labels anwenden. Anders als Primark gelingt es ihnen aber nicht mehr, das Einkaufen zum Erlebnis zu machen. „Das liegt vor allem am Preis. Was will man erleben, wenn man sich gerade nur ein Teil leisten kann?“, weiß die Studentin. Bei Primark macht die Masse das Event aus: die stundenlangen Treffen mit der Freundin in der Umkleidekabine und vor dem Spiegel. Zu Hause noch einmal das Gleiche – es folgt die private Modeschau vor Freunden und der Handy-Kamera. Bei Youtube lässt sich das Filmchen mit der „Beute“ (Titel: Primark haul) trefflich posten.
Hierin besteht der eigentliche Marketing-Coup der Kette: Sie hat es geschafft, die Kunden in emsige Promoter der Produkte zu verwandeln. Primark gibt kein Geld für Werbung aus, denn die Werbung besorgen die Kunden selbst. Die Manager von Primark haben begriffen, dass eine Giselle Bündchen auf Groß-Plakaten von H&-M, mit der ganze Häuserfronten eingekleidet werden, für Jugendliche vollkommen uninteressant geworden ist. So sieht sowieso keiner aus. Für Primark wäre die Ikone teure Geldverschwendung. Auf Youtube hingegen kann man bestens sehen, wie trendy auch das normale Mädchen sein kann – in Primark-Klamotten. Carla sagt: „Mit ein bisschen Abstand würde ich sagen, die haben diesen besonderen Punkt der Zeit gefunden.“
Shopping-Event für jedermann
Frank Furedi, Bestsellerautor und Soziologe von der Universität von Kent (England), beobachtet das Phänomen schon lange und erklärt, was Carla meint. Dem Unternehmen sei es gelungen, über den Preis jedermann ein Shopping-Event zu ermöglichen, das ihn, so er denn möchte, modisch in die vorderste Reihe katapultiere. Befördert würde dies durch das Selbstverständnis einer Wegwerf-Gesellschaft, die sich kaum mit Bedenken trage, wenn sie Kleidung schnell wieder entsorge. „Begegnungen, Spaß, das Gesehen-Werden – das alles findet eben jetzt bei Primark und danach im Internet statt“, sagt er. Die Marke als Meeting-Point, real und virtuell, geschmacklich und über den Preis – eine fast geniale Strategie. Darüber hinaus bediene sie das dauernde Bedürfnis nach schneller Veränderung. Die fast wöchentlichen Wechsel im Sortiment zögen die Menschen in die Geschäfte. Und weil alles so billig sei, könnten Jugendliche kaufen. Primark kommt dabei auch zugute, dass Marken in der Mode, abgesehen vom Sport, kaum noch eine Rolle spielen. Der erbarmungslose Angriff auf das Taschengeld der Kinder und Jugendlichen, die im vergangenen Jahr mit rund 5 Milliarden Euro den größten Teil ihres Budgets für Klamotten ausgegeben haben, funktioniert. „Spätestens wenn man in der Schlange vor einer der zehn Kassen steht, fängt man an zu rechnen“, sagt Carla. Dann merke man, dass doch 120 Euro zusammenkämen. Einmal in der Schlage trägt man auch nichts mehr zurück. Bei H&-M oder Zara kann man sich dafür eine Winterjacke, eine Hose und vielleicht einen Pullover leisten. Bei Primark ist mit dem Budget eine vierköpfige Familie mit Winterjacken, Mützen und Handschuhen und Schlafanzügen ausgestattet – selbstverständlich modisch auf dem neuesten Stand. Deshalb kaufen auch nicht nur Jugendliche dort. Vormittags tummeln sich vor allem Kunden mittleren Alters in dem Geschäft und packen Unterwäsche, Handtücher, Jacketts, Pullover oder Hausschuhe in ihre Körbe.
In Deutschland hat der Siegeszug des Textil-Discounters gerade erst begonnen. In Hannover, Saarbrücken, Bremen, Frankfurt (zwei), Gelsenkirchen, Dortmund und Berlin gibt es bereits Filialen und natürlich in Essen, wohin sich von jenseits der Grenze täglich sogar unzählige Holländer aufmachen, um sich ihr Einkaufserlebnis auf der Kettwiger Straße zu gönnen. Die nächsten Häuser werden im Dezember in Düsseldorf, im neuen Jahr in Berlin am Alexanderplatz und bald in Köln, Krefeld und Braunschweig eröffnet. „Jede deutsche Stadt ab rund 200 000 Einwohnern ist für uns potentiell ein interessanter Standort“, sagte George Weston, Vorstandschef des Primark-Eigentümers AB Foods, unlängst der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Mit Hochdruck werden Standorte gesucht – dem Vernehmen nach auch in Dresden und München. Das Geschäft funktioniert über die Masse. Die Margen sind sehr knapp kalkuliert. Die Ware wird in Billiglohn-Ländern wie Bangladesch gefertigt. Dass der Discounter tatsächlich just in jenen Fabriken nähen ließ, die beim Einsturz des Gebäudes 1100 Menschen unter sich begruben, hat Deutschlands „Shopoholics“ bisher kaum verunsichert. Im Gegenteil – der Rausch geht jetzt im bevorstehenden Weihnachtsgeschäft erst wieder richtig los.
