
Die Opposition gegen den syrischen Machthaber Assad ist zerstritten. Bei der Nationalen Koalition herrscht Enttäuschung darüber vor, dass Washington seit dem Schulterschluss mit Moskau im Umgang mit Damaskus keine Härte mehr zeigt.
Louay Safi ist ratlos: „Wir wissen nicht, was die Amerikaner den Russen versprochen haben, wir wissen nur, dass der Deal kein gutes Zeichen ist.“ In Istanbul will die syrische Nationale Koalition nächsten Samstag über eine mögliche Teilnahme an den in Genf geplanten Friedensgesprächen entscheiden. Doch selbst Safi, der Sprecher des Oppositionsbündnisses, weiß wenige Tage davor nicht, wie sich die Delegierten der Generalversammlung entscheiden werden. Lediglich über den negativen Wandel der amerikanischen Position besteht für ihn Gewissheit: „Washington ist nicht mehr interessiert an einem Übergang zur Demokratie, sondern will einzig und allein Ruhe in Syrien wiederherstellen.“
Gefasst, aber enttäuscht sitzt der Professor in seinem Büro auf dem Campus der Hamad-Bin-Khalifa-Universität am Rande der qatarischen Hauptstadt Doha. Vor drei Jahren, kurz vor Beginn des Aufstands gegen Baschar al Assad, zog Safi aus Washington an den Persischen Golf, um Politikwissenschaften zu unterrichten. So wie er es zuvor an der Georgetown-Universität in der amerikanischen Hauptstadt getan hatte. Doch die aktuellen Entwicklungen in seiner Heimat, die er Anfang der achtziger Jahre verließ, als der Vater des heutigen Präsidenten, Hafiz al Assad, hart gegen die aufständische Muslimbruderschaft durchgriff, ließen ihn seitdem selten in Ruhe arbeiten.
Um zu helfen, die Opposition zu einen, schloss er sich zunächst dem Syrischen Nationalrat an. Bald nach Gründung der Nationalen Koalition im November 2012 in Doha wurde er deren Sprecher. Seitdem kämpft er an der Medienfront für ein Ende des Krieges – und formuliert Forderungen: Die Belagerung aufständischer Viertel von Homs, Aleppo und anderer Städte zu beenden, humanitäre Korridore einzurichten, Zehntausende Gefangene freizulassen und die Bombardierung von Zivilisten einzustellen seien das mindeste, was Washington und Moskau Assad abringen müssten. Schließlich helfe die Beseitigung des syrischen Chemiewaffenarsenals der Bevölkerung wenig, solange das Morden weitergehe.
Warten und Hoffen, Enttäuschung und Verzweiflung
Groß ist Safis Hoffnung nicht, dass die Hilferufe der Exilallianz erhört werden. Um Klärung der Frage, ob die Bestimmungen des Genfer Communiqués vom Sommer 2011 noch gälten, habe die Führung um Koalitionspräsident Ahmad al Dscharba Offizielle in Washington gebeten. Vor 16 Monaten hatten sich die Vereinigten Staaten und Russland auf die Bildung einer Übergangsregierung geeinigt, die den Wandel zu einem demokratischen Rechtsstaat einleiten sollte. Doch auf Antwort warteten die Delegierten der Koalition noch immer, sagt Safi. Für die Entscheidung, ob man einer Teilnahme an „Genf II“ zustimmen werde, sei diese jedoch entscheidend.
Warten und Hoffen, Enttäuschung und Verzweiflung sind die Konstanten, die die syrische Opposition bei ihren Versuchen begleiten, die internationale Gemeinschaft zu mehr Engagement zu bewegen. Safi schließt nicht aus, dass der Krieg aus seinem Land bei weiterem Abwarten einen „zweiten Libanon“ mache. Syriens kleiner Nachbar zerfiel in den achtziger Jahren in Dutzende Parzellen, die Herrschaft der Milizen drängte jegliche staatliche Autorität zurück, erst 1990 gelang unter Ägide der sunnitischen Großmacht Saudi-Arabien ein Friedensschluss.
Doch Riad hat angesichts des amerikanischen Zauderns in Syrien die Lust an einer diplomatischen Führungsrolle verloren, zumal der regionale Rivale Iran inzwischen offen als Teilnehmer der Genfer Gespräche gehandelt wird. Ebenso wie Qatar, das sich früh auf Seiten der revolutionären Bewegungen in Libyen und Syrien schlug, habe Saudi-Arabien zuletzt immer seltener die politische Initiative ergriffen, gibt Safi zu. Auch der Syrien-Sondergesandte von Vereinten Nationen und Arabischer Liga, Lakhdar Brahimi, machte zuletzt einen Bogen um Riad, ehe er am Wochenende ein Zustandekommen des Genfer Gipfels ausschloss, sollte sich nur das Regime zu Verhandlungen bereit erklären. „Wenn die Opposition nicht teilnimmt, wird es keine Genfer Konferenz geben“, sagte er nach Gesprächen mit Vertretern der von Assad geduldeten „patriotischen Opposition“ in Damaskus. Diese wird von der Nationalen Koalition abgelehnt – ebenso wie der vorige Woche von Assad entlassene stellvertretende Ministerpräsident Qadri Dschamil. Die Tatsache, dass er sich mehrfach mit dem früheren amerikanischen Botschafter in Damaskus, Robert Ford, getroffen habe, zeige doch, dass die Regierung Barack Obamas wieder bereit sei, offen mit Repräsentanten des Regimes zu verhandeln, sagt Safi.
Amerikanische Waffenlieferungen sollen gestoppt werden
Schwere Schläge hat die Opposition einstecken müssen, seitdem Obama sich im September gegen einen Militärschlag und für einen Syrien-Deal mit Assads neben Iran wichtigstem ausländischen Unterstützter entschied. „Der Beschluss, Syrien als Teil der russischen Interessensphäre anzuerkennen, wirft die Opposition weit zurück“, sagt Safi, der die Entwicklungen der vergangenen drei Monate als „entscheidende Verschiebung“ beschreibt: Sah es nach dem Giftgasangriff vom 21. August mit etwa 1400 Toten zunächst so aus, als würde Washington Stellungen des Regimes angreifen und die Aufständischen nun wirksam mit Waffen ausstatten, vollzog Obama danach eine Wende, die Assad für lange Zeit das Überleben sichern könnte. Nicht zuletzt, weil Washington eine bessere Ausstattung und Ausbildung der Freien Syrischen Armee weiter verhindere.
Um eine Teilnahme der Opposition in Genf zu erzwingen, sollten selbst die spärlichen Waffenlieferungen, die Amerika bislang überhaupt zuließ, gestoppt werden, berichteten am Wochenende Nachrichtenagenturen unter Berufung auf amerikanische Geheimdienstkreise. Ein Beschluss, der das ohnehin zersplitterte Oppositionsbündnis weiter schwächen könnte. Erst Ende September sagten sich mehrere einflussreiche islamistische Milizen vom Hohen Militärrat der Freien Syrischen Armee los. Die Kritik an Generalstabschef Salim Idriss war eindeutig: Wenn er nicht in der Lage sei, sie mit Waffen und Geldern zu unterstützen, werde man sich eben direkt an Saudi-Arabien und Qatar wenden, die die Aufständischen schon seit langem über eigene Kanäle beliefern.
Idriss ist seitdem im ständigen Kontakt mit den Milizenführern, um sie zu einer Rückkehr unter das gemeinsame Dach der militanten Assad-Gegner zu bewegen. Denn anders als die Al-Qaida-Ableger Nusra-Front und „Islamischer Staat in Irak und Syrien“ teilten die abtrünnigen Verbände weiter das Ziel der Aufständischen, ein freies und unabhängiges Syrien aufzubauen, keinen islamischen Gottesstaat. Auch Safi beharrt darauf, dass nur ein vereintes Bündnis Erfolg verspreche: „Wenn wir dem Regime erlauben, an mehreren Fronten gegen uns zu kämpfen, wird das die Opposition zerschlagen.“ Doch auch in dieser Frage liege der Schlüssel in den Händen der Vereinigten Staaten, die „nicht sehr entgegenkommend“ seien.
