
Wie bleibt eine Jeansmarke jung? Im Gespräch mit Diesel-Chef Renzo Rosso – über seine Tattoos, die Akquise demokratischer Marken und die Crux mit den Fälschungen.
Herr Rosso, Sie sind seit 35 Jahren im Geschäft. Jeder wird älter. Auch Sie. Wie halten Sie sich und Ihre Marke jung?
Die Leute, die für mich arbeiten, halten mich jung. Meine sechs Kinder, die zwischen zehn und 35 Jahre alt sind, halten mich jung. Und die Kreativszene. Wenn man mit diesen Menschen zusammen ist, fängt man an, wie sie zu denken. Die sind noch nicht verbraucht, die sind wie Jungfrauen und großartig zum Arbeiten. Die kommen auf Ideen, die sind so einfach und verrückt, da denke ich: Warum ist mir das nicht eingefallen?
Wie alt fühlt sich die Marke Diesel für Sie an?
Ich möchte es so formulieren: Diese spezifisch junge Zielgruppe gibt es heute nicht mehr. Die Mentalität und die Lebensweisen haben sich verändert. Jung und alt trifft sich nun in denselben Geschäften, in denselben Bars und Restaurants.
Obwohl wir also in einer alternden Gesellschaft leben, spielt das Alter eine immer geringere Rolle?
Diesel wird von Leuten getragen, die im Herzen jung sind. Und überhaupt gehen wir auf sehr junge Art und Weise an unsere Arbeit heran. Die Website ist wichtig, wir sind sehr digital. Heute muss man zum Beispiel mit sozialen Netzwerken arbeiten. Wenn man das nicht tut, ist es nicht möglich, die Marke richtig darzustellen.
In welchen sozialen Netzwerken sind Sie aktiv?
Was war Ihr letzter Tweet?
(Er zückt sein Smartphone und liest vor:)
To day Frankfurt…open a new Diesel store
&mdash- Renzo Rosso (@RenzoRosso) September 5, 2013
Hat es sich damit für heute?
Nein, dann lade ich Bilder hoch.
Wie viele Facebook-Freunde haben Sie?
Ich bin ja kein VIP, aber auf Facebook und Twitter sind es jeweils um die 31.000.
Trotzdem, wenn es um Coolness geht, hat Diesel in den vergangenen Jahren ein bisschen den Anschluss verloren. Wie wollen Sie eine so große Marke wieder auf Kurs bringen?
Diesel hat den Anschluss verloren, als ich anfing, weniger Zeit mit der Marke zu verbringen. Ich war ja mit dem Aufbau meines Konzerns OTB beschäftigt. Deshalb brauche ich jetzt eine Person, die sich komplett darum kümmert, Diesel wieder da hinzubringen, wo die Marke vor der Krise stand. Und dafür haben wir Nicola Formichetti als Creative Director engagiert. Das ist praktisch, er kann mit mir arbeiten, er ist verrückt, und das bin ich auch. Macht also doppelte Verrücktheit.
Wo wir gerade von jungen Talenten sprechen: Sie haben sechs Kinder, zwei von ihnen, Andrea und Stefano, arbeiten in der Firma. Wie viele werden ihnen folgen?
Keine Ahnung, auch Andrea und Stefano habe ich nicht darum gebeten. Andrea zum Beispiel ist nach dem Gymnasium in die Vereinigten Staaten gegangen. Da hat er ein Jahr lang gesurft und dann angefangen zu studieren. Es hat ungefähr einen Tag gedauert, bis er mich anrief und fragte, ob er mit mir arbeiten könne. Ich sagte: „Machst du Witze?“
Eine weitere Möglichkeit, an frische Impulse zu gelangen, ist ja der Kauf anderer Marken. In der Vergangenheit haben Sie Labels wie Viktor &- Rolf, Maison Martin Margiela oder Marni in Ihrem Konzern OTB untergebracht. Welche Marke haben Sie als nächstes im Auge?
Ach, da haben wir uns noch nicht entschieden. Die letzte Akquise war wunderschön – Marni. Die sind sehr erfolgreich mit ihrem „stillen Luxus“. Das Produkt würde ich niemals anrühren, es geht um die Finanzstrukturen, bislang wurde die Marke ja innerhalb der Familie geführt. Aber die Chancen, weitere Marken dieser Größe zu kaufen, stehen nicht schlecht.
Abgesehen von der Akquise neuer Marken sind bei Ihnen in den vergangenen Jahren sehr viele Tattoos am Körper hinzugekommen. Sie haben sich in sieben Jahren fünf stechen lassen.
Eins für Margiela, die vier Stiche am Nacken, eins für Diesel …
Warum können wir keins für Viktor &- Rolf sehen? Wollen Sie die Marke verkaufen?
Nein, nein, Viktor ist einfach eine junge Akquise, Margiela ist ja viel älter. Margiela ist wie mein zweites Baby. Ich lasse mir nicht etwas stechen, nur um es zu haben. Jedes Tattoo hat eine Bedeutung, schließlich muss man es bis an sein Lebensende tragen. Zum Beispiel „Enjoy xxx“ auf meinem Handgelenk, so unterschreibe ich immer.
Wenn wir noch einmal auf die Markenakquise zurückkommen: Nach was suchen Sie? Wie sähe es, nur ein Beispiel, mit Brioni aus?
Das ist nicht wirklich mein Style. Ich mag das Italienische, aber ich suche Marken, die Alternativen zum Luxus sind. Marni, Margiela, Viktor, Diesel sind Alternativen. Ihr Design ist moderner, ihr Preis demokratischer. Ich hoffe, dass die nächste Marke in die Reihe passt.
Was machen Sie anders als die französischen Luxuskonzerne?
Wir können nicht wie ein großer Luxuskonzern agieren, das Geld dahinter habe ich nicht. Wir wollen eine Alternative bieten. Es ist für mich wichtiger, cool zu sein als groß. Darüber hinaus hoffe ich, dass unsere Firma in drei Jahren alles über iPads steuern kann. Damit lässt sich alles erledigen, man kann die Verkäufe kontrollieren, kommunizieren, kreativ sein.
Machen Sie das alles?
Ich bin einer der technologisch affinsten Menschen, den Sie sich vorstellen können. Wir sind gerade dabei, 3D zu etablieren. Dieses schwarze Langarmshirt, das ich heute trage, kann man etwa auf dem Bildschirm über einen Körper streifen, und wenn man daran ziehen möchte, bewegt man einfach den Pfeil. Oder man lässt den Körper weg, aber behält die Form des Oberteils bei und steuert auf die Innenseite des Kleidungsstücks. In ein paar Jahren wird das ganz normal sein.
Da spart man sich die Designer.
Nein, die Designer sind für die Kreativität wichtig. Hier geht es um die Passform.
Seit einigen Monaten wird über die Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern diskutiert. Wie stehen Sie zur Bangladesch-Frage, wo stellen Sie her?
Wir produzieren 30 Prozent in Italien und 70 Prozent außerhalb, zum Beispiel in Marokko, Tunesien, Portugal, China, Indien. In jedem Fall haben wir in diesen Ländern Büros mit Mitarbeitern, die die Bedingungen an Ort und Stelle kontrollieren. Wir haben ganz andere Probleme, etwa mit Fälschungen. Neulich hat mir jemand geschrieben. Er war verärgert und meinte: „Ich habe gesehen, dass Sie Ihre Jeans unter schädlichen Bedingungen in der Türkei fertigen, dabei verdienen Sie doch so viel. Sie sind ein Mistkerl.“ Dabei produzieren wir kein einziges Paar Jeans in der Türkei.
Das war eine Fälschung?
Ja. Vergangenen Samstag zum Beispiel war ich auf dem Pariser Flohmarkt an der Porte de Clignancourt. Seit zwanzig Jahren bin ich nicht mehr dagewesen. Meine zehnjährige Tochter und meine Freundin waren auch dabei. Da sah ich plötzlich: Diesel. Nicht nur an einem Stand, sondern an etwa zehn verschiedenen. Also ging ich rüber und fing an, mit meinem iPad Bilder von den Ständen zu machen. Da kam einer der Typen und sagte „Keine Fotos, keine Fotos.“ Und ich sagte: „Ich darf hier Bilder machen, ich bin von Diesel.“ Ich stand auf der Straße, also im öffentlichen Raum. Als ich laut wurde und mit der Polizei drohte, kamen innerhalb von zehn Sekunden diese Leute mit Drohgebärden auf uns zu. Das war ziemlich gefährlich, meine kleine Tochter fing an zu weinen. Wir sind dann schnell weggegangen. Denn ich habe keinen Bodyguard, ich laufe einfach so herum.
Wenigstens wissen Sie so, dass Ihr Produkt begehrt ist.
Ja, wenn man nicht mehr kopiert wird, dann geht es mit der Marke bergab.
