
Was macht eigentlich die Apokalypse? Unser Glossenticker mit ernsten Nachrichten zum Klimawandel und ihren (weniger ernsten) Pointen. Ein Update mit der neuen EU-Treibhausstatistik, Hitzetoten und saurem Arktisfisch.
+++ 29. Mai. Hat Europa sein Einsparziel für Treibhausgase schon erreicht? Die neuen offiziellen Zahlen deuten darauf hin. Im Jahr 2011 sind in der Europäischen Union so wenige Treibhausgase freigestezt worden wie nie zuvor seit der offiziellen Erfassung im Jahr 1990. Das hat die europäische Umweltagentur (EEA) heute in Kopenhagen mitgeteilt. Die früheren Schätzungen der EU-Agentur wurden deutlich unterboten. Die Emissionen waren innerhalb eines Jahres um 3,3 Prozent oder 155 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente gesunken. Zwei Drittel der Einsparungen wurden in Großbritannien, Frnakreich und Deutschland erzielt. Damit liegt die EU mit 18,4 Prozent Gesamtreduktion seit 1990 schon ziemlich nah an dem selbstgesteckten Mindestziel von 20 Prozent Verringerung bis zum Jahr 2020. Tatsächlich könnte dieses Ziel schon virtuelle erreicht worden. Nach der Auswertung von achtzig Prozent der Treibhausgasdaten durch Eurostat sollen 2012 mindestens 2,1 Prozent Emissionesreduktion im Vergleich zu 2011 erzielt worden sein. EEA-Direktorin Jaqueline McGlade warnt vor zu großer Euphorie: „Der starke Rückgang 2011 ist eine gute Nachricht, er ist aber hauptsächlich auf einen warmen Winter zurückzuführen.“ EU-Energie-Kommissar Guenther Oettinger hat sofort reagiert. In einer wütenden Stellungnahme zu seiner Festrede, in der er die EU als „Sanierungsfall“ bezeichnet hatte, stellt er nunmehr klar: Die Zahlen waren dem Energiekommissariat völlig unbekannt, die Umwelt- und Klimakommissariate hätten selbstverständlich die Zahlen vor seiner Festrede veröffentlichen müssen, und nicht kurz danach. Im Übrigen habe Europa seine Hausaufgaben gemacht, es sei für alle zivilisierten Staaten dieser Welt ein Vorbild an Energiespar- und Sanierungpolitik.+++
+++ 23. Mai. Die Überwachung der Meereisdecke in der Arktis muss neu organisiert und intensiviert werden. Das fordert der Geophysiker Hajo Eicken von der University of Alaska in Fairbanks. Eicken geht es darum Schiffskollisionsgefahren abzuwenden. Mit der sommers immer länger und öfter aufbrechenden Eisdecke wählten künftig noch deutlich mehr Schiffe die Route durchs Nordmeer. Es müsse ein Netzwerk aufgebaut werden, schreibt er in „Nature“, in das neben den Satellitendaten auch die Informationen von indigenen Fischern einfließen, die die Dynamik und Kollisionsgefahren viel besser einschätzen könnten als Wissenschaftler in Fernerkundungszentren. Sarah Palin, die republikanische Ex-Gouverneurin und Vizepräsidentschaftskandidatin Alaskas, eine entschiedene Naturschutzgegnerin, die schon Wolf und Bär zum Abschuß aus der Luft freigegeben hat, kündigte daraufhin an, die Freizeitindustrie entlang der durch die Schiefergaskonkurrenz bald bedeutungslosen Gaspipelines im Nordpolarmeer auszubauen. Für ihren Heimatsender „Fox“ plant sie eine Sommer-Reality-Show an der Eisfront. Auf ihrem Ausflugschiff, das sich zwischen dem Packeis hindurchwindet und dabei wertvolle Daten ins Eisbeobachtungszentrum nach Fairbanks übermittelt, sollen sich betuchte Ölmagnaten auf die Jagd gefräßiger Eisbären machen, die nach Überzeugung Palins im Zuge der Erwärmung ohnehin zu einer wachsenden Bedrohung für die indigenen Eisberichterstatter werden. +++
+++ 21. Mai. Technische Innovationen fallen zeitlich mit schnellen Klimasprüngen zusammen. Das soll jedenfalls in der Mittleren Steinzeit zwischen 280.000 und 30.000 so gewesen sein, als die ersten modernen Menschen in Afrika in bestimmten Zeitabständen ihre Steingeräteindustrie weiterentwickelten. Dabei geht es vor allem um die Klingentechnik der Steinwaffen. Martin Ziegler von der Cardiff University hat mit seiner international besetzten Gruppe einige neu datierte archäologische Funde in südafrikansichen Höhlen in Verbindung gebracht zu den Schwankungen der Atlantischen Meeresströmungen, die sich in den Sedimentablagerungen niederschlugen. In „Nature Communications“ zeigt er: Immer wieder kam es durch Klimaumbrüche zu Witterungsumschwünge, welche die Lebensbedigungen für die frühen Jäger verbesserten. In Südafrika war es feuchteres Wetter, das die Innovationsfreude des Homo sapiens mobilisiert haben soll Ob die afrikanische Regentanzkultur ebenfalls auf diese Zeit zurück geht, ließ sich aus den Höhlenfunden nicht rekonstruieren. Steinklingen behauene Regenschirme waren ebenfalls nicht unter den Fundstücken.+++
+++ 19. Mai. Zum erstenmal hat man am Beipiel der Metropole New York die Opferzahlen berechnet, die mit einem deutlichen Temperaturanstieg einergehen. 16 globale Klimamodelle wurden so heruntergerechnet und mit einem speziellen Algorithmus für „temperaturbedingte Mortalität“ bestückt, dass man einen zeitlichen Verlauf der Kälteopfer-Statistik sowie der Hitzetoten bis zum Jahr 2080 ermitteln konnte. Am „Big Apple“sieht es demnach düster aus: Während es auch bei einer deutlichen Klimaerwärmung verglichen mit 1980 kaum weniger Kälteopfer (maximal minus 100 pro Jahr) geben soll, werde man wahrscheinlich deutlich mehr (zwischen 50 und 400) klimawandelbedingte Hitzetoten zusätzlich zu beklagen haben. Wie die Forscher um Patrick Kinney von der Columbia University in „Nature Climate Change“ berichten, müssten die öffentlichen Gesundheitsdienste künftig schon vom Mai bis in den September (statt bisher Juni bis August) hinein die Notversorgung von Hitzschlagpatienten sicherzustellen. Auch die Kanalisation der Großstadtmetropole soll spätestens bis zur Mitte des Jahrhunderts länger geöffnet haben. In den verzweigten Rückzugsröhren unterhalb Manhattens sollen an den wichtigsten Knotenpunkten spezielle dänische Eisdielen eingerichtet werden, die den Mittagsspaziergang der Banker versüßen sollen.+++
+++ 16. Mai. Wenn es in der nordamerikanischen Tundra weiter wärmer wird, dürfte sich die Zusammensetzung und Aktivität von Flora und Fauna zwar weiter verändern, aber die Kohlenstoffbilanz im Boden bleibt nahezu gleich. Eine von Ökosystemforschern seit Jahren befürchtete Freisetzung großer Mengen kohlenstoffhaltiger Treibhausgase, wie sie durch die wärmebedingte Zersetzung der Pflanzenmasse beschleunigt wird, ist nicht zu erkennen. Das hat eine Gruppe kalifornischer Forscher um Seeta Siestla von der University of Santa Baraba in der Nähe des Lake Toolik in Alaska ermittelt. Seit 1989 wird dort in einem kontrollierten Treibhaus-Experiment die Erwärmung der Tundra untersucht. Vegetation und Organismen werden in vier 12-Quadratmeter-Treibhäusern, die jeweils nach der Eisschmelze im Frühsommer aufgebaut werden, unterschiedlichen Klimaverhältnissen ausgesetzt. Wie die Forscher in „Nature“ berichten, gedeihen unter Erwärmung deutlich mehr hölzener Gewächse und die Masse an Humus abbauenden Organismen tief im Boden nimmt zu, aber auch das Wurzelwachstum reichte tiefer. Netto kann die Atmosphäre aufatmen. So recht glauben mochten die Forscher ihr Ergebnis wohl trotzdem nicht. Die letzten Proben hatten sie schon 2008 genommen und dann lange überlegt. Möglicherweise haben sie so lange über einem schwedischen Paper aus dem Sommer 2009 gesessen, das ebenfalls in „Nature“ erschienen war – jedoch beim ähnlichen experimentellen Ansatz zu genau dem gegenteiligen Ergebnis kam. Also: Beschleunigte Treibhausgasemissionen in einer wärmeren Welt. Statt zu veröffentlichen haben die sechs fleissigen Kalifornier deshalb lieber vier heiße Sommer am Lake Toolik über der Lösung gebrütet. Bis Gras über die eigenen Zweifel gewachsen war. +++
+++ 8. Mai. Die Anreicherung von Treibhausgasen in der Luft steht vor einer historischen Schwelle und ausgerechnet jetzt kollabieren die Instrumente. 399,52 ppm, also 399,52 Anteile Kohlendioxid je eine Million Luftmoleküle, das hatten die Messgeräte auf dem Mauna Loa in Hawaii am 6. Mai als Tagesmittelwert ermittelt. Seitdem steht der Zähler und die berühmte „Keeling-Kurve“ (Grafik oben), die als weltweite Referenz für den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre gilt, wird löchrig. Der Grund: Seit dem ersten Mai gibt es Computerprobleme, Systemausfälle, Datenlücken. Ein zweites Messinstrument arbeitet zwar seit vier Monaten, aber für den gewünschten Parallelbetrieb zum Datenabgleich und zur Justierung des neuen Gerätes hatte man ein Jahr vorgesehen, damit sollten Instrumenten bedingte Unregelmäßigkeiten und Schwachstellen vermieden werden. Momentan also repariert man das erste, und das zweite Gerät liefert offenbar allzu stark variierende Werte. In dem Fall nämlich, wenn die stündlich gemessenen Werte zu sehr schwanken, so teilen die Betreiber am Scripps Institute of Oceanography hier mit, werden keine Tagesmittelwerte erzeugt. Stephen Walker vom Scripps beruhigt allerdings: „Keine Daten gehen verloren.“ Die Messwerte würden in der Station auf dem hawaiianischen Inselvulkan gespeichert und nach Beseitigung der Hardware-Probleme in der Kurve nachgetragen.Offenbar hat man derzeit nicht genug Personal auf dem von der Nationalbehörde NOAA betriebenen Observatorium, um die Fehler schnell zu beseitigen. Das soll nicht wieder vorkommen. Schon gar nicht an geschichtsträchtigen Augenblicken wie dem Überschreiten von neuen Kohlendioxidhöchstmarken. Im Waikiki Marina Resort ist wegen des zu erwartenden Anstiegs der Kohlendioxidmarke eine Dauerherberge für bis zu zehn Atmosphärenchemiker, Ingenieure und Computerspezialisten eingerichtet worden. Während des Bereitschaftsdienstes herrscht Badeerlaubnis.+++
+++ 6. Mai. Die Chemie der Meere verändert sich in einigen Teilen des Nordpolarmeers schon rapide. Insbesondere in der Beringstraße, im Kanadischen Becken, in der Barentssee und vor Island haben sich die pH-Werte, die den Säuregrad des Wassers angeben, seit den sechziger Jahren um bis zu 0,02 zum Sauren hin verschoben. Das geht aus einem Bericht des Arctic Monitoring and Assessment Programme (AMAP) hervor, der unter Federführung des Norwegischen Instututs für Wasserforschung herausgegeben wurde. Insgesamt werde durch die Zunahme des Kohlendioxidgehaltes in der Luft mehr Kohlensäure im Meer erzeugt. Weltweit sei mit einem Anstieg des Säuregehaltes in fünfzig Jahren um 30 Prozent zu rechnen. Die eigentlichen Hotspots der Versauerung treten aber vor allem dort auf, wo größere Flüsse zusätzliches säureblastetes Süßwasser in den Arktischen Ozean eintragen, heißt es in dem Bericht. „Die Nahrungsgrundlage im Meer und die Qualität der Fische selbst leiden“, sagte Studienleiter Richard Bellerby in einem Interview. Nicht jeder stehe auf versalzener Scholle. Zudem müsse auf die epidemische Verbreitung von Bluthochdruck in der Bevölkerung reagiert werden. Deshalb arbeite man jetzt in der Arktiskommission mit einem Stab an Ernährungsexperten, die Konzepte gegen die zu befürchtenden Salzungleichgewichte in der Nahrungskette ausarbeiten sollen. Eine flächendeckende Kalkung wird nicht ausgeschlossen, sie habe ich nicht zuletzt in deutschen Wäldern während der Saure-Regen-Krise bewährt. +++
+++ 3. Mai. Der Glaube der meisten Amerikaner an die Wiederkunft Jesus Christus macht eine klimapolitische Kehrtwende in Washington unwahrscheinlich. Davon sind zwei Politologen der University of Colorado in Denver und der University of Pittsburgh überzeugt. David Barker und David Bierce haben Studiendaten zur Kongresswahl im 2007, die „Cooperative Congressional Election Studies“, ausgewertet. Darin sind stichprobenartig Wähler gebeten worden, auf einer mehrstufigen Skala ihre Überzeugung zugunsten restritiver klimapolitischer Maßnahmen mitzuteilen. Gleichzeitig sollten sie auf einer vierstufigen Skala ihre Überzeugung angeben, ob sie an die Wiederkunft Jesus Christus glauben. 56 Prozent der Amerikaner und 75 Prozent der Republikaner waren von Jesus Wiederkehr stark überzeugt. Nach der statistischen Auswertung, die Anfang des Monats in der Zeitschrift „Political Research Quaterly“ veröffentlicht wurde, kommen die Politologen zu dem Schluß: Extrem starker Glaube an eine bevorstehende Erlösung vermindert die Wahrscheinlichkeit für eine Zustimmung zu einer restriktiven Klimapolitik um mehr als zwanzig Prozent. Ein Fünkchen Hoffnung besteht trotzdem für Obama. Zuverlässige Quellen im Weißen Haus berichten von einer Blitzvereinbarung mit der polnischen Regierung, den bevorstehenden Klimagipfel in Warschau in den Johannesdom zu verlegen. Die amerikanische Delegation soll vollständig im purpurroten Ornat der Kardinäle auftreten, die Ministranten in der Kathedrale werden verpflichtet, dem Fernsehcender CNN Livebilder von der „Mission Rescue Earth“ zu liefern. Im Entwurf für den neuen Klimavertrag ist ein Passus aufgenommen worden, der eine Erhöhung des Ausstoßes an Weihrauch um bis zu 50 Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts vorsieht. +++
