Lebensstil

Vom süßen Schmerz

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Mit Zuckerpaste gegen lästige Härchen: Hülya Deniz war eine der Ersten, die in Berlin ein Waxing-Studio eröffneten. Sie profitiert von der veränderten Körperkultur im Lande. Ein Besuch.

Der Schönheitstempel, der diesem Begriff alle Ehre macht, verbirgt sich hinter einer unscheinbaren grauen Häuserfassade in einer Seitenstraße des Berliner Ortsteils Schöneberg. Helle, pastell getünchte Wände und große Spiegel in goldenen und silbernen Rahmen schmücken den Eingangsbereich. Ein langer Gang mit Kronleuchtern führt zu den Kabinen links und rechts, die mit schweren Vorhängen abgetrennt sind. Am Ende des Gangs steht eine Büste der griechischen Schönheitsgöttin, die einen Apfel in der Hand hält.

Seit 15 Jahren bietet Hülya Deniz hier, in ihrem Enthaarungsstudio „Deniz Cosmetics“, spezielle Epilationen nach türkischer Art an, das sogenannte „Sugaring“. Deniz und ihre beiden Mitarbeiterinnen sind geübt im Umgang mit der dunklen, klebrigen und zähflüssigen Zuckerpaste, die in der Türkei sehr beliebt ist. Seit einigen Jahren stellen sie eine eigene Honigmischung her, die die Haut besonders schonen soll. Flink bestreichen sie damit Beine, Achseln und andere Körperregionen, anschließend bedecken sie sie mit einem Stück Stoff. Wenn sie das Tuch gleich danach wieder abreißen, ziehen sie damit auch die Haare heraus. Ratsch!

Eine sehr private Angelegenheit

Ihre neuen Ladenräume hat die 44 Jahre alte Kosmetikerin mit Hilfe einer Feng-Shui-Beraterin so einrichten lassen, dass ihre Kundinnen schnell vergessen sollen, wie schmerzhaft die Prozedur manchmal sein kann. Vom grellen Neonröhrenlicht an der Decke, das sie für ihre Arbeit braucht, dürften die schönen Haremsdamen ablenken, die aus massiven Bilderrahmen herausblicken. Aus einer der Kabinen ist manchmal ein Schmerzensschrei zu hören, dann etwa, wenn sich eine Kundin zum ersten Mal enthaaren lässt. Die Enthaarungsprofis wissen aber, wie man für gewöhnlich Schmerzen vermeidet.

Als Hülya Deniz 1996 im Einwandererbezirk Neukölln ihren ersten Salon eröffnete, bot noch niemand sonst in Berlin diese spezielle Enthaarungstechnik an. Eigentlich sollte die gelernte Schriftsetzerin die Druckerei erben, die ihr Vater einst in Kreuzberg betrieben hatte. Doch nachdem sie in ihrem Urlaub die Kosmetikstudios in Istanbul kennengelernt hatte, wollte sie diese Geschäftsidee unbedingt auch nach Deutschland bringen. Ihre beste Freundin, die damals einen Friseursalon unterhielt, zeigte jedoch kein Interesse, daran mitzumachen, auch ihr Vater warnte sie vor dem Schritt. Trotzdem ließ sich Hülya Deniz zur Kosmetikerin schulen.

Die attraktive, sportlich wirkende Frau mit den schwarzen Korkenzieherlocken weiß sich gegen Widerstände durchzusetzen. Ihren Sohn, der inzwischen volljährig ist, hat sie ganz alleine aufgezogen. Die ersten Jahre mit dem eigenen Laden seien aber sehr schwer gewesen, räumt sie ein: „Damals war das Enthaaren hierzulande noch gar nicht verbreitet. Es ging darum, erst mal Vertrauen zu schaffen: zum einen bei den Deutschen, die das nicht kannten. Aber auch bei den Orientalen, für die die Enthaarung eine sehr private Angelegenheit ist“, sagt sie.

Sparsamkeit und Gewohnheit

Dass sie damit einmal zur Trendsetterin werden würde, hätte sich Deniz nicht träumen lassen. Doch inzwischen ist die Enthaarung kein Spleen einer eingewanderten Minderheit mehr, sondern ein Massenphänomen. Das Schönheitsideal der Deutschen tendiert heute zu nackter Haut. Nicht nur Sportler, Popstars und Models präsentieren sich heute mit rasierten Achseln und blanker Brust. Wie sehr sich die Körperkultur der Deutschen in den vergangenen Jahren gewandelt hat, zeigt auch eine Studie der Universität Leipzig. Demnach neigen nicht nur die meisten Frauen dazu, sich die Haare entfernen zu lassen, sondern auch viele Männer. Letztere würden oft aber lieber selbst zum Rasierer greifen, statt in ein Kosmetikstudio zu gehen.

Deniz kann sich über fehlenden Andrang nicht beklagen, zumindest von weiblicher Seite. „Ich habe mir nach und nach einen Kundenstamm aufgebaut“, sagt sie. „Vieles ging dann über Mundpropaganda.“ Wer einen Termin möchte, muss eine Wartezeit von rund drei Tagen kalkulieren.

Wie viele Stammkundinnen sie hat, will sie nicht verraten. Nur so viel: „Russinnen, Deutsche und Kroatinnen“ machten heute die Mehrheit aus, die meisten von ihnen kämen einmal im Monat. Türkinnen oder Araberinnen seien in der Minderheit. Sie würden sich wohl entweder selbst zu Hause die Haare entfernen oder eine gute Freundin bitten, ihnen dabei zur Seite zu stehen, vermutet Deniz.

Ein Grund dafür sei Sparsamkeit – und schlichte Gewohnheit, glaubt sie. „Wir haben alle mitbekommen, dass unsere Mütter das auch schon gemacht haben“, sagt sie über die Deutschtürkinnen ihrer Generation. „Viele probieren es deshalb selbst auch eher zu Hause aus.“ In der Türkei und in vielen anderen muslimisch geprägten Ländern ist die Entfernung der Körperhaare ein alter Brauch. Regelmäßige Körperpflege schreibt schon der Koran vor, Haare in den Achseln und im Intimbereich werden oft bereits im frühen Alter entfernt. Die Einwanderer aus der Türkei und ihre Nachkommen führen diese Tradition in Deutschland fort.

Trend aus den Vereinigten Staaten

Mittlerweile hat Hülya Deniz auf ihrem Gebiet aber nicht nur von anderen türkischstämmigen Kosmetikerinnen Konkurrenz bekommen, sondern vor allem von Brasilianerinnen. In den vergangenen Jahren sind die „Brazilian Waxing“-Studios in vielen deutschen Städten nur so aus dem Boden geschossen. Deniz stört das nicht. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt sie pragmatisch. Um im Wettbewerb zu bestehen, hält sie sich über die neuesten Methoden der Enthaarungsbranche auf dem Laufenden. Neben der traditionellen Epilation durch Zuckermasse bietet sie heute auch die IPL-Technik an: Ähnlich wie beim Lasern werden die Haarwurzeln dabei durch hochenergetisches Licht dauerhaft verödet.

Dass sich in den vergangenen zehn Jahren auch immer mehr deutsche Frauen die Haare entfernen lassen, dafür hat Deniz eine Erklärung: „Das hat damit zu tun, dass die Deutschen so gerne reisen.“ Auf ihren Pauschalreisen nach Antalya hätten sich wohl manche diese Tradition abgeschaut.

Wahrscheinlicher aber ist, dass der Trend zum Waxing über amerikanische Serien und Stars aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland geschwappt ist. Hollywood-Filme und Serien wie „Sex in the City“ haben bewirkt, dass die Enthaarung inzwischen auf der ganzen Welt zur Norm geworden ist. Das multikulturelle Zusammenleben in den deutschen Metropolen dürfte aber natürlich seinen Teil dazu beigetragen haben, dass sich diese Mode hierzulande so schnell etablieren konnte.