Gesellschaft

Aktion von Ärzten in Amerika: Mit blutigen Bildern gegen die Waffenlobby

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Demonstranten beim „March for our lives“ im März in Chicago.

Die amerikanische Waffenlobby kritisiert Ärzte, die sich für schärfere Waffengesetze einsetzen, als „selbstbezogen“. Die Mediziner wehren sich – mit Fotos voller Blut aus dem OP.

Die amerikanische Waffenlobby ist bekannt dafür, das uneingeschränkte Recht auf Waffenbesitz in den Vereinigten Staaten mit allen Mitteln zu verteidigen. Wann immer strengere Gesetze gefordert werden, schrecken ihre Anhänger nicht davor zurück, Aktivisten zu bedrohen und zu diskreditieren. So bekam im Februar dieses Jahres die Schülerin Emma González Morddrohungen, als sie nach dem Schulmassaker in Parkland mit 17 Toten zum Gesicht der Anti-Waffenbewegung wurde. Anhänger der Waffenlobby fälschten und verbreiteten sogar ein Video, in dem aussah, als würde González die amerikanische Verfassung zerreißen, um Stimmung gegen die Jugendliche zu machen.

Der aktuelle Disput findet zwischen der National Rifle Organisation (NRA) und zahlreichen Ärzten im Land statt. Zunächst war Ende Oktober im „Annals of Internal Medicine“ ein Artikel einer Ärztevereinigung erschienen, die verschiedene Maßnahmen zur Reduzierung von Schussverletzungen fordert. Dazu zählen beispielsweise ein Verbot des Verkaufs von halbautomatischen Schusswaffen und Waffen mit großen Magazinen sowie strengere Vorschriften bezüglich der Aufbewahrung der Waffen.

Die NRA reagierte wenige Tage später mit einem Artikel und einem Tweet, der auch auf persönliche Angriffe setzte. Das Engagement gegen Waffengewalt wurde darin zum „Hobby“ degradiert. Die Beweiskraft von Studien, die Ärzte anführen, um das gravierende Ausmaß von Schussverletzungen zu belegen, wurde angezweifelt, weil die Daten beispielsweise nur in einem Krankenhaus oder einer Region erhoben wurden. Zudem sei bei vielen Vorschlägen, wie dem Anheben des Mindestalters beim Waffenkauf, nicht hinreichend bewiesen, dass diese einen Effekt hätten. Eigene Vorschläge machte die NRA nicht, Verständnis für das Anliegen der Ärzte oder gar Mitgefühl für die Verletzten gab es auch nicht. Stattdessen holte die NRA auf Twitter später nochmal aus: Am vergangenen Mittwoch bezeichnete sie die Ärzte als „selbstbezogen“ und fordert sie auf: „stay in your lane“, kümmert euch um euren Kram.

„Waffengewalt ist unser Kram“

Die „Selbstbezogenen“ wehren sich seitdem mit einer Twitteraktion. #thisismyline und #thisisourline lauten die dazugehörigen Hashtags. Das ist mein, das ist unser Kram. Viele veröffentlichen Fotos von Operationstischen, unter denen sich Blutlachen gesammelt haben, oder von ihren blutverschmierten Operationskitteln. „Waffengewalt ist unser Kram“, liest man häufig.

„Mein Kram ist es, mich zu fragen, wie es meinen Patienten geht, wenn sie das Licht im Operationssaal sehen. (…) Woran denken sie, wenn sie sterben?“ fragt einer der Ärzte.

Ein anderer schreibt zu einem Foto von einem Stuhl: „Dort sitze ich, wenn ich Eltern sage, dass ihr Kind tot ist. Wie könnt ihr es wagen mir zu sagen, ich könnte keine evidenzbasierten Lösungen recherchieren?“

Laut dem Gun Violence Archive starben 2017 mehr als 15.000 Menschen in den Vereinigten Staaten durch Waffengewalt, doppelt so viele wurden verletzt. Suizide sind in der Statistik nicht mit eingerechnet. Seit 2012 gab es mehr als 200 Massaker an Schulen. Erst vergangene Woche erschoss ein ehemaliger Soldat zwölf Menschen bei einer College-Party im kalifornischen Thousand Oaks. Die Waffe hatte er zwar legal erworben, jedoch illegal mit einem verlängerten Magazin aufgerüstet. Insbesondere nach solchen Vorfällen sind strengere Waffengesetze regelmäßig Thema, allerdings passiert nur wenig.

Ärzte können mit Patienten sprechen

Die NRA pocht beispielsweise darauf, dass nur bewaffnete Bürger sich gegen Angriffe wehren konnten. Am Tag nach dem Massaker in Thousand Oaks verlor die Organisation kein Wort über die Toten, sondern veröffentlichte einen Link zu einem Fall, in dem ein bewaffneter Mann eine Frau vor einem Übergriff retten konnte, indem er den Angreifer mit der Waffe bedrohte.

Ob die Aktion der Ärzte nun Bewegung in die Sache bringen kann, ist allerdings fraglich. Schließlich hat sich bei den anderen Vorfällen nichts getan, nicht mal nach dem Angriff auf eine Grundschule in Sandy Hooks 2012. Damals starben 20 Kinder.

Einen ihrer Vorschläge können die Ärzte allerdings auch ohne Gesetzesänderung umsetzen: Nämlich mit ihren Patienten über Waffen und deren Lagerung zu sprechen. In einem anderen Beitrag im „Annals of Internal Medicine“ berichtet ein Arzt von einem Gespräch, bei dem er einen Patienten fragte, wie dieser seine Waffen aufbewahre. Er sperre diese nicht weg, aber sie seien außer Reichweite der Kinder, habe der geantwortet – und, so beschreibt es der Arzt, schon während er es aussprach, gemerkt: Es ist unmöglich, etwas außerhalb der Reichweite von Kindern aufzubewahren. Der Patient wolle dies nun ändern – und bewahrt so seine Kinder vielleicht vor einem Unfall.