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Pendine Sand Racer: Und ewig lockt die Lust am leichten Luxus

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Sieht alt aus, ist aber nagelneu: Pendine Sand Racer.

Ganz schön und ganz schön teuer: Die neue Pendine Sand Racer von Brough Superior will an die glorreichen Zeiten der einst englischen Nobelmarke anknüpfen.

Walisische Ortsnamen wie beispielsweise Cwmfrwdd sind bekannt für ihre Unaussprechlichkeit jenseits der Landesgrenzen. Ganz anders der Name des Dörfchens Pendine, ganz im Süden von Wales gelegen. Ihn trägt auch der nahe des Dorfes gelegene, rund elf Kilometer lange Sandstrand: Pendine Sands wird von Motorfans seit Jahrzehnten immer wieder zum Tempobolzen gern genutzt. Der Name Pendine hatte es auch George Brough angetan: Der britische Motorradenthusiast und -fabrikant benannte nicht nur sein eigenes Haus nach diesem Strand, sondern Ende der 1920er Jahre auch eines seiner Modelle. Die SS 101 K Pendine war die sportlichste Version der elitären SS 100- statt der doppelten Fishtail-Auspuffanlage trug sie zwei dünne Auspuffrohre auf der rechten Fahrzeugseite, die keinen erkennbaren Schalldämpfer aufwiesen. Zwei Jahre nachdem 2016 die SS 100 in moderner Form mit unübersehbar klassischen Elementen Wiederauferstehung feierte, kommt nun auch eine neue Pendine auf den Markt: Die Pendine Sand Racer ist eine betörend schöne Stil-Ikone.

65 Motorräder vom Typ SS 100 hat das Unternehmen Brough Superior Motorcycles SAS 2017 gebaut- es war das erste volle Geschäftsjahr. „Jetzt, im zweiten Jahr, werden es voraussichtlich 120 Bikes“, sagt Albert Casteigne beim Ortstermin in St.-Jean, nur wenige Kilometer von Toulouse entfernt. Casteigne ist der Geschäftsführer von Brough. In St.-Jean befindet sich das architektonisch anspruchsvolle Firmengebäude, in dem mittlerweile 20 Personen werkeln. Für 2019, dem Jubiläumsjahr der 1919 gegründeten Marke, strebt man die Produktion von 250 Fahrzeugen an- hauptsächlich wohl SS 100, aber eben auch die neu entwickelte Pendine Sand Racer.

Wie ihre Vorläuferin der 1930er Jahre, so ist auch die neue Pendine sportlicher, zugleich aber auch nicht mehr so tourengerecht wie das Basismodell SS 100, von dem beide abgeleitet sind. Identisch ist der Motor, ein flüssigkeitsgekühlter V2-Zylinder mit einem Hubraum von 997 Kubikzentimetern und einem Zylinderwinkel von 88 Grad. 73 kW oder 100PS leistet das Triebwerk in seiner jüngsten, nach der Norm Euro 4 homologierten Version.

Der Motor springt beim Druck aufs Anlasserknöpfchen spontan an, läuft sofort rund und nimmt jederzeit sanft und berechenbar das Gas an. Wer gelassen über Land chauffiert, kann schon bei 4000 Touren in den nächsthöheren Gang schalten und findet dennoch kraftvollen Anschluss. Wer das Triebwerk jubeln lassen möchte, kann auch dieses: Erst bei etwa 10000 Touren macht ein Drehzahlbegrenzer dem wilden Spiel ein zwangsweises Ende. Dazwischen ist alles möglich, doch nichts muss.

Rahmen und Fahrwerk der Pendine Sand Racer sind technische Delikatessen. Haupt- und Heckrahmen sind aus Titan, diese beiden Elemente werden, wie auch die spezielle Vorderradführung in Form von Doppellängslenkern, direkt im Hause hergestellt. Wie überhaupt die Fertigungstiefe der südfranzösischen Motorrad-Manufaktur eindrucksvoll ist. Die stählernen Kotflügel, die Tanks, die Heckabdeckung, die Auspuffanlage und sogar der Tacho werden an der Rue Jean Monnet hergestellt. „Allen Ernstes: Wir haben keinen Hersteller finden können, der für uns die flache, charakteristische Cockpit-Einheit fabriziert“, berichtet Albert Casteigne über die Herausforderungen eines Nischenproduzenten. So ist ein spezieller Werktisch für die Montage des Instruments reserviert. Zahlreiche bunte Kabel sind auf Rollen aufgereiht, ein Dutzend Plastikkästchen enthält die unterschiedlichen Einzelteile bis hin zu speziellen Schräubchen und dem markanten roten Zeiger sowie dem großen schwarzen Zifferblatt. Auch die Sitzbänke entstehen im Hause.

Wie die nun endlich in Euro-4-Homologation erhältliche SS 100, so verfügt auch die Pendine Sand Racer über ein ABS- es stammt von Continental. Anders als die SS 100, die über im Durchmesser sehr kleine Keramik-Bremsscheiben des französischen Herstellers Beringer verfügt, ist im geschmiedeten, filigranen Vorderrad des gefahrenen Pendine-Prototyps eine stählerne Bremsscheibe, ebenfalls von Beringer, installiert. Die Kundenfahrzeuge werden aber über zwei jeweils 320 Millimeter große Bremsscheiben verfügen, in die sich jeweils eine Vierkolben-Radialbremszange verbeißen wird. Vergleichsweise schmal sind Räder und Reifen der Pendine gehalten. Während das 19-Zoll-Vorderrad die allgemein übliche Dimension 120/70 aufweist, läuft auf dem nur 4,5 Zoll breiten 17-Zoll-Hinterrad ein Reifen der Größe 170/60- üblich sind in dieser Leistungsklasse heute mindestens 20 Millimeter mehr Laufflächenbreite. Doch den Entwicklern war es wichtig, trotz der modernen Komponenten das leichtfüßige Fahrverhalten herauszuarbeiten, das auch den früheren Pendines zu eigen war.

Angesichts des angedeuteten Aufwands für Entwicklung und Manufaktur-Fertigung muss man freilich nicht nur ein Herz für höchst individuelle Motorräder haben, sondern auch über genügend Spielgeld verfügen, um sich eine Pendine leisten zu können. Mit 59.900 Euro inklusive Mehrwertsteuer beginnt der Spaß, das sind etwa 3500 Euro weniger, als eine SS100 kostet. Beides sind nur Grundpreise, „die meisten Kunden investieren zwischen 1500 und 5000 Euro mehr in zusätzliche Ausstattung“, sagt Casteigne. Lenkererhöhungen, individuelle Lackierungen und feine Gepäcksysteme sowie vieles mehr stehen zur Auswahl. Ein hohes Risiko extremen Wertverlustes dürften Brough-Käufer kaum eingehen: Die historischen Vorbilder stellen die fraglos gesuchtesten und deshalb teuersten Oldtimer-Bikes der Welt dar. Sechsstellige Preise sind bei ihnen die Regel, nicht die Ausnahme.