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Lenovo Miix 630 im Test: Auf den Arm genommen

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Nicht kompatibel: Lenovo Miix 630 mit Stift.

Wirrwarr um das Exoten-Windows: Windows 10 S und Windows on ARM zeigen am Beispiel des Lenovo Miix 630 ihre Schwächen.

Wie wäre es, wenn ein Windows-Notebook richtig lange laufen würde, dass man den ganzen Tag mit ihm arbeiten und ihn abends als Monitor für die Lieblingsserien verwenden könnte? Dazu sind die aktuellen Intel- und AMD-Prozessoren zu stromhungrig. Doch im vergangenen Jahr zeigte Microsoft auf der Entwicklerkonferenz Build 2017 eine Revolution: Windows 10 auf einem ARM-Prozessor, dem Snapdragon 835 von Qualcomm, wie er in Smartphones zum Einsatz kommt. Versprochen wurden extrem lange Akkulaufzeiten und die Nutzung „fast aller“ Windows-Programme, gezeigt wurde der Photoshop im Einsatz. Das hörte sich geradezu nach einem Wunder an. Nicht wegen der Akkulaufzeit, sondern weil die ARM-Architektur klassische Windows-Software der x86-Welt nicht ausführen kann. Doch nicht nur auf der Prozessorebene treffen zwei inkompatible Sphären aufeinander, sondern auch die Grafikbibliotheken harmonieren nicht miteinander.

Microsoft musste mit seiner vollmundigen Ankündigung unbeschwerter Kompatibilität schon im vergangenen Jahr zurückrudern. Nun sprach man davon, dass die „populärsten“ Programme für ARM angepasst würden, die Rede war von 100 Apps. Damit war dann halbwegs verständlich, wie Windows on ARM funktioniert: Windows 10 und seine zugehörigen Programme wie der Edge-Browser und Office 365 laufen problemlos, weil sie nativ für ARM kompiliert werden. Gleiches gilt für Programmbibliotheken, Dynamic Link Libraries, DLL. Doch was ist mit klassischen x86-Anwendungen? 64-Bit-Apps laufen generell nicht. Liegen die x86-Anwendungen als 32-Bit-Version vor, verwendet Microsoft einen Emulator, der die gewohnte Prozessorarchitektur nachbilden soll. Der Nachteil dieses Tricks: Hundertprozentige Kompatibilität ist nicht gewährleistet, und die Emulation fordert den Prozessor enorm. Ein weiterer Nachteil von Windows 10 on ARM: Für Drucker, Kameras und andere Peripherie benötigt man zwingend ARM-Treiber, die aber eher Mangelware sind.

Das alles sollte man wissen, bevor man ein Notebook mit Windows 10 on ARM kauft. Die Auswahl ist ohnehin klein: Der Nova Go von Asus oder Envy X2 von HP waren die ersten Modelle, nun kommt Lenovo mit dem Miix 630 dazu, und der Hersteller hebt das eingebaute LTE-Mobilfunkmodem, die lange Akkulaufzeit von 20 Stunden sowie die Aktualisierung von E-Mails im Hintergrundmodus hervor. Das Gerät kommt als Detachable, das heißt: Die Tastatur ist abnehmbar, und man kann die Anzeige im Solobetrieb verwenden, wahlweise mit dem beiliegenden Stift oder mit Fingertipps auf dem berührungsempfindlichen Display. Wer nun an unbeschwerte Mobilität und leichtes Reisegepäck denkt, wird gleich beim ersten In-die-Hand-nehmen enttäuscht: Satte 1400 Gramm wiegt der Miix, da ist manches konventionelle Notebook leichter. Die Anzeigeeinheit allein bringt es auf 750 Gramm, zum Vergleich: Ein Tablet wie das iPad Pro 10.5 wiegt 470 Gramm.

Tastatur und 12,3-Zoll-Display überzeugen

Was die Hardware betrifft, kann man mit diesem Lenovo zufrieden sein: Tastatur und Bildschirm werden mit magnetischen Pogo-Pins zusammengehalten, der Betrachtungswinkel des Displays ist einstellbar, und die Tastatur bietet ordentlichen Schreibkomfort. Das spiegelnde 12,3-Zoll-Display mit einer Auflösung von 1920 × 1280 Pixel überzeugt, der mitgelieferte Stift bietet aber nur 1024 Druckempfindlichkeitsstufen. Auch die Anschlüsse fallen sparsam aus: Ein Kombischacht für Micro-SD-Speicherkarte und Nano-Sim-Mobilfunkkarte, ein USB-Typ-C zum Laden des Akkus und die Verbindung nach außen, auch mit Displayport 1.3, es fehlt das schnelle Thunderbolt-Protokoll. Acht Gigabyte Speicher und ein Flash-Speicher mit wahlweise 128 oder 256 Gigabyte sind an Bord. In der kleinsten Variante kostet das Miix 630 bereits 1000 Euro, mit dem größeren Flash-Speicher sind es schon 1100 Euro.

Um die spannende Frage zu beantworten, was nun mit dem ARM-Windows läuft und was nicht, muss man zunächst den Umweg über Windows 10 S gehen. Das ist das Standard-Betriebssystem des Miix nach dem Start. Windows 10 S wurde ebenfalls 2017 vorgestellt, damals als besonders schnelles Windows. Diesen Zahn haben Journalisten dem Hersteller jedoch sogleich gezogen: Windows 10 S ist weder schneller noch ressourcenschonender als seine großen Geschwister. Der einzige Unterschied zwischen Windows 10 S und den beiden herkömmlichen Home- und Pro-Varianten besteht darin, dass man mit „S“ nur Programme aus dem Microsoft Store laden kann, und die laufen auch auf ARM-Prozessoren. Man kann ferner nur Microsoft Edge als Browser einsetzen und die Suchmaschine nicht ändern, es ist Microsoft Bing. Hier schließt sich nun der Kreis: Es gibt nur wenige Apps im Microsoft Store und vor allem mit dem Bing-Zwang so unzumutbare Restriktionen, dass man sogleich den Schalter umlegt und aus dem Windows 10 S ein Windows 10 Pro macht, das funktioniert zum Glück.

Dann kann man wie gehabt alles laden und installieren, auch einen alternativen Browser wie Google Chrome und Firefox. Nur stößt man immer wieder an die Grenzen der ARM-Kompatibilität, und die tauchen schneller auf als gedacht. Überraschenderweise liefen Chrome und Firefox bei uns durchaus gut, damit hatten wir nicht gerechnet, aber sie strapazieren ob der Emulation den Akku stark. Auch Office 365 und einige Adobe-Programme arbeiteten problemlos unter Windows 10 on ARM. Doch die ganz überwiegende Zahl der von uns ausgesuchten Programme ließ sich nicht einmal installieren. Etwa die Spracherkennung Dragon von Nuance, das Verschlüsselungssystem Veracrypt, alternative Bildbetrachter – und so weiter. So gesehen ist Windows 10 on ARM derzeit ein Nischenbetriebssystem für den Einsatz ausgewählter Standardprogramme auf dem Notebook. Die große bunte Welt der Apps bleibt ebenso außen vor wie Peripherie und Zubehör. Lange Akkulaufzeit hin oder her, man zahlt einen sehr hohen Preis für dieses Exoten-Windows.