Gesellschaft

Organspende in Österreich: „Für ein Nein reicht ein Zettel im Geldbeutel“


Ein Behälter zum Transport von Organen wird am 27.09.2012 in Berlin am Eingang eines OP-Saales vorbeigetragen.

In Österreich gilt die Widerspruchslösung bei der Organspende schon seit langem. Transplantationsmediziner Stephan Eschertzhuber erklärt, wie das System genau funktioniert.

Wer nicht zu Lebzeiten ausdrücklich bekundet, dass er kein Organspender sein möchte, gilt nach der Widerspruchslösung theoretisch als Organspender. Seitdem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) diese Regelung ins Gespräch gebracht hat, schlägt ihm Kritik entgegen: Ängste könnten geschürt werden, die Organspende noch mehr an Vertrauen einbüßen. In Österreich gibt es die Widerspruchslösung, genau wie in 20 anderen Ländern der Europäischen Union. Und auf der Liste der Länder mit den meisten Organspendern nimmt Österreich den vierten Platz ein – während Deutschland abgeschlagen weit hinten liegt.

Herr Eschertzhuber, Sie sind Transplantationsreferent für Westösterreich und haben an der Universitätsklinik Innsbruck die transplantationschirurgische Intensivstation geleitet. Sind die Österreicher gelassener, wenn es darum geht, wie nach ihrem Tod mit ihren Organen verfahren werden soll?

Da kann man nicht verallgemeinern. Die Entscheidung zum Organspenden ist eine Entscheidung, die jeder Mensch für sich treffen sollte. Wir haben aber gute Erfahrungen mit der Widerspruchslösung gemacht, die ja inzwischen in den meisten Ländern angewandt wird.

Wer kein Organspender in Österreich sein will, kann sich im Widerspruchsregister eintragen. Auch Deutsche können das tun: Denn wer im Urlaub in Österreich ums Leben kommt, für den gilt auch die Widerspruchslösung. Wissen die Menschen in Österreich überhaupt, dass sie die Möglichkeit zum Widerspruch haben?

Es ist davon auszugehen, dass die allermeisten Menschen die Regelung nicht kennen. Das belegen auch die Einträge im Register: Etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung ist dort eingetragen.

Hat nicht der Staat die Pflicht, die Menschen darüber zu informieren?

Hat der Staat nicht vielmehr die Pflicht dafür zu sorgen, dass die Menschen, die auf Organe angewiesen sind, diese auch erhalten? Die Wahrscheinlichkeit, dass man im Leben einmal ein Organ benötigt, ist viermal höher als die Wahrscheinlichkeit, zum Organspender zu werden.

Kann man dann einfach annehmen, dass alle Menschen, die nicht im Register stehen, einverstanden gewesen wären, dass man ihnen Organe entnimmt?

Nein. Und deshalb macht es die österreichische Regelung den Menschen leicht, zu widersprechen. Es gibt viele Formen des Widerspruchs, die genauso wie ein Eintrag im Register Rechtsgültigkeit haben: Ein Zettel im Portemonnaie, ein Eintrag in einer Notfall-App auf dem Handy, ein Nein im Gespräch mit Angehörigen. Das reicht schon.

Welche Schritte werden denn sofort eingeleitet, wenn jemand stirbt und als Organspender in Frage käme?

Es gibt keinen Automatismus zur Organentnahme. Zunächst erfolgt die Abfrage des Registers: Ist der Verstorbene verzeichnet? Das machen wir zu einem frühen Zeitpunkt, noch bevor wir mit der Diagnostik des Hirntods beginnen. Die Feststellung des Hirntods ist ja die Voraussetzung für eine Organentnahme. Seit 1995 war es ungefähr 18Mal der Fall, dass ein potentieller Spender im Register eingetragen war und daher nicht in Frage kam.

Was passiert, wenn kein Eintrag im Register vorliegt?

Dann fragen wir die Angehörigen, ob er sich zu Lebzeiten für oder gegen eine Spende ausgesprochen hat. Und wir schauen, ob es in den persönlichen Dingen Hinweise auf die Haltung des Verstorbenen gibt. Nach diesen Kriterien ist die Anzahl derer, die Widerspruch einlegen, schon höher als die Einträge im Register.

Und wie gehen Sie vor, wenn es keinen Zettel im Portemonnaie gibt und der Verstorbene sich zu Lebzeiten nie gegenüber Verwandten geäußert hat?