Die Gegenwart

30-jähriger Krieg: Tränen des Vaterlandes

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Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begründete der Westfälische Frieden eine politische Ordnung, in der entweder Krieg oder Frieden herrschte- ein Drittes war völkerrechtlich ausgeschlossen. Heute stehen Cyberwar, Terrorismus und Drohnenstrategie für dieses Dritte. Die klare Ordnung ist verlorengegangen, und es ist nicht absehbar, wie sie wieder- hergestellt werden soll.

Eigentlich sollten Ereignisse, die vier Jahrhunderte zurückliegen, historisiert sein. Das heißt, dass wir nur noch ein antiquarisches Interesse an ihnen haben und erfahren wollen, „wie es eigentlich gewesen“, um Rankes berühmte Formel aufzugreifen, aber nicht, um im Lichte des Vergangenen die Gegenwart besser zu begreifen. Wenn es sich obendrein noch um ein schreckliches und gewaltsames Geschehen handelt, an das erinnert wird, so beruhigt uns die Versicherung, derlei gehöre endgültig der Vergangenheit an und könne sich heutigentags keineswegs wiederholen. Wir sind beruhigt und können uns in der Gewissheit sicheren Abstands auf die Vergangenheit einlassen. Sich mit ihr zu beschäftigen ist keine politische Herausforderung.

So war das bis vor kurzem auch mit dem Dreißigjährigen Krieg: Bis zur Mitte des Zweiten Weltkriegs war er das große politische Trauma der Deutschen. Dann aber wurde durch den strategischen Bombenkrieg der Westmächte und das Vordringen der Roten Armee, durch die Zerstörung der Städte und die Flüchtlingsströme aus dem Osten die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg vom gegenwärtigen Schrecken überlagert und bald verdrängt. Was der Dreißigjährige Krieg im kollektiven Gedächtnis der Deutschen dargestellt hatte, war seitdem erinnerungspolitisch der Zweite Weltkrieg: eine große geschichtliche Zäsur, die mit der imperativischen Aufschrift „Nie wieder!“ versehen ist.

So ist der Dreißigjährige Krieg zu einem wohlgehegten Erinnerungsort geworden, mit dem wir uns beschäftigen können, ohne sogleich davor zurückzuschrecken. Der Abstand von vierhundert Jahren lässt uns sogar die auf einigen Schlachtfeldern ausgegrabenen Skelette der Gefallenen betrachten, und unser Interesse gilt weniger ihrem Schicksal als dem, was wir aus den Gebeinen der Toten bei deren wissenschaftlicher Untersuchung erfahren können: Mangelernährung, Krankheiten sowie frühere Verwundungen. Historisches Interesse wird naturwissenschaftlich untersetzt. Das macht den Unterschied zu dem Beinhaus von Fort Douaumont aus, wo die Überreste von Gefallenen der Verdun-Schlacht des Ersten Weltkriegs unmittelbar an uns appellieren, dafür Sorge zu tragen, dass sich dies nie mehr wiederholt.

Das ist, wie gesagt, nicht immer so gewesen. Auf die Überlebenden des Dreißigjährigen Krieges und deren unmittelbare Nachfahren hatte die Verheerung der Dörfer und Städte eine traumatische Wirkung. In der Erinnerung derer, die den Krieg noch unmittelbar erlebt hatten, handelte es sich freilich um kein Trauma der Deutschen, sondern um das eines Dorfes oder einer Kleinstadt, die von durchziehenden Soldaten geplündert und niedergebrannt worden war, allenfalls eines Landstrichs oder einer Landesherrschaft, die während des Krieges mehrfach von der Kriegsfurie heimgesucht worden war. Noch in Andreas Gryphius’ berühmtem Gedicht „Tränen des Vaterlands“, das den Krieg als Einbruch der apokalyptischen Reiter darstellt, ist mit Vaterland eher Schlesien als Deutschland gemeint. Das kommunikative Gedächtnis einer Gemeinschaft, das aus den Erzählungen von Augenzeugen zusammengesetzt ist, war auf begrenzte Räume bezogen und blieb insofern geschichtspolitisch bedeutungslos.