Eurokrise

Nachfolger für Mario Draghi: Weidmanns Chancen auf EZB-Spitze schwinden

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Was wird aus Jens Weidmann?

Kanzlerin Merkel wägt ab: Ein deutscher EU-Kommissionschef könnte mehr wert sein, als den Bundesbankchef auf den EZB-Spitzenposten zu hieven.

Im Rennen um die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi deutet sich eine Wende zulasten von Bundesbankchef Jens Weidmann an. Grund dafür sind machttaktische Überlegungen in den Unionsparteien CDU und CSU. Seit einiger Zeit gibt es im Berliner Kanzleramt Gedankenspiele, ob nicht ein deutscher Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) in der Europawahl und der anschließende Zugriff auf den Posten des EU-Kommissionspräsidenten wertvoller ist als ein deutscher Kandidat – Weidmann – für die Spitze der Europäischen Zentralbank. Die Europawahl findet im Mai 2019 statt. Draghis Amtszeit als EZB-Chef läuft im Oktober 2019 aus.

Bislang galt der 50 Jahre alte Bundesbankchef Weidmann als Favorit für die EZB-Nachfolge, auch wenn es in Südeuropa Vorbehalte gegen ihn gibt. Aus CDU und CSU hieß es bisher, besonders von jenen, die mit Draghis Nullzinspolitik hadern: Nun sei ein Deutscher an der Reihe als EZB-Chef, nach dem Niederländer Duisenberg, dem Franzosen Trichet und dem Italiener Draghi, der mit seiner Nullzinspolitik und den Anleihekaufprogrammen in Billionenhöhe im Zentrum der Aufmerksamkeit der Märkte und politischer und juristischer Kontroverse steht. Intern hat Weidmann keinen Zweifel daran gelassen, dass er bereitstünde und „Verantwortung übernehmen“ wolle.

Altmaier oder Weber?

Doch nun deutet einiges darauf hin, dass sich seine Chancen verschlechtern. Auffällig ist, wie Merkel zögert, seine Kandidatur zu unterstützen. Damit er aufsteigt, müsste sie ihn gegenüber den anderen Staats- und Regierungschefs durchsetzen. Der EZB-Posten wäre Teil eines größeren Personalpakets, zu dem neben dem Kommissionschef auch der EU-Ratsvorsitzende und weitere Posten zählen. Zehn Monate vor der Europawahl hat der Postenpoker an Schwung gewonnen.

Drei Kandidaten aus der Union sind als mögliche Spitzenkandidaten für die Europäische Volkspartei im Gespräch: Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber (CSU) und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die in der Bundeswehr unbeliebt ist. Altmaier gilt wegen seines engen Drahts zur Kanzlerin als Kandidat. In der EVP gibt es aber noch andere, gewichtige Kandidaten, allen voran den Franzosen Michel Barnier, der als Brexit-Unterhändler derzeit wichtige Verhandlungen führt, aber nur mäßig Englisch spricht, oder Enda Kenny, früherer irischer Premierminister. Da die EVP trotz absehbarer Verluste wohl wieder stärkste Fraktion im EU-Parlament wird, hat ihr Spitzenkandidat gute Chancen auf das Amt.

Viele Namen fallen

Ob Merkel schon klar dem Brüsseler Posten gegenüber dem EZB-Chefsessel für Weidmann den Vorzug gebe, wie das „Handelsblatt“ am Donnerstag meldete, ist aber unklar. Merkel wies während eines Besuchs im Südkaukasus Spekulationen zurück, sie habe deutsche Ambitionen auf die EZB-Position aufgegeben. Allerdings hat sich Merkel auch nie auf Weidmann, ihren früheren Wirtschaftsberater, als Kandidaten festgelegt.

Weidmann äußerte sich nicht zu den Spekulationen. In einer Rede in Berlin sprach er über Geldpolitik. Er rechnet nur mit einer langsamen Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik. Wichtig sei aber, diesen Prozess „nicht unnötig hinauszuzögern“, mahnte er.

Die Draghi-Nachfolge wird in Finanzkreisen seit Monaten diskutiert. Es kursieren Namen möglicher Kandidaten – mit dem Zusatz „es läuft auf keinen zwangsläufig hinaus“. Als Schwergewicht neben Weidmann gilt der 59 Jahre alte französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau, der auch gut Deutsch spricht. Juristisch heikel wäre eine Nominierung des EZB-Direktoriumsmitglieds Benoît Coeuré. Immer wieder wird als starke Reservekandidatin Christine Lagarde genannt, früher französische Finanzministerin und heute Direktorin des Internationalen Währungsfonds in Washington. Viel wird von der Positionierung von Frankreich Präsident Emmanuel Macron und seinen Plänen zur Europawahl abhängen.

Jens Weidmann dürfte allein durch die aufgeflammte öffentliche Spekulation über Merkels Kalkül beschädigt worden sein. Unklar ist, wie stark er den EZB-Kurs als Präsident prägen könnte. In der EZB entscheidet der aus 25 Personen bestehende Rat über die Geldpolitik, in dem die südlichen, romanischen Länder eine Mehrheit haben. Weidmann galt als Gegenspieler Draghis, etwa mit seiner strikten Ablehnung der EZB-Notfallkaufprogramme für Krisenländeranleihen. Das haben ihm einige übel genommen.

Mit weit weniger Chancen als Weidmann oder Villeroy als Draghi-Nachfolger wird der irische Notenbanker Philip Lane genannt, dem mehr Chancen für den EZB-Chefvolkswirtposten gegeben werden. Auch der pensionierte frühere finnische Notenbanker und EU-Kommissar Erkii Liikanen wird gelegentlich genannt, ebenso der Niederländer Klas Knot, der wie Weidmann als geldpolitischer Falke gilt. Im Ringen um den EZB-Chefposten hat Deutschland schon einmal den Kürzeren gezogen. Das war 2011, als der damalige Bundesbankchef Axel Weber zurücktrat – angeblich wegen mangelnder Unterstützung durch Kanzlerin Merkel, wobei auch andere Gründe eine Rolle spielten.

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